Über die Gefangenen in Berlin-Plötzensee

von Pfarrer Peter Bucholz

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Gefängnispfarrer Peter Bucholz

In den "Nachtgedanken" des heiligen Augustinus steht das Wort: "Schau die Gefängnisse an sie sind angefüllt mit Menschen, die zum Tode verurteilt sind. Man sollte glauben, nur Verbrecher zu finden doch sieh', es sind nur Heilige!" An dieses Wort des großen Heiligen und Kämpfers habe ich so oft denken müssen" wenn ich in den Jahren", die Gott sei Dank hinter uns liegen, in das Haus der hohen Mauern und der vergitterten Fenster ging, wenn ich die langen Flure durchschritt und die Zellen öffnete und mich Menschen gegenübersah, die eingesperrt und gefesselt waren wie Verbrecher, weil sie den Mut gehabt hatten, gegen die Tyrannis von Verbrechern anzukämpfen.

Wegen der Überfüllung der Gestapogefängnisse sah man sich genötigt, einen Teil der Gefangenen zu verlegen, und zwar brachte man sie nach Tegel, wo nicht die Gestapo, sondern Gefängnisbeamte Leitung und Überwachung in Händen hatten, die uns bei unseren seelsorglichen Besuchen keinerlei Schwierigkeiten machten. So ist es uns möglich gewesen, diese Männer während der Wochen und Monate, die sie auf ihre Termine und ihre Hinrichtung warten mußten, regelmäßig zu besuchen und zu betreuen.

Was wir da erlebt haben an männlicher und christlicher Haltung, an Opfer und Sühnebereitschaft für andere, an fast frohem Sterben, ist wie ein hohes Lied echten Bekenner- und Märtyrergeistes aus dem Frühling der Kirche!

Einer der Edelsten. und Besten, dem ich in Tegel begegnete und den ich in der Folge mehrere Male in der Woche regelmäßig besuchen konnte, war Nikolaus Groß. Wie oft habe ich ihn kniend vor seinem Zellenschemel gefunden, wenn ich unvermittelt seine Tür aufschloß! Es war geradezu ergreifend, mit welcher Ehrfurcht und Dankbarkeit und gläubiger Hingabe er die heilige Kommunion empfing, die ich ihm bei jedem Besuch reichen konnte.

Wer Nikolaus Groß gekannt hat, weiß, daß er Raucher war was den meisten das Rauchen in ihrer Zelleneinsamkeit und qualvollen Ungewißheit bedeutete, ist wohl menschlich zu verstehen. Nikolaus Groß hat nie etwas Rauchbares annehmen wollen. Er hat bewußt zu allen anderen Opfern auch dieses Opfer gebracht, um sich stark zu machen für das letzte und schwerste Opfer, dem er entgegenging. Mit welchen Gefühlen er den Tod erwartete, mag eine Stelle aus dem Brief sagen, mit dem er zwei Tage vor seinem Ende von seiner Frau und seinen sieben noch unmündigen Kindern Abschied nahm: .. Fürchtet nicht, daß angesichts des Todes großer Sturm und Unruhe in mir sei. Ich habe täglich gebeten, daß der Herr mich und Euch stark mache, alles geduldig und ergeben auf uns zu nehmen, was Er für uns bestimmt oder zugelassen.

Und ich spüre, wie es durch das Gebet still und ruhig geworden ist. Mit inniger Liebe und Dankbarkeit denke ich an Euch zurück. Wie gut ist doch Gott und wie reich hat er mein Leben gemacht. Er gab mir seine Liebe und Gnade und er gab mir eine herzensliebe Frau und gute Kinder. Bin ich ihm und Euch nicht lebenslänglichen Dank schuldig? Habt Dank, Ihr Lieben für alles, was Ihr mir erwiesen. Und verzeiht mir, wenn ich Euch wehtat oder meine Pflicht und Aufgaben an Euch schlecht erfüllte... Manchmal hatte ich mir in den langen Monaten meiner Haft Gedanken darüber gemacht, was wohl einmal aus Euch werden möge, wenn ich nicht mehr bei Euch sein könnte. Längst habe ich eingesehen, daß Euer Schicksal gar nicht von mir abhängt. Wenn Gott es so will., daß ich nicht mehr bei Euch sein soll, dann hat er auch für Euch eine Hilfe bereit, die ohne mich wirkt...

In diesen Worten enthüllt sich die ganze Größe dieses Mannes. Hier offenbart sich eine Seele, die zwischen Leben und Tod bis an die Tore der Ewigkeit herangereift ist. In dieser Haltung ist Nikolaus Groß seinem Gott entgegengegangen.

Pfarrer P. Buchholz


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