Elisabeth Groß -
Eine Frau im Widerstand

Mit der Tapferkeit des Herzens...

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Ein Ruhrwort-Artikel vom 10. März 2001

Elisabeth Groß, die Frau des von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers Nikolaus Groß: Am morgigen Sonntag, dem 11. März, wäre sie, die den Tod ihres Mannes aus tiefer gemeinsamer Glaubens-überzeugung mitgetragen hat, 100 Jahre alt geworden.

1992 erschien das Buch "Mit dem Mut des Herzens" in dem die Lebensgeschichte von elf Frauen nachzulesen ist, deren Männer zum Widerstandskreis um den 20. Juli 1944 gehörten und die nach dem Misslingen des Attentats auf Hitler von den Nazis ermordet wurden. Im Vorwort heißt es, dass jede Geschichtsschreibung unvollständig sei, die den familiären Umkreis nicht berücksichtige und den Anteil der Familien und der Frauen unberücksichtigt lasse. Wer aber auf diese Überlegung hin die Widerstandsliteratur und die Lexika einmal durchforstet, wird erkennen, dass in vielen Fällen nicht festzustellen ist, ob der Widertandskämpfer überhaupt verheiratet war, wie seine Frau hieß und wie viele Kinder er hatte. Das passt ganz in die Form der Heldenehrung, wie sie auf Tausenden von Gedenktafeln bis hin in die kleinsten Dörfer zu lesen ist, und zwar welche Männer dieses Ortes im 1. und im 2. Weltkrieg ihr Leben lassen mussten. Hinter keinem Namen steht, ob der Gefallene oder Vermisste verheiratet war und wie viele, wahrscheinlich unversorgte Kinder er hinterließ.

Sie ahnten die Tragweite der unausgesprochenen Vorhaben

Die Erforschung der Lebensschicksale der Ehefrauen der Männer aus dem deutschen Widerstand ist ein weithin offenes Feld. Diese Frauen gehören auf ihre Weise aber auch zum Widerstand. Ohne in die Einzelheiten eines Umsturzes eingeweiht zu sein, erahnten sie die Tragweite unausgesprochener Vorhaben. Sie haben nicht der eigenen Sicherheit oder der Zukunft der Kinder wegen ihre Männer von dem abgehalten, was diese aus schwerer Entscheidung heraus für richtig hielten: das deutsche Volk von einem verbrecherischen Regime zu befreien. Nicht wenige dieser Frauen sind selber in Sippenhaft gekommen: und mussten erleben, dass ihnen die Kinder entrissen wurden. Jedes dieser Frauenschicksale ist anders verlaufen und jedes hat einen eigenen Zeugnischarakter.

In einem solch umfassenden Zusammenhang sollte auch Elisabeth Groß gesehen werden. Das Lebensopfer ihres Mannes, Nikolaus Groß, der von den Nazis am 23. Januar 1945 in der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee ermordet wurde, hat Elisabeth Groß in tiefer Gebetsgemeinschaft mit allen Konsequenzen mitgetragen.

Sie kannten sich von der gemeinsam besuchten Dorfschule in Niederwenigern her. Elisabeth Koch und Nikolaus Groß, er zweieinhalb Jahre älter als sie, sind beide auf einem Schulfoto von 1912 zu sehen. Wirklich "entdeckt" aber haben sie sich am Silvesterabend 1920. Sicherlich erfüllte die junge Frau mit Stolz, dass der strebsame ehemalige Kohlenhauer, der durch gezielte Weiterbildung inzwischen eine hauptamtliche Aufgabe beim Gewerkverein christlicher Bergarbeiter ausübte, um sie warb. 1921 verlobten sie sich und am 24. Mai 1923 empfingen sie das Sakrament der Ehe in der St. Mauritiuskirche in Niederwenigern.

Keines der Kinder wird Mitglied bei der Nazi-Jugend

Berufliche Aufgaben von Nikolaus Groß führten seine junge Familie nach Zwickau in Sachsen, dann zurück ins Ruhrgebiet. Anfang 1927 wurde er Redakteur der Westdeutschen Arbeiterzeitung (WAZ), die er dann bald als verantwortlicher Schriftleiter übernahm. Es bedarf keiner großen Erläuterung, welche Aufgaben auf den Schultern von Elisabeth Groß ruhten als Mutter von sieben Kindern und Ehefrau des Chefredakteurs einer auflagenstarken Verbandszeitung (170000) und Führungspersönlichkeit in der christlichen Arbeiterbewegung. Mit angespannter Wachheit beobachtete Nikolaus Groß die politische Entwicklung in der von Krisen geschüttelten Weimarer Republik, die Bedrohungen durch rechte und linke Parteien und schließlich das Anschwellen der gewalttätigen Gruppierungen der Nationalsozialisten. Kein katholischer Verband hat schon so früh mit solcher Schärfe in seinen Publikationsorganen auf die sich nähernde Erschütterung des demokratischen Staates hingewiesen.

Standfestigkeit übermittelten Nikolaus und Elisabeth Groß ihren Kindern, keines der Mädchen und keiner der Jungen war Mitglied in einer der Nazi-Jugendorganisationen. Starken religiösen Halt fand die Familie in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Mit der Einschränkung der Verbandstätigkeit ihres Mannes durch die scharf beobachtende Gestapo, mit dem endgültigen Verbot der in "Ketteler Wacht" umbenannten WAZ war auch für die Familie eine neue Situation gegeben, die Elisabeth Groß mit ausgleichender Geduld und haushälterischer Geschicklichkeit überbrückte. Mit Sicherheit waren auch finanzielle Engpässe zu überwinden. Zurückgedrängt auf ausschließlich religiöses Schrifttum verfasste Nikolaus Groß Kleinschriften zu praktischen Glaubensfragen und vor allem das aus einem tief väterlichen Herzen sprudelnde Buch "Sieben um einen Tisch" mit vielen goldenen Lebensweisheiten von und für Eltern.

Von den Kontakten ihres Mannes zu Widerstandskreisen konnte Elisabeth Groß nur ahnen. Jede Mitwisserschaft war ja lebensgefährlich. Rückblickend schrieb sie 1964 in einem Artikel für die KettelerWacht: "Am 20. Juli wurde sein Gesicht aschfahl. 'Alles ist verloren', sagte er, 'jetzt kommt keiner mehr an ihn heran. Jetzt wird Deutschland bis zum letzten Quadratmeter kämpfen und elend zu Grunde gehen.'"

Kurz nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Nikolaus Groß am 12. August durch die Ges- tapo verhaftet. Seine fünfjährige Tochter Leni fragte ihn: "Vater, wo hin gehst du?" In einem Brief aus dem Gefängnis gab er später die Antwort. "... ich gehe dahin, wohin mich der Wille Gottes weist."

Die Übereinstimmung, allein dem Gewissen zu folgen

Im Gefängnis wird Groß gefoltert und nach dem Urteil des Volksgerichtshofes unter Roland Freisler am 23. Januar 1945 hingerichtet. In einem Abschiedbrief schreibt er seiner Frau: "Besonders Dir, liebe Mutter, muss ich noch danken. Als wir uns vor einigen Tagen für dieses Leben verabschiedeten, da habe ich, in die Zelle zurückgekehrt, Gott aus tiefem Herzen gedankt für Deinen christlichen Starkmut. Ja, Mutter, durch Deinen tapferen Abschied hast Du ein helles Licht auf meine letzten Lebenstage gegossen. Schöner und glücklicher könnte der Abschluss unserer innigen Liebe nicht sein, als er durch Dein starkmütiges Verhalten geworden ist. Ich weiß: Es hat Dich und mich große Kraft gekostet; aber dass uns der Herr diese Kraft geschenkt hat, dessen wollen wir dankbar eingedenk sein." Dazu wird Sohn Bernhard Groß später sagen: "Für mich ist wichtig, wie groß in der Frage, allein dem Gewissen zu folgen, die Übereinstimmung zwischen meinem Vater und meiner Mutter war."

Zu den Exequien am 8. Februar in der Krypta der St Agnes-Gemeinde ließ die Familie einen Totenzettel drucken. Nachdem eine Druckerei diesen letzten Dienst an einem Widerstandskämpfer verweigert hatte, übernahm der Vater des heutigen Essener Bischofs Hubert Luthe unter Lebensgefahr den Druckauftrag.

Mit Datum vom 19. Februar 1945 schrieb Frau Maria Bolz, Witwe des mit Nikolaus Groß am 23. Januar hingerichteten früheren Staatspräsidenten von Württemberg, Dr. Eugen Bolz, an Elisabeth Groß: "Morgen sind es schon vier Wochen, dass unsere beiden guten Männer heimgegangen sind. Am Mittwoch erfuhr ich es... Wie unsagbar schwer ist dieses gemeinsame Leid, was haben wir durchgemacht und durchlitten mit dem geliebten Mann und für ihn! Und jetzt das Alleinsein, die so schwere Trennung auf diese furchtbare Weise. Sie haben ausgelitten für die anderen. Wir müssen den Kreuzweg allein weitergehen, aber wir dürfen die Überzeugung haben, dass unsere Männer uns helfen."

Die tapferen Frauen gehören zur historischen Gerechtigkeit

Elisabeth Groß selber schrieb später über diese Zeit: "Dann begann für mich eine harte Zeit, allein mit sieben unversorgten Kindern. Und doch darf ich sagen: Wenn ich in Not und Verzweiflung war, habe ich das Bild meines Mannes angeschaut und ihn um Hilfe gebeten. Und Gott hat dann immer wunderbar, oft wirklich durch ein Wunder geholfen." Großer Trost sind die 29 Briefe ihres Mannes aus der fünfmonatigen Gefängniszeit, Zeugnisse eines ganz Gott übergebenen Lebens, gestärkt durch die Liebe und Tapferkeit der Ehefrau mit den gemeinsamen sieben Kindern.

Mit der Bescheidenheit ihres Wesens, aber gestärkt durch das Vorbild ihres Mannes bringt Elisabeth Groß sich in soziale und politische Ehrenämter ein. Sie nimmt teil an vielen Veranstaltungen der KAB, und im Bereich des Ketteler-Hauses wird sie "Mutter Groß" genannt. Mit Freude erlebt sie im Juni 1948 die Rückkehr des seit September 1944 vermissten Sohnes Klaus aus russischer Kriegsgefangenschaft. "Das hat Vater verdient", sagt sie, wenn Einrichtungen, Schulen und Straßen den Namen von Nikolaus Groß erhalten. Als am 5. Mai 1963 Kardinal Döpfner in der Nähe der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee die Kirche Maria Regina Martyrum einweiht, ist sie mit Grete Letterhaus als Ehrengast zugegen. Bundespräsident Lübke verleiht ihr am 25. Oktober 1966 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Gott ruft sie am 21. Februar 1972, kurz vor Vollendung ihres 71. Lebensjahres, aus dem großen Kreis ihrer Kinder, Enkel und Urenkel zu sich. Es gehört zur historischen Gerechtigkeit, in die Betrachtung und Würdigung des Glaubenszeugen Nikolaus Groß viel stärker als bisher seine tapfere Frau Elisabeth miteinzubeziehen. "Es vertraut auf sie das Herz ihres Mannes" heißt es in der Lesung am Fest ihrer Namenspatronin, der heiligen Elisabeth, selber Witwe in jungen Jahren.

Sollte es je zu einem Buch über die Frauen der Widerstandskämpfer kommen, die 1992 nicht mehr befragt werden konnten, weil sie schon verstorben waren, sollte es in Fortsetzung des ersten Buches den Titel tragen "Mit der Tapferkeit des Herzens".

Elisabeth Prégardier

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