Frau Elisabeth Groß: Mein Mann

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Mein Mann und ich stammen aus einem Heimatort. In einem Ruhrdorf, in Niederwenigem, wuchsen wir heran. Beide Väter waren Bergleute. Der eine verdiente da Brot für die Seinen als Zechenschmied, der andere war schlichter Bergmann. In der kath. Jugendorganisation lernte ich meinen Mann kennen. Schon damals waren die Zeitumstände nicht günstig. Die Zeit unserer jungen Liebe brachte schon ein gerütteltes Maß der Sorge mit sich. Nach dem verlorenen Kriege, mit den Folgeauswirkungen der Inflationszeit, mit der Umwertung aller Werte, war es schon schwer, die bescheidenen Mittel für einen jungen Haushalt heranzutragen. Mein Mann war bereits seit 1920 als Gewerkschaftssekretär beim Gewerkschaftsverein christlicher Bergarbeiter tätig. Dem Wesen der Bewegung entsprechend, war er in einer Reihe von Orten des Ruhrgebietes wie auch in Bergbaugebieten Sachsens und im Waldenburger Gebiet in Schlesien als Organisator und Bevollmächtigter beauftragt, seinen Teil an der Hebung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lage der Arbeiterschaft beizutragen.

Nikolaus Groß stand zu einer Zeit in dieser Bewegung, die den vollen Einsatz seiner Persönlichkeit verlangte. Damals, als Braut, war ich stolz auf meinen Mann. Manches Opfer wurde auch von mir verlangt Immer wieder erklärte er mir, die Trennung sei notwendig, weil sein Bewußtsein, Führer der Arbeiter zu sein, dies verlange.

Wir schlossen am 24. Mal 1923 den Bund für das Leben. So wie ich die Brautzeit verlebte, so war es auch, als ich seine junge Frau war. Mein Mann stand für die Gemeinschaft. Was er tat, tat er ganz. Für ihn gab es keine Halbheiten. Wenn seine Zeit oft sehr knapp war, wenn er mit den Stunden geizen mußte, seine Familie war doch sein ein und alles. In Zwickau-Sa. kam das erste Kind zur Welt. In Bottrop 1926 das zweite. Das dritte und vierte in Mönchen-Gladbach. Und die drei jüngsten sind im Schatten der Domtürme getauft. Oben sagte ich schon, dass mein Mann Gewerkschaftssekretär war. Später wurde er vom Vorsitzenden des Gewerkvereins Heinrich Imbusch als Redakteur verpflichtet. 1927 berief ihn die Verbandsleitung der Kath. Arbeiter- und Knappenvereine in die Redaktion der "Westdeutschen Arbeiterzeitung" nach M.-Gladbach. Mit der Verlegung der Verbandszeitung und dem Einzug in das Kettelerhaus wurde auch unser Wohnsitz Köln.

Gern gebe ich zu, daß die Zeit in Köln zu der glücklichsten meines Lebens gehörte, bis 1945 dem Leben meines Mannes ein gewaltsames Ende bereitet wurde. Ich darf mit Recht sagen, daß mein Mann mir in allen Tagen ein rechter, liebevoller, echt katholischer Gatte war. So zehre ich heute noch immer von unserem vergangenen Glück. Mit Dankbarkeit gedenke ich seiner, habe ich doch sein selbstloses Wirken für mich und meine Kinder beobachten können. Es waren dies nicht nur Selbstverständlichkeiten, sondern Wesenszüge, die sein Charakterbild prägten. Berufsmäßig war mein Mann Hauptschriftleiter einer angesehenen kath. Wochenzeitschrift. Viele Jahre redigierte er die "Westdeutsche Arbeiterzeitung", die in der Nazizeit in "Ketteler-Wacht" umbenannt wurde. Wie oft besprach er mit mir dieses und jenes, was ihn bewegte. Er schrieb an den Arbeiter und für ihn. Redner und Schriftleiter war er zugleich. In vielen seiner Reden und Aufsätze, in unzähligen Artikeln schrieb er von der Familie, von ihrer Sendung, von ihrem Recht auf soziale Besserstellung, von den Nöten der Zeit, Er wendete sich nachdrücklichst gegen den materialistischen Geist. Gegen die Zerfallerscheinungen der Ehe setzte er sich mit seiner ganzen männlichen Persönlichkeit ein. Er wollte die Familie als erste Keimzelle der volklichen Ordnung besonders geschützt wissen. Seinem Wirken stellte er das eigene Vorleben voraus. Er handelte nach seinen Worten sein Leben lang. Ich bin stolz auf meinen Mann, weil er mir vieles gab, und weil er mir half, eine große Gemeinschaft mit der Fülle meiner Gedanken zu bereichern, diese Gemeinschaft aufzurichten, zu erhalten und fortzuführen. Als Vater einer großen eigenen Familie trug er ständiges Erleben in sich. Meisterhaft übertrug er dies wechselseitig auf seinen Beruf und umgekehrt. Er gab mit vollen Händen mir und anderen von seinem Reichtum. Materielle Güter häufte er nicht an, doch seine Arbeit hielt die Not fern. Mit mir die Kinder zu brauchbaren Menschen heranzubilden, war eine Aufgabe, die er ganz zu lösen verstand. Ueberraschend für mich und voller Dankbarkeit - ich kann es nicht anders nennen -schildert er in seiner Schrift "Sieben um einen Tisch" das Charakterbild der einzelnen Kinder.

Jahre des Glücks, aber auch der Sorgen gingen dahin. Wir trugen sie gemeinsam, mit Gottvertrauen. Es kam Krieg über Europa; und der Älteste wurde Soldat; er kam nach Rußland und wurde als vermißt gemeldet. Die Sorge, ja Angst, um den Sohn erfüllte uns. In dieser Zeit wurde mein Mann verhaftet Die Gestapo gab ihn nicht mehr frei. Der Volksgerichtshof verurteilte ihn nach fünfmonatiger Haft wegen Hochverrats in Verbindung mit den Ereignissen des 20. Juli 1944 zum Tode. Ich konnte noch Abschied von ihm nehmen. Dann erhielt ich von Freundeshand seinen letzten Brief. Dieser Abschiedsbrief gibt besser als meine Worte wieder, was mein Mann mir war.

Veröffentlicht in VVN-Nachrichten
23. Oktober 1947 - Seite 2


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