Brief vom 17.12.1944 an die Familie

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Nikolaus Groß

(1) Berlin-Tegel, den 17.12.44
Seidelstraße 39
Haus 1

Nr. 1499
8/326

Liebe Mutter!
Ihr lieben, treuen Kinder!

Euch allen zunächst einen herzlichen Sonntagsgruß. Ich wünsche Euch, daß es Euch allen noch gut geht. Von mir selbst kann ich nur Gutes berichten. Inzwischen wirst Du Dich, liebe Mutter, daheim wieder eingelebt haben. So wie ich Dich kenne, wird es Dir nicht leicht fallen. Du wirst mit Deinen Gedanken und Sorgen noch in Berlin weilen und manche Bilder und Eindrücke werden Dir nachgehen, die Dich nicht verlassen wollen. An dieses und jenes wirst Du Dich erinnern und es bedauern, das eine nicht noch gesagt und vielleicht das andere nicht noch getan zu haben.
Mache Dir deshalb keinen Kummer. Dein Besuch war überreich für mich, und was Du getan hast, ist mehr, als ich erhoffen durfte. Du kannst ganz beruhigt sein, wie ich es auch bin. Alles wird sich zum Guten auswirken. Wie war Deine Heimreise? Zwei Tage wirst Du gebraucht haben. Von Marianne erhielt ich einen Brief - wofür ich ihr herzlich danke -, worin sie mitteilt, daß in der Nacht vorher, von Sonntag auf Montag, Berny von der Berliner Reise heimgekehrt sei. Und von dem lieben Bernhard erhielt ich eine schöne Karte mit einem Namenstagsgruß. Auch an ihn herzlichen Dank. Ich glaube, daß ich besonderen Dank auch Frl. Gertrud schuldig bin. Da ich keinen anderen Weg habe, bitte ich Dich, liebe Mutter, ihr zu schreiben und zu danken. Dank auch für den Rasierpinsel und Seife, alles tut mir gute Dienste. Sonst aber weiß ich von Deiner Heimkunft noch nichts. Auch die Brille ist noch nicht eingetroffen. Aber es kann sich dabei nur um einige Tage handeln, dann muß sie hier sein. Und auch einige Post wird noch im Rückstande sein. So darf ich also hoffen und erwarten. Und das ist schön.
Mittlerweile gehen wir den Weihnachtstagen entgegen. Das Wetter hier tut sich schon recht weihnachtlich. Es gab mal vorübergehend Schnee, jetzt herrscht seit Tagen ein schönes klares Frostwetter. Ein besonderer Trost und eine Hilfe ist der »Schott«. Er dient mir dazu, auch innerlich und seelisch dem Sinn des Advents und dem Fest der Weihnacht stetig näher zu kommen. Gewiß wird es für uns alle ein freudenreiches werden, trotz aller Sorgen, die auf uns lasten. Ebenso wichtig wie die äußeren Umstände ist unser inneres Verhältnis zum Fest. Und da wünsche ich Euch allen, daß es an dieser Einstimmung bei keinem fehlen möge.
Berny und Marianne wünsche ich viel Freude in ihrem Caritasdienst. Kranken und Verwundeten zu helfen, ist eine schöne Aufgabe. Möge sie Euch beiden immer gefallen. Elisabeth muß mir in einem Briefe einmal erzählen, wie es ihr als Kinderpflegerin geht. Es interessiert mich. Von den beiden großen Mädchen kenne ich ja aus Briefen oder der Schilderung von Berny, wie es in ihrem Berufe zugeht. Nun würde ich gern etwas von Elisabeth hören. An Alex einen treuen Gruß. Er gibt mir ständig Bericht über Schule und Pflegeeltern und über sich selbst. Herzlichen Gruß auch an Bernhard. Er muß als der einzige »Mann« daheim jetzt der Mutter besonders fleißig und willig helfen. Der kleinen Leni ebenfalls herzlichen Gruß. Immer steht das Gartenbild mit Bernhard und Leni in dem Sessel in unserem Garten vor meinen Augen. So vergesse ich die beiden nicht. Allen Kindern noch einmal herzliche Grüße und Wünsche.
Nun zu Dir, liebe Mutter! Mit besonderer Liebe und Herzlichkeit gedenke ich Deiner. In den Tagen des Pfarrpatroziniums St. Agnes wirst Du gewiß meiner besonders gedenken, wie ich es immer auch für Dich tue. Ich hoffe, daß Dir Dein Herzleiden nicht allzuviel zu schaffen macht. Halte Dich tapfer und gesund. In inniger Liebe und herzlicher Treue verbleibe ich Dir alle Tage verbunden, bis wir uns Wiedersehen. Viele herzliche Grüße und tausend gute Wünsche für Dich Dein

Nikel.

Gruß an Deinen und meinen Vater, Deine und meine Geschwister und an alle Verwandten und Freunde, besonders an die vier Soldaten: Paul, Karl, Werner und Heinz und an Michael.


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