21.01.2024:
Am 5. Januar des neuen Jahres habe ich an dem Trauergottesdienst für den verstorbenen früheren Leiter des Nikolaus-Groß-Abendgymnasium und Weiterbildungskolleg teilgenommen. Oberstudiendirektor Horst Graebe war 26 Jahre Leiter des Nikolaus-Groß-Abendgymnasiums und im Alter von 95 Jahren verstorben. In einer kurzen Ansprache am Ende des Gottesdienstes skizzierte der Sohn des Verstorbenen seinen Vater als guten Familienvater, gerechten Menschen und als jemanden, der einen anderen niemals aufgab. Der nicht über andere geredet hat. Ein Pädagoge, der sich in die Meinung des anderen hineinversetzte um ihn zu verstehen. Er war Mitbegründer des "Initiativkreises der Religionen in der Stadt Essen", in dem Christen, Juden und Muslime den Austausch pflegen. Eine Lebenshaltung, die sich am christlichen Menschenbild orientierte. Bei der sonntäglichen Eucharistiefeier hatten er und seine Frau einen festen Platz in der Christi Himmelfahrt Kirche in Essen-Fischlaken. Wenn Menschen, die eine gewisse Persönlichkeit waren sterben, gibt es häufig solche Worte und Nachrufe. - Das Menschen auch Schattenseiten haben, wird nicht oder nur zaghaft am Rande erwähnt. -
Wer die sehr bewegende Ansprache der Tochter des verstorbenen ehemaligen Ministers und Bundestagspräsidenten Dr. Wolfgang Schäuble bei dessen Begräbnis ebenfalls am 5. Januar in der evangelischen Stadtkirche von Offenburg im Fernsehen gesehen oder nachgelesen hatte, konnte ähnliches denken. Ein Nachruf mit herzlicher Liebe und Dankbarkeit. Doch auch Wolfgang Schäuble hatte seine Schattenseiten. - Hartes Durchsetzungsvermögen und Verwicklungen in eine CDU Spendenaffäre vor einigen Jahren bleiben ebenfalls in Erinnerung.
Menschen haben ihre Lichtseiten und ihre Schattenseiten. Und so wird auch der verstorbene Franz Beckenbauer von einigen Medien in diesen Tagen als "Lichtgestalt des deutschen Fußballs" beschrieben, auch wenn seine Schattenseiten durchaus bekannt sind.
Heute erinnern wir, wie in jedem Jahr, an Nikolaus Groß. Von der Kirche selig gesprochen und in vielen Beiträgen als Familienvater, Redakteur, Gewerkschafter und überzeugten Christen dargestellt. Ehren wir damit eine Lichtgestalt ohne Schattenseiten? Wohl kaum. -
Wir ehren einen Menschen, dessen Glaube und Überzeugung ihn in den Tod führte. Wir ehren einen Menschen, der vermutlich wie wir alle nicht ohne Fehl und Tadel war, der aber bei aller möglichen Unzulänglichkeit eine Haltung in sich trug, die sich am Glauben und der Botschaft des Evangeliums orientierte. Christen zeichnen sich durch solch eine Haltung aus. Das Evangelium, das wir gerade gehört haben ist das Ende der Bergpredigt nach Matthäus (vgl. Mt 7,21-27). In diesen Versen ist die Rede von dem Menschen, der sich an die Seligpreisungen und an der Gottes- und Nächstenliebe, wie sie die Bergpredigt durchzieht, hält. Er ist wie ein Mensch, der sein Haus auf festem Grund und nicht auf Sand gebaut hat. Der feste Grund ist der Glaube, das Bekenntnis zu Gott, der in uns lebt und wirkt.
Nikolaus Groß war kein Fundamentalist oder Radikaler. Er war ein freundlicher, nüchterner und aufmerksamer Mensch. Aufmerksam für Entwicklungen in einer Gesellschaft, die dem christlichen Verständnis von Welt und Menschen entgegenstanden. Nikolaus Groß, ein Mensch, der bereit war, aus seiner christlichen Überzeugung konsequent zu handeln und der wusste, wie ein Leben auf einem festen Fundament aussieht. Seit 1933 nutzte die NS-Diktatur alle erdenklichen Mittel um ihre Macht zu festigen. Das ist die Zeit von Nikolaus Groß. Millionen Deutsche sind fasziniert und lassen sich blenden. Nikolaus Groß nicht! Er ist ein wachsamer Beobachter der politischen Szene. Er erkennt früh, dass die nationalsozialistische Weltanschauung in schroffem Gegensatz zur Botschaft des christlichen Glaubens steht.
Das Menschenbild, das Nikolaus Groß bewegt, ist nicht das vom Herrenmenschen, nicht das von einer besonderen Rasse. So schreibt er u. a.: "Dem Christen ist der Glaube an Gott und die ewigen christlichen Wahrheiten etwas wesenhaft anderes, als der Glaube an Volk, Rasse und Heimat."
Wir leben in einer aufgewühlten Zeit. Es ist nicht die Zeit des Nikolaus Groß und auch nicht die Zeit des Nationalsozialismus. Aber die Kriegsschauplätze waren vermutlich nach dem II. Weltkrieg nie zahlreicher als heute und die gesellschaftlichen und politischen Sachverhalte bringen auch in unserem Land Menschen auf die Straße. Manche sagen: Es ist etwas ins Rutschen geraten in unserem Land. Und von einer älteren Frau, die den II. Weltkrieg und die NS Zeit noch erlebt hatte hörte ich den Satz: Ich habe Angst!
Fast 7000 Menschen haben vor einigen Tagen in Rüttenscheid gegen Rechtsextremismus, gegen die AfD und rechte Gruppierungen protestiert. Und dies geschieht in vielen anderen Städten in diesen Tagen ebenfalls. Und da drängt sich die Frage nach dem Standpunkt der Christen auf, nach unserem Handeln?
In Anlehnung an Nikolaus Groß heißt das doch auch aufmerksam zu sein für die Entwicklungen in Politik und Gesellschaft und unsere christliche Haltung zu diesen Entwicklungen deutlich zu benennen. Aufzustehen gegen rechtsradikale Meinungen. Aufzustehen gegen Hass und Hetze im digitalen Netz und aufzustehen für unser christliches Verständnis vom Menschen.
Einer der Initiatoren der Demonstration in Essen-Rüttenscheid von dem Bündnis "Essen stellt sich quer", sagte vor einigen Tagen Sinn gemäß: Ja, die Demonstration war ein unerwarteter Erfolg. Aber das ist nicht alles. Es geht vor allem auch darum unsere Meinung in Begegnungen und Gesprächen mit anderen offen zu legen und auf die Gefahren von rechts hinzuweisen.
Müssen wir dies nicht auch tun? Vielleicht viel stärker als bisher? Wir können demonstrieren gegen falsche Entwicklungen. Wir können aber auch für etwas demonstrieren: Für unsere christliche Einstellung und Haltung zu gesellschaftspolitischen Vorgängen. Christsein zeigt sich in unserer Haltung!
Nikolaus Groß hat das Eintreten für christliche Werte den Tod gebracht. Der zu Beginn erwähnte verstorbene frühere Leiter des Nikolaus-Groß-Abendgymnasiums und Kollegs Horst Graebe hat mit seiner Orientierung an christlichen Werten, Menschen in seiner Nähe überzeugt und mitgenommen.
Zwischen beider Leben gibt es viel Raum für jeden mit einer Haltung, die den Worten des hl. Paulus aus dem Römerbrief entsprechen: "Haltet fest am Guten! Seid einander in geschwisterlicher Liebe zugetan, übertreffet euch in gegenseitiger Achtung! (...) Lasst euch vom Geist entflammen..." (vgl. Röm 12,9-11).
Amen