23. Januar 2018

Predigt im Pontifikalamt am Fest des Sel. Nikolaus Groß

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Predigt von Weihbischof Wilhelm Zimmermann

Text: Günter Kunert, "Wie ich ein Fisch wurde"
in: "Der ungebetene Gast" (1965)

Anrede…

Günter Kunert, Jahrgang 1929, ist einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller und Dichter mit DDR - Vergangenheit. Er verarbeitet in seinen Texten die reale Situation der Menschen im Wandel der Gesellschaft.

In seinem Gedicht: „Wie ich ein Fisch wurde“ beschreibt er eine unvorstellbare Naturkatastrophe: Flüsse treten über die Ufer und setzen das Land unter Wasser. Die Flucht der Bewohner in die Berge nützte nichts, da das Wasser auch die Berggipfel erreicht. Die Ozeane ergießen sich über den Strand und erfassen alles Lebende. Der Versuch, sich vor dem Ertrinken zu retten, gelingt nur kurze Zeit, bis die Kräfte erlahmen.

Der Verfasser selbst aber kommt in seinem Gedicht auf die Idee, sich dem Wasser anzupassen, um dadurch zu überleben und schreibt in Strophen:

„Kurz bevor die letzten Kräfte mich verließen, Fiel mir ein, was man mich einst gelehrt: Nur wer sich verändert, den wird nicht verdrießen - Die Veränderung, die seine Welt erfährt. Leben heißt: Sich ohne Ende wandeln. Wer am Alten hängt, der wird nicht alt. So entschloss ich mich, sofort zu handeln, Und das Wasser schien mir nicht mehr kalt“.

Seine Arme werden danach zu Flossen, grüne Schuppen überziehen seine Haut. Das Atmen war unter Wasser möglich und der Gedanke, wie ein Fisch durch die Fluten zu gleiten, machte ihn glücklich.

Am Ende des Gedichtes aber fragte er sich: Was ist, wenn das Wasser verrinnt? Kann ich dann wieder Mensch sein? Oder habe ich durch den Wandel mein Menschsein verloren? Und sein Text lautet:

„Denn aufs neue wieder Mensch zu werden, Wenn man's lange Zeit nicht mehr gewesen ist, Das ist schwer für unsereins auf Erden, Weil das Menschsein sich zu leicht vergisst“.

Das Gedicht weckt zunächst Assoziationen an Sturzbäche und Dammbrüche; an Lawinen und Bergrutsche; an Tsunamis und an die Sintflut in der Bibel.

Allerdings schrieb Günter Kunert sein Gedicht 1965 in Ostberlin, in der damaligen DDR. Und er schrieb es im Blick auf die Repressalien, denen viele Bürger und Bürgerinnen der DDR ausgesetzt waren, wenn sie sich nicht in die Gedankenwelt und Ideologie des Staates einfügten.

Hinter dem Gedicht steht für den Verfasser die Frage nach Rückgrat oder Anpassung in Staat und Gesellschaft.

Und hier sind wir dann ganz dicht bei Nikolaus Groß, Alfred Delp, Dietrich Bonhoeffer und andere bekannte und unbekannte Männer und Frauen, die sich dem NS–Regime auf Grund christlicher Überzeugung entgegen stellten.

Jesus hat seine Jünger nicht darüber im Unklaren gelassen, das seine Nachfolge unangenehme und auch lebensbedrohende Konsequenzen haben kann. Das Evangelium, das wir gerade gehört haben, ist eine von mehreren Stellen, in denen Jesus auf die Konsequenzen des Glaubens hinweist.

Anpassung oder Rückgrat? Schwimmen mit dem Strom oder Nachteile in Kauf nehmen? In der Zeit des Nationalsozialismus stellte sich Nikolaus Groß gegen eine antichristliche und freiheitsfeindliche Ideologie, die dabei war, alle Lebensbereiche zu durchdringen. Mit dem Marxismus und Leninismus alle Lebensbereiche zu durchdringen, war auch Ziel der ehemaligen DDR-Staatsführung und damit verbunden die Absicht, das Christentum in seiner kirchlichen Gestalt aus der Öffentlichkeit und dem Bewusstsein der Menschen zu verdrängen. Im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Reformation vor 500 Jahren bin ich einige Male in Wittenberg gewesen und konnte etwas über das kirchliche Leben von heute in der Stadt erfahren. Dabei war auch erkennbar, dass der nach der Wiedervereinigung erhoffte Zuspruch zu den christlichen Kirchen ein Trugschluss war. Sicher spielten die Kirchen, besonders die evangelische Kirche, beim Aufstand der DDR–Bürger eine starke und tragende Rolle. Und wir erinnern uns an die übervollen Kirchen vor und nach den Montagsdemonstrationen, - doch dies führte aber bisher nicht zu einer spürbaren Belebung kirchlichen Lebens in Ostdeutschland.

Im Jubiläumsjahr 2017 sind ca. 11-13% der Einwohner der Lutherstadt Wittenberg evangelisch und 4% katholisch.

Vermutlich spielt auch die NS–Zeit und ihre Auswirkungen noch eine gewisse Rolle und deren Absicht, den christlichen Glauben durch die NS–Ideologie zu ersetzen. So kann man wohl sagen kann: Der christliche Glaube ist von 1939–1989 seitens des jeweiligen Staates in Ostdeutschland benachteiligt, verdrängt oder bekämpft worden. Viele haben sich den Gegebenheiten angepasst, um die eigenen Lebensvorstellungen einigermaßen umsetzen zu können, besonders im schulischen und beruflichen Bereich.

Die, wie mir scheint, entscheidende Frage des Dichters ist ja die Frage, ob ich bei aller möglichen, vielleicht notwendigen Anpassung, meine Identität als Christ nicht dauerhaft verliere?

Nun leben wir hier und jetzt in keinem Land, in dem der Staat durch Repressalien den Glauben und das Christentum unterdrückt. Im Gegenteil, Kirche und Staat arbeiten in vielen Bereichen in Deutschland eng zusammen. – Und doch spüren wir, dass der christliche Glaube für immer mehr Menschen an Bedeutung verliert. Eine Reihe von Statistiken und Untersuchungen belegen das.

Ich möchte daher die Frage aufwerfen und sie uns zum Bedenken mitgeben: Leben wir und viele Christen mit uns heute nicht auch in der Phase einer Anpassung an Lebensumstände, die zwar nicht durch äußere Repressalien hervorgerufen wird, die aber einfach durch unsere Gesellschaft geschieht, die in vielfältiger Weise christliche Werte und Lebensorientierungen zunächst verdeckt und dann in Vergessenheit geraten lässt? Konsumorientierung, Ichbezogenheit, Macht des Geldes oder oberflächliches Leben sind Begriffe oder Haltungen, die mir dazu einfallen.

In der Zeit von Nikolaus Groß lebte die Masse unseres Volkes in der Anpassung an den Nationalsozialistischen Staat. Aber viele lebten angepasst, ohne ihre christliche Identität innerlich zu verlieren.

Auch in der ehemaligen DDR lebten die meisten Menschen angepasst an den Staat. Einige aber eben auch eine Weise, ohne ihre christliche Lebensorientierung zu verlieren. Heute leben auch wir vielfach angepasst, oberflächlich und das Leben genießend. Dass wir dabei unsere innere Identität, unser christliches Menschsein, nicht verlieren, sollte uns am Gedenktag eines Bekenners und Märtyrers erneut bewusst werden. Amen

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