6. Oktober 2010:

Predigt von Weihbischof em. Grave

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Am 7. Oktober 2001 sprach Papst Johannes Paul II. den Arbeiter, Journalisten, Familienvater, Widerstandskämpfer und Märtyrer Nikolaus Groß in Rom selig. 9 Jahre später, am 6. Oktober 2010, hielt Weihbischof em. Franz Grave eine Gedenk-Vesper in der St.-Mauritius-Kirche in Hattingen-Niederwenigern, dem Geburtsort des Seligen.

Lesen Sie dazu einen Beitrag auf der Homepage des Bistums Essen:

Predigt des Weihbischofs

"Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen"

Wer sich in die Schriften und jour-nalistischen Beiträge von Nikolaus Groß vertieft, hat nicht den Ein-druck, dass er trockene Geschichte studiert, die ins Archiv gehört. Das Schrifttum des Nikolaus Groß ist lebendig und hat Zeugnis-Charakter. Es beschreibt das wirkliche Leben eines Mannes, der „Gott mehr gehorcht als den Menschen“! Rein äußerlich ist der gläubige Christ der Verlierer. Wie sollte er auch den damaligen Machthabern wi-derstehen, Gestalten wie Hitler, Freisler und Himmler von seiner Weltanschauung überzeugen? Frei-sler bestimmte den Verlauf des Prozesses und die brutalen Metho-den des Volksgerichtshofes. Er be-stimmte über Leben und Tod der Angeklagten! Die Brutalität der Verfahren kannte weder Gerechtig-keit noch Gnade. Das Ziel war es, Menschen in ihrer Existenz auszu-löschen und alles zu vernichten, was Erinnerung an sie wachgehalten hätte. Diese totale Vernichtung ahnte Nikolaus Groß, als er seiner Frau beim Abschied sagte: „Sucht nachher nicht nach meinem Leich-nam. Ihr werdet ihn nicht finden. Wir werden alle verbrannt. Und dennoch wird uns der Herr aufer-stehen lassen: Auf Wiedersehen in einer besseren Welt“.

Papst Johannes Paul II. zitierte in seiner Predigt bei der Selig-sprechung den Propheten Habakuk: „Der Gerechte bleibt wegen seiner Treue am Leben“. So ist Nikolaus Groß äußerlich der Verlierer, aber in der Sicht des Glaubens der Gewinner!

Wiederholt habe ich an den Todes-balken in Berlin-Plötzensee gestan-den und konnte mir die Grausam-keiten, die hier geschehen sind, nicht vorstellen. Nach dem Tod durch den Strang gab es keine wei-tere Spur mehr! Das Ziel lautete: Totale Auslöschung! So kam es, dass von Nikolaus Groß keinerlei Reliquien aufgefunden wurden. Al-lein seine Schriften sind in reichem Maße erhalten und haben die Funk-tion von Reliquien übernommen! Unter den Schriftzeugnissen ver-dient der Abschiedsbrief, geschrie-ben am „St. Agnes-Tag“ 1945, be-sondere Wertschätzung. Dieser Brief ist wohl ohne Übertreibung einer der kostbarsten Märtyrer-Dokumente der modernen Zeit!

Im Seligsprechungsprozess spielte schon bald die Frage eine große und entscheidende Rolle, aus welchen Motiven Nikolaus Groß im Widerstand mitgetan hat. Waren es politische Motive oder zutiefst reli-giöse Gründe? Dahinter verbirgt sich die Frage, ob Nikolaus Groß Märtyrer des Glaubens oder politi-scher Widerstandskämpfer war. Der Befund ist eindeutig: Weil er gläubiger Christ war, musste er zwangsläufig mit dem Nationalso-zialismus zusammenstoßen und die Unvereinbarkeit mit dem Glauben offen erklären.

Papst Johannes Paul II. sagte in seiner Predigt während der Selig-sprechungsfeier auf dem Pe-tersplatz: „Mit Scharfsinn erkannte er, dass sich die nationalsozialisti-sche Ideologie nicht mit dem christlichen Glauben verbinden lässt“.

Für Nikolaus Groß war Glauben keine auf Welt-Distanz gerichtete Haltung. Auch war der Glaube für ihn keine rein innerkirchliche An-gelegenheit. Er lebte einen Glauben, der aus der Bindung an Gott auch Halt gab für den Dienst in der Welt. Dieser Glaube schloss die Welt nicht aus, im Gegenteil: er schloss sie be-wusst ein. Es war ein Glaube – so könnte man ein wenig interpretierend sagen, - der auch die Welt liebte. Dieses Glaubens-verständnis schloss darum ganz selbstverständlich den Beruf mit ein, die verantwortliche Gestaltung von Gesellschaft und Staat und nicht zu-letzt die Familie. Gerade in Bezug auf die Familie hat Nikolaus Groß in einer kleinen Schrift „Sieben um einen Tisch“ seine christliche Sicht dargestellt. Manches davon ist zeitgebunden. Das meiste jedoch überzeitlich und unaufgebbar, z. B. Ehe und Familie als Urzelle der menschlichen Gesellschaft und Treue als lebenslängliche Bindung.

Schon früh nimmt er den Kampf gegen den Nationalsozialismus auf. Er ist ein wacher Beobachter der Zeitgeschichte und seine Analysen sind „up to date“. Der Nationalso-zialismus ist für ihn „das Evangeli-um der politisch und wirtschaftlich Primitiven“. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und zeigt im Ver-bandsorgan der KAB, der West-deutschen-Arbeiter-Zeitung, ständig Flagge. In Hitler sieht er – wörtlich -, einen „Scharlatan“ und einen „falschen Propheten“. Nach den Reichtagswahlen am 6. November 1932, bei denen die Natio-nalsozialisten zwei Millionen Stimmen verlieren, prophezeit Ni-kolaus Groß den Niedergang Hitlers. Welch ein Irrtum! Das ändert aber nichts an seiner durchgreifenden Nazi-Kritik. Er schreibt: „Wir lehnen als katholische Arbeiter den Nationalsozialismus nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, sondern entscheidend auch aus unserer religiösen und kulturellen Haltung entschieden und eindeutig ab“. Auch in dieser Äußerung zeigt sich deutlich, dass die Spiritualität des Nikolaus Groß keine nur jenseitig ausgerichtete war. Verantwortung für die gesell-schaftliche Entwicklung war für Ni-kolaus Groß ein wesentliches Ele-ment seiner Frömmigkeit. Christli-che Religiosität war nicht weltflüch-tig, sie war im Gegenteil welttüchtig! Nikolaus Groß brachte sie auf die klassische Formel: „Der Christ darf sich so wenig, wie die Kirche es tut, gleichgültig verhalten gegenüber Zuständen im natürlichen Leben. Gewiss liegt unser letztes Ziel im Jenseits, aber wir haben uns doch im Diesseits als Mensch und Christ zu bewähren. Unser Glaube ist nicht von dieser Welt, aber er soll in diese Welt hineinleuchten, sie beeinflussen und mitgestalten!“

Nikolaus Groß vertritt einen Glau-ben, der später in den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils auf-gegriffen und weitergeführt wird. Es sind vor allem die Dokumente über „die Aufgabe und Stellung der Laien“ – und vielleicht noch deutli-cher in der Pastoralkonstitution „die Kirche mitten in der Welt“. Was die Väter des Konzils feierlich doku-mentierten, war bereits Jahre früher gelebte Wirklichkeit im Leben vieler Laien wie Nikolaus Groß. Ich glaube, dass wir diesen Aspekt der weltbezogenen Laienspiritualität in ihrer Auswirkung auf das Konzil viel zu wenig bedacht haben. Zur gelebten Frömmigkeit des Nikolaus Groß gehörte die Bewährung als Laie mitten in der Welt. Das Konzil spricht später vom „christlichen Weltdienst“ und von der „Eigenständigkeit der weltlichen Sachbereiche“, für die die Verantwortung bei den der Laien liegt. Ich finde, es ist an der Zeit, auf den geistlichen und sachlichen Einfluss von Nikolaus Groß zum II. Vatikanischen Konzil aufmerksam zu machen. Ich finde: Das II: Vati-kanische Konzil hat einen nicht zu unterschätzenden Vorlauf im Leben von Laien wie Nikolaus Groß, Gottfried Könzgen, Bernhard Letterhaus etc., gehabt. Sie haben mit ihren Glaubens- und Lebens-zeugnissen unbewusst die Beratun-gen des Konzils beeinflusst

In diesem Zusammenhang war auch die Begegnung mit Pater Alfred Delp bedeutsam. Nikolaus Groß lernte ihn 1941 in der von den Bischöfen eingerichteten Zentralstelle für Männerseelsorge in Fulda kennen. P. Delp SJ., der Mitglied im oppositionellen Kreisauer Kreis war, war – wie Nikolaus Groß – für eine stärkere Präsenz der katholischen Verbände in der damaligen Gesellschaft. Er betonte immer wieder, dass sich die Kirche offensiv für die Verteidigung der Men-schenrechte einsetzen muss. Er sparte auch nicht mit Kirchenkritik, wenn er die aktuelle Kirchenlage beschrieb. Seine Kritik war immer positiv und konstruktiv. Aber Alfred Delp brachte doch zum Ausdruck, dass nur eine erneuerte Kirche in der Lage ist, die Gesellschaft zu beeinflussen und Gerechtigkeit und Frieden zu vermitteln. Sehr nach-haltig haben mich einige Sätze aus seinem Beitrag „Das Schicksal der Kirchen“ beeinflusst. Alfred Delp schreibt: „Mit Diakonie meine ich das Sich-Gesellen zum Menschen in allen seinen Situationen mit der Absicht, sie ihm meistern zu helfen. (...) Damit meine ich das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheiten des Menschen, um bei ihm zu sein genau und gerade dann, wenn ihn Verlorenheit und Verstiegenheit umgeben. ‚Geht hinaus’, hat der Meister gesagt, und nicht: ‚Setzt euch hin und wartet, ob einer kommt.’"

Das sind starke Worte, die auf Ni-kolaus Groß großen Eindruck ge-macht haben und die auch sein Handeln bestimmt haben. Er wartete nicht ab, ob einer kommt. Er ist das klassische Beispiel eines Christen, der in Wort und Schrifttum die Nähe zu den Menschen sucht, für den der Mensch – um ein Wort von Papst Johannes Paul II. aufzugreifen – der „Weg der Kirche“ ist. Auf welchen Wegen sind wir?

Nikolaus Groß ist ein „moderner“ Heiliger! Darum darf es nicht ge-schehen, dass er in den Archiven der Geschichte abgelegt wird. Er hat uns sein Erbe hinterlassen. Was ist seine Botschaft?

Weihbischof em. Franz Grave


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