23. Januar 2005:

Pontifikalamt

des Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender

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in der Kirche Maria Regina Martyrum

(3. Sonntag i. J. [A]: Jes 8, 23b-9, 3; 1 Kor 1, 10-13,17; Mt 4, 12-23)

Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender

Einführung

Liebe priesterliche Mitbrüder,
liebe Ordensschwestern,
liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Auf Einladung des Diözesanverbandes Berlin der KAB haben wir soeben in einer Gedenkstunde in der Gedenkstätte Plötzensee des Todes von Nikolaus Groß vor 60 Jahren gedacht. In dieser Eucharistiefeier danken wir nun Gott, dass er uns in Nikolaus Groß einen so mutigen Zeugen des Glaubens geschenkt hat.

Ich begrüße alle, die an dieser Feier teilnehmen, insbesondere die Karmelitinnen, in deren Klosterkirche wir hier versammelt sind, alle anwesenden Verantwortlichen und Mitglieder der KAB sowie die Gläubigen der hiesigen Gemeinde. Ein ganz besonderer Gruß gilt dem jüngsten Sohn von Nikolaus Groß, Herrn Diakon Bernhard Groß.

Verbrechen und jegliches Unrecht haben ihre Wurzeln in den Herzen der Menschen, im verkehrten Denken und ungeläuterten Wollen. Lassen Sie uns zu Beginn dieser Eucharistiefeier Gott bitten, dass er uns zeige, wo unser Herz von selbstbezogenem, diesseitigem Denken beherrscht wird und wir uns von ihm bestimmen lassen. Bitten wir Gott, dass uns alle Schuld vergebe und uns mit neuer Kraft für unseren weiteren Lebensweg erfülle.

Predigt

Schwestern und Brüder im Herrn!

1. Bei der Seligsprechung von Nikolaus Groß am 7. Oktober 2001 auf dem Petersplatz in Rom wies Papst Johannes Paul II. auf die dunkle Zeit hin, in der der Journalist und Familienvater Groß lebte, und auf die Konflikte, die sich für ihn daraus ergaben, dass die nationalsozialistische Ideologie sich nicht mit dem christlichen Glauben vereinbaren ließ. Der Papst sagte dann über ihn: "Mutig griff er zur Feder, um ein Plädoyer für die Würde des Menschen abzulegen. Nikolaus Groß hat seine Frau und Kinder sehr geliebt. Aber nicht einmal das innige Band zu seiner eigenen Familie erlaubte es ihm, sich vom Bekenntnis zu Christus und seiner Kirche zurückzuziehen. Ihm war klar: ‚Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie wollen wir dann vor Gott und unserem Volk einmal bestehen?' Für diesen Glauben musste er an den Galgen, doch dafür öffnete sich ihm der Himmel. Im seligen Märtyrer Nikolaus Groß verwirklicht sich, was der Prophet vorausgesagt hat: ‚Der Gerechte bleibt wegen seiner Treue am Leben' (Hab 2, 4)" So der Papst bei der Seligsprechung. Und den Pilgern, die zu der Seligsprechung nach Rom gekommen waren, gab er am nächsten Tag bei der Sonderaudienz als Wegweisung des seligen Nikolaus Groß mit auf den Weg, "Gott mehr zu gehorchen als den Menschen", und fuhr dann fort: "Gerade unsere Zeit braucht dringend überzeugte Christen, die auf die Stimme des Gewissens hören und den Mut aufbringen, den Mund zu öffnen, wenn es um die Würde des Menschen geht."

Im Folgenden möchte ich nun das Leben und das Wirken des Seligen unter drei Gesichtspunkten beleuchten.

1. Nikolaus Groß, 1898 geboren, war ein Mann, der mit seiner ganzen Existenz bemüht war, als Laie die Welt der Arbeit und des Berufes, der Politik und der Gesellschaft aus dem Geist des christlichen Glaubens zu gestalten. Schon bald nach der Schulentlassung arbeitete er als Bergmann unter Tage, engagierte sich früh bei den christlichen Gewerkschaften, ließ sich schulen und auf diese Weise für eine hauptberufliche Arbeit im Rahmen der Gewerkschaften vorbereiten. Mit 22 Jahren wurde er Jugendsekretär beim Gewerkverein christlicher Bergarbeiter, später arbeitete er dann in verschiedenen anderen Funktionen. Aus seinem christlichen Menschenbild und Selbstverständnis heraus ging es ihm dabei immer um die Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft, die er in den Jahren nach seiner Schulentlassung auch im eigenen Leben unmittelbar kennen gelernt hatte. Sein fortwährendes Bemühen um Fortbildung, seine Flexibilität und Mobilität im Einsatz für die Interessen der Arbeiter in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit hatten ihr Fundament in seinem katholischen Glauben, aus dem heraus für ihn soziales Engagement, Solidarität mit den Mitmenschen und Übernahme von Verantwortung in der Gesellschaft selbstverständlich waren.

Seit 1918 gehörte er auch der KAB an. Er kam zu der Einsicht, dass es in ihr noch größere Möglichkeiten als in den christlichen Gewerkschaften gab, die Arbeiter zu richtigem eigenverantwortlichen Handeln zu befähigen. So nahm er das Angebot an, Redakteur der von der Westdeutschen Katholischen Arbeitnehmerbewegung in Köln herausgegebenen Westdeutschen Arbeiterzeitung zu werden. Prägende Wirkung hatten für Nikolaus Groß die Begegnungen mit Otto Müller, der als Präses die Leitung des Verbandes katholischer Arbeiter- und Knappenvereine innehatte, und mit Bernhard Letterhaus, den Präses Müller zur selben Zeit als Verbandssekretär engagiert hatte. Seine neue Aufgabe brachte es mit sich, dass er in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus mit in der vordersten Reihe stand. Was seine Zeitung betraf, so musste er nach der Machtergreifung Hitlers einen Weg gehen, der auf der einen Seite keinen Grund für ein Verbot lieferte und auf der anderen seine Botschaft aber doch noch überbrachte. Es war eine Gratwanderung, die von den Lesern der Zeitung - sie hieß inzwischen "Ketteler-Wacht" - wohl verstanden wurde, jedoch auf Dauer ihr Verbot nicht verhindern konnte.

In seiner journalistischen Arbeit war Groß in der damaligen Situation einer, der zugleich im politischen Raum agierte. Groß sah seine politische Heimat im Zentrum, für das sein Freund Letterhaus im preußischen Landtag saß und der KAB-Vorsitzende Joos im Reichstag. Letzter Beweggrund für seine politische Tätigkeit war für ihn die Überzeugung von der Verpflichtung, dem Gemeinwohl dienen zu müssen, wobei er das Opfer des Lebens nicht ausschloss. Als eines seiner letzten Worte vor seiner Hinrichtung ist der Satz überliefert:

"Was kann ein Vater seinen Kindern Größeres hinterlassen als das Bewusstsein, dass er sein Leben für die Freiheit und Würde seines Volkes gegeben hat?"

2. Und wie steht es heute mit einem solchen Verständnis von Politik? Sicher wäre es nicht richtig, wollte man einer in unseren Tagen weit verbreiteten Schelte zustimmen, die den Politikern insgesamt Selbstbezogenheit und Selbstbedienungsmentalität vorwirft. Dass es Missstände gibt, steht außer Zweifel. In der generellen Verdächtigung von Politikern spiegelt sich gewiss auch die Mentalität der heutige Gesellschaft wider, die nicht selten in der Kritik an "denen da oben" das eigene schlechte Gewissen kaschiert. Dennoch dürfen wir fragen, wie viele der Politiker heute, wenigstens ansatzweise, von dem Ethos des seligen Nikolaus Groß bestimmt sind. Wie viele von ihnen sehen ihr Mandat als ein Mittel, das Land mehr im Sinne Gottes zu gestalten? Wenn Politiker auf der Ebene der Europäischen Union keinen Gottesbezug in der Verfassung haben wollen - wenn ein fachlich hoch qualifizierter Politiker deswegen als Kommissar der EU abgelehnt wird, weil er sich persönlich an die Zehn Gebote gebunden fühlt: deutet das nicht auf ein Selbstverständnis hin, das sich aus anderen Quellen nährt als aus dem christlichen Glauben? Gewiss gibt es auch in Deutschland Politiker, die sogar regelmäßig an Tagen der geistlichen Einkehr und des Gebetes teilnehmen und für die ihr Christ sein wesentlich und bestimmend für ihr politisches Handeln ist. Dennoch ist, aufs Ganze gesehen, die Luft des Glaubens heute merklich dünner geworden. Das schlägt sich auch darin nieder, dass immer weniger Menschen aus christlicher Verantwortung heraus bereit sind, sich für Aufgaben im politischen oder gesellschaftlichen Bereich zu Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang auf Nikolaus Groß zu schauen, bedeutet, den Anruf und die Aufforderung zu vernehmen, sich um Gottes und der Menschen willen in Dienst nehmen zu lassen. Die heutige Zweite Lesung aus dem Ersten Korintherbrief des Apostels Paulus zeigt uns, dass Haltungen wie diese auch unter Christen nicht selbstverständlich sind, sondern eingeübt werden müssen - im Hinschauen auf Jesus Christus, der uns in allem das Maß gibt.

3. Nikolaus Groß war zugleich - und damit komme ich nun zum zweiten Punkt - Ehemann und Familienvater. Seine Frau und seine Kinder, denen er in inniger Liebe verbunden war, waren allein schon durch seine zahlreichen beruflich bedingten Umzüge stark mit betroffen, aber auch durch seine häufige Abwesenheit. Seine Frau trug bewusst seinen Einsatz mit und hielt ihm dafür den Rücken frei, indem sie die Hauptlast bei der Erziehung der sieben Kinder trug, ihn dabei aber zugleich an ihrer Seite wusste. So schrieb er in seinem Büchlein Sieben um einen Tisch: "Die tiefen Sorgen kreisen unablässig um die Sieben, aus denen tüchtige, aufrechte und seelenstarke Menschen werden sollen." Er wusste sich auch angesichts des Risikos, das sich aus seiner Mitwisserschaft über die Pläne für den 20. Juli 1944 ergab, in der Pflicht gegenüber Gott und dem deutschen Volk: Er stand in Treue zu seinem Gewissen und gab auch den Kindern ein Zeugnis seines Glaubens.

Nikolaus Groß war ein Mensch, der die Spannungen, in denen er stand, aushielt, weil er eine klare Vorstellung von der Rangordnung der Werte hatte und aus seiner gläubigen Verbundenheit mit Gott Kraft und Zuversicht auch in ausweglos erscheinenden Situationen schöpfte.

4. Wie weit ist bei uns Christen heute noch das Bewusstsein lebendig, dass der Glaube das Höchste und Kostbarste ist, das Eltern ihren Kindern mit auf den Weg ins Leben mitgeben können, und dass dabei das vorgelebte Beispiel eine schwer zu ersetzende Rolle spielt - etwa beim Besuch der Sonntagsmesse oder beim regelmäßigen Empfang des Bußsakramentes? Wer sieht es heute noch als etwas Positives und Beglückendes an, wenn ein Sohn oder eine Tochter erklärt, dass sie Gott, der Kirche und damit auch den Menschen als Priester oder Ordensfrau oder in einem anderen kirchlichen Beruf dienen wollen? Und wer ist bereit, diesen Menschen in den Anfechtungen und Gefährdungen auf ihrem Weg durch Gebet und Opfer hilfsbereit beizustehen? Welche Rolle spielt überhaupt das Gebet noch in unseren Familien? Der Blick auf den seligen Nikolaus Groß kann uns hier den Blick für unsere Verantwortung neu schärfen.

5. Das führt uns schließlich zum dritten Punkt unserer Überlegungen, zu der Frage nach seinem Glauben. Nikolaus Groß ist sicher vieles vom Elternhaus und von seiner Pfarrgemeinde mit auf den Weg gegeben worden. Vieles hat er sich aber auch selbst erarbeitet. Er hat eine Frau geheiratet, deren Lebensausrichtung seiner eigenen entsprach. Er ist Menschen begegnet, die seinen künftigen Lebensweg entscheidend mitbestimmt haben. Aber all das konnte eines nicht ersetzen: sich im Gebet dem lebendigen Gott selbst ganz anzuvertrauen, ihm sein Herz zu überantworten, so dass der Heilige Geist es nach seinem Willen gestalte. Aus der Todeszelle schrieb er am Tag seiner Hinrichtung; "Wer sich mit Gott beschäftigt, hat keine Langeweile, und der Gespräche mit ihm werde ich nicht überdrüssig. Besonders unterhalte ich mich mit ihm über Euch, über jeden einzelnen von Euch, und sage ihm dabei alles, was ich auf dem Herzen habe, Sei also getrost, Mutter, ich verbringe meine Tage in bester Weise und Gesellschaft." Dieser Text strahlt tiefes Vertrauen und Ergebung in den Willen Gottes aus.

6. Das Gebet des Christen kennt viele Formen. Allen gemeinsam ist, dass sie uns vor den lebendigen Gott bringen. Das Gebet gibt uns auf dem Weg unserer Pilgerschaft Kraft und Orientierung, es lässt uns zu Fürsprechern für andere werden, es reinigt unser Herz und erfüllt uns mit der Sehnsucht nach der Vollendung, in der wir einmal Gott schauen dürfen von Angesicht zu Angesicht. Der selige Nikolaus Groß, dessen wir in dieser Messfeier gedenken, hat sich - wie die Jünger, von denen das Evangelium des heutigen Sonntags spricht - in die Nachfolge des Herrn rufen lassen. Bitten wir ihn in dieser Feier um seine Fürsprache, dass auch wir seinem Beispiel folgen und einst mit ihm am ewigen Mahl im himmlischen Reich teilhaben.

Amen. +


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