23. Januar 2005:

Herr Prof. Dr. em. Günter Brakelmann über Hellmuth James Graf von Moltke

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Hellmuth James von Moltke - ein Mann des protestantischen Widerstandes, Motive und Vermächtnis

Prof. Dr. em. Günter Brakelmann

Es hat viele Formen und Gesichter des Widerstandes gegeben und es sind viele Wege gewesen, die zu ihm geführt haben. Der Spross eines alten Adelsgeschlechtes mit einigen berühmten Namen hochrangiger Militärs ist schon in seiner Jugend als Schüler und Jurastudent einen eigenen, für seine Schicht weithin unüblichen Weg gegangen. Der 1907 geborene Erbe des Kreisauer Gutes in Niederschlesien gehört zu der Minderheit die sich politisch, sozial- und gesellschaftspolitisch für die Weimarer Republik gegen ihre rechtsnationalistischen Feinde in Wort und Tat engagiert hat. Der Untergang der Republik als eines demokratischen Rechts- und Sozialstaates durch die wütenden Angriffe der völkisch-nationalen Bewegungen unter der schließlichen Führung der NSDAP und ihres Führers gehört für den 1933 gerade 25 jährigen Referendar in Berlin zu den Intellekt, Geist und Seele schmerzenden Erfahrungen. Seine Mutter Dorothy von Moltke, eine englische Demokratin aus Südafrika, hat in ihren Briefen an ihre Eltern die Geistes- und Gemütslage ihrer Familie unter den Bedingungen der Spätphase der Republik und der Anfangsphase der NS-Zeit dramatisch beschrieben Während der größere Teil ihres Standes das Ende der Republik und den Aufbau eines autoritären und bald totalitären Systems nach der Logik einer Weltanschauung, die einen radikalen Bruch mit der deutschen und europäischen Aufklärung wollte, emphatisch begrüßte, war man in Kreisau verzweifelt über den Abbau der Rechtsstaatlichkeit und über den organisierten Terror gegen Andersdenkende. Die zur Herrschaft über alle Bereiche des Lebens drängende nationalsozialistische Weltanschauung war antiaufklärerisch, antiliberal, antisozialistisch und antisemitisch. Die Moltkes waren von diesen "Antis", die in der deutschen Ideen- und Mentalitätsgeschichte eine große Rolle gespielt haben, nie berührt worden. Das NS-System war ihnen nicht nur fremd, sondern von Anfang an Inbegriff geistiger und politischer Perversion.

Der junge Referendar konnte nicht in den Dienst eines Machtsystems eintreten, das normative Bindungen ablehnte und ein Recht entwickelte, das als Führerrecht keiner Kontrolle und Begrenzung unterlag, Wenn Führerwort und Führerbefehl geltendes Recht setzte, war dieses Recht zur Waffe für politische Zwecke funktionalisiert worden. Völlig unverständlich waren dem jungen Juristen die zustimmende Interpretation des neuen Rechtsdezisionismus durch bekannte Verfassungsrechtler und die widerspruchslose Anwendung dieses Rechtes durch die Mehrheit der Juristen im Amt. Wenn die Kreisauer später in ihren "Grundsätzen für die Neuordnung" vom 9. August 1943 als erstes Ziel formulierten "Das zertretene Recht muss wieder aufgerichtet und zur Herrschaft über alle Ordnungen des menschlichen Lebens gebracht werden", so ist dies ein entscheidendes Motiv für ihren Widerstand gewesen. Moltke und seine Freunde wollten nach den Erfahrungen totalitärer Rechtswillkür zurück zu einer Rechtsordnung, die auf dem Fundament von Grund- und Menschenrechten basierte, die nicht von staatlichen Machtinteressen und politischen Nützlichkeitserwägungen aufgehoben werden konnten.

Es ist folgerichtig, wenn die Kreisauer der totalitären Herrschaftspraxis eine Neubestimmung des Staates entgegensetzen:

  1. "Es ist nicht Bestimmung des Staates, Menschen zu beherrschen und durch Gewalt oder Furcht vor Gewaltanwendung zu zügeln, vielmehr ist es die Bestimmung des Staates, die Menschen in eine solche Beziehung zueinander zu bringen, und sie darin zu erhalten, dass der Einzelmensch von jeder Furcht befreit in voller Sicherheit und doch ohne Schaden für seinen Nächsten zu leben und zu handeln vermag.
  2. Es ist nicht die Bestimmung des Staates, Menschen zu wilden Tieren oder zu Maschinen zu machen, vielmehr ist es die Bestimmung des Staates, dem Einzelmenschen denjenigen Rückhalt zu geben, der es ihm ermöglicht, Körper, Geist und Verstand ungehindert zu betätigen und zu entwickeln.
  3. Es ist nicht Bestimmung des Staates, unbedingten Gehorsam und blinden Glauben an sich oder an etwas anderes vom Menschen zu fordern, vielmehr ist es die Bestimmung des Staates, den Einzelmenschen dahin zu führen, dass er nach den Geboten der Vernunft lebt, diese Vernunft bei allen Dingen betätigt, und ihn zugleich dahin zu leiten, dass er seine Kraft nicht in Hass, Ärger, Neid verschwendet oder sonst unrecht handelt. Die letzte Bestimmung des Staates ist es daher, der Hüter der Freiheit des Einzelmenschen zu sein. Dann ist es ein gerechter Staat"

Neben dieser Wiederaufrichtung eines freiheitlichen Rechtsstaates ergibt sich folgerichtig als nächstes Motiv des Widerstandes gegen den weltanschaulichen Alleinanspruch: die Geltung der Glaubens- und Gewissensfreiheit.

Es heißt:

"Die Glaubens- und Gewissensfreiheit wird gewährleistet... Brechung des totalitären Gewissenszwangs und Anerkennung der unverletzlichen Würde der menschlichen Person als Grundlage der zu erstrebenden Rechts- und Friedensordnung..."

Ein weiteres Hauptmotiv des Widerstandes gegen die organisierte Entmündigung des einzelnen zugunsten kollektiver Ziele ist die Mitverantwortung eines jeden für ein humanes und freies Gemeinwesen:

"Die persönliche politische Verantwortung eines jeden erfordert seine mitbestimmende Beteiligung an der neu zu belebenden Selbstverwaltung der kleinen und überschaubaren Gemeinschaften. In ihnen verwurzelt und bewährt, muss seine Mitbestimmung im Staat und in der Völkergemeinschaft durch selbstgewählte Vertreter gesichert und ihm so die lebendige Überzeugung der Mitverantwortung für das politische Gesamtgeschehen vermittelt werden."

Es ist das Konzept der Demokratie von unten nach oben gegen die Befehls- und Gehorsamspyramide von oben nach unten.

Gegen die NS-Kommandowirtschaft, die alle Regeln des Marktes außer Kraft setzte, wird bei Betonung der Letzt-verantwortung des Staates für die Wirtschaft formuliert:

"Es ist Aufgabe des Staates, durch die Verteilung des wirtschaftlichen Ergebnisses

  1. allen die Beschaffung der notwendigen Lebensgüter zu ermöglichen:
  2. zu verhindern, dass Einzelne sich einen ungerechten Anteil an den überschüssigen Lebensgütern verschaffen und dass Einzelne, viele oder alle die wirtschaftlichen Möglichkeiten zu bloßer Ablenkung oder zur Herstellung von wirtschaftlichen Herrschaftsverhältnissen missbrauchen;
  3. die nichtwirtschaftlichen Zwecke des Staates zu fördern, wie z.B. die Jugend- und Erwachsenenbildung, die Schaffung lebensfähiger Verwaltungseinheiten...;
  4. die Mittel für alle höheren Zwecke bereitzustellen, ohne der Wirtschaft Einfluss auf den Inhalt dieser Zwecke zu gestatten.

Mit diesen Motiven und Zielen sind die moralischen Grundlagen mitformuliert:

Als die politischen Großziele auf dem Fundament dieser Wertentscheidungen, die alle das Gegenbild der eigenen und gemeinsamen schmerzhaften Erfahrungen in ideologiegesteuerter Wirklichkeit sind, ergeben sich als perspektivische "geistige Entwicklungsrichtungen":

Diese politisch anzustrebenden strategischen Ziele setzen die notwendigen Zwischenschritte frei:

Als geistig-moralisches Unterfutter für dieses Bündel an Motiven und Zielen formulieren Moltke und die Kreisauer vier konstitutive Grundelemente:

Also:

- diese Anthropologie, Ethik und Sozialetbik sind genau das Gegenteil zur NS-Ideologie mit ihrem

Es war dieser Geist des Nationalsozialismus, der an der Wiege der NS-Politik steht und die praktische Politik vitalisiert und radikalisiert hat - dieser Ungeist war für Moltke das eigentliche Ziel seines Widerstandes aus anderem Geist. Er hat sich selbst in der epochalen Entscheidungssituation gesehen, die zukünftige Welt von den Mächten eines ungehemmten biologistischen und vitalistischen Denkens und eines unbegrenzten politischen Herrschaftswillens bestimmen zu lassen oder im Rückgriff auf christliche und humanistische Wertentscheidungen, die nicht situationsgebunden sind und je nach Machtinteressen aufgehoben werden können, eine neue Lebensordnung aufzubauen. Grundrechte und Grundfreiheiten können nach seiner Überzeugung in keiner historischen Situation zur Disposition gestellt werden. Den Männern und Frauen, die sich gewissensmäßig an diesen Wertekanon gebunden wussten, ging es nicht in erster Linie um eine Kritik an einzelnen Maßnahmen des NS-Führerstaates, sondern um die Beseitigung jeglicher Kontinuität seiner Theorie und Praxis für die zukünftige deutsche und europäische Geschichte, einschließlich der ideen- und mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen, die zu ihm geführt hatten. Eine Neugeburt Deutschlands aus anderem Geist nach der Katastrophe schloss die inhaltliche Kritik an deutscher Philosophie, an deutscher Staats- und Verfassungslehre, an intoleranten Positionen des Konfessionalismus, an ideologischen Parteidoktrinen und am unsolidarischen Klassendenken des Besitz- und Bildungsbürgertums in der Zeit vor dem Nationalsozialismus mit ein. Die gesamte deutsche Geschichte stand für den Widerstand der Kreisauer auf dem Prüfstand. Nur die gelungeneren Traditionen waren erbfähig.

Der Weg, den Moltke im Widerstand gegangen ist, lässt sich anhand der zahlreichen Kreisauer Texte und seiner Briefe an seine Frau Freya nachzeichnen. Anfang des Krieges wird er, der den Krieg von Anfang an für eine Katastrophe hält, dienstverpflichtet ins Amt Ausland/Abwehr des 0KW unter Admiral Canaris und arbeitet als ausgewiesener Experte für internationales Privatrecht und Völkerrecht in der "Beratungsstelle für Völkerrecht". Hier versucht er angesichts sich brutalisierender Kriegsführung Widerstand gegen Verletzungen des Völker- und Kriegsrecht der deutschen Armee zu leisten. Gegen die Besatzungspolitik, gegen die Behandlung der Kriegsgefangenen, gegen die Mordbefehle des Führers in einem Unterdrückungs- und Ausbeutungskrieg schreibt er eine Menge von Rechtsgutachten, immer mit der Tendenz, Menschenleben zu retten. Das Schlimmste zu verhüten, "unnütze Zerstörung zu vermeiden" wird seine Berufspraxis. Manchmal erringt er sogar einen Sieg, aber im ganzen ist er im Zentrum der militärischen Macht machtlos. So schreibt er am 22. April 1940:

"... heute war wieder ein entsetzlicher Tag, weil wir jetzt anfangen uns in Norwegen zu benehmen wie in Polen... und das alles macht das Militär mit. Ich bin grässlich niedergeschlagen."

Im Amt ein machtloser Mann im Vorzimmer der Mächtigen beginnt Moltke mit dem Aufbau eines Freundeskreises, dem bald Katholiken, Protestanten und Sozialdemokraten angehören. Das Doppelspiel beginnt: im Beruf trotz aller Widerständigkeit im einzelnen ein Mitträger im System, in der Konspiration als Einzelperson immer mehr ein Mann des konsequenten Widerstandes. Mit seinen Freunden zusammen leistet er in den folgenden Jahren eine Riesenarbeit in den Entwürfen für ein anderes, ein neues Deutschland nach der Katastrophe.

Um diese Existenz zwischen beruflicher Belastung und konspirativer Arbeit durchzuhalten, sucht er in Phasen seelischer Depression und körperlicher Krankheit seinen inneren Frieden im geliebten Kreisau zu finden.

Er weiß , was durch Deutsche im In- und Ausland geschieht:

Eine harte, illusionslose Selbstkritik, die das ganze innere Dilemma gerade derer entlarvt, die auf den Sturz des Systems hinarbeiten. Auch und gerade im Widerstand bleibt das Gewissen angeschlagen, da man nicht unmittelbar in der Lage ist, den Verbrechen ein Ende zu machen. Die, die es von ihrer realen Macht her könnten, tun es nicht: die höheren Militärs. Es bleibt nichts anderes übrig, als dass eine Handvoll von Zivilisten und Soldaten in unteren Rängen ihre Widerstandsarbeit verstärkt, um das Regime und seinen Führer zu stürzen. Zur Enttäuschung über das zögerliche Verhalten der Militäropposition kommt das Wissen hinzu, dass die Mehrheit der Beamten und der Wirtschaftsführer, aber auch des Volkes hitlerhörig und hitlertreu ist Gelegentliche Kritik und Unmutsäußerungen ändern nichts an dieser Tatsache. Die Frauen und Männer des Widerstandes haben immer gewusst, dass sie in der Armee und in der Bevölkerung eine ganz kleine Minderheit waren. Resignation hätte nahegelegen. Aber trotz aller Enttäuschungen und Rückschläge machten sie weiter. Ein verwundetes Gewissen kann nicht zusehen, wie die Opfer eines sinnlosen Krieges von Tag zu Tag größer werden. Moltke, ein ständig reflektierender, skrupulöser Mensch erklärt in einem Brief vom 11. Oktober 1941 seiner Frau seine Grundhaltung:

"Die Erkenntnis, dass das, was ich tue, sinnlos ist, hindert mich nicht, es zu tun, weil ich viel fester als früher davon überzeugt bin, dass nur das, was man in der Erkenntnis der Sinnlosigkeit allen Handelns tut, überhaupt einen Sinn hat" Dieser Satz kann ein Spitzensatz für unser Verstehen heute sein. So kann nur ein Ohnmächtiger sprechen, der aber bereit bleibt, das ihm doch Mögliche auch im Umgriff des großen Unsinns zu tun. Er kann das sich immer schneller drehende Rad des Bösen nicht aufhalten, aber er kann wenigstens einige Menschen davor bewahren, überrollt zu werden. Am Anfang des erwähnten Briefes steht die Mitteilung, dass er vor kurzem mit dem Kriegsverwaltungsrat Carlo Schmid, sonst Professor in Tübingen, eine zweistündige "konzentrierte und befriedigende" Unterredung über die Frage der Religion gehabt habe. Und bei der Gelegenheit eines nächtlichen und morgendlichen Nachdenkens über den Krieg und Kreisau, so heißt es weiter, "..wurde ich mir einer Wandlung bewusst, die während des Krieges in mir vorgegangen ist und die ich nur einer tieferen Erkenntnis christlicher Grundsätze zuzuschreiben vermag."

In der Tat: die Kriegserfahrungen und die Arbeit im Widerstand haben Moltke in ein neues Verhältnis zur christlichen Botschaft gebracht. Texte der Bibel und auch Gesangbuchlieder spielen bei ihm eine immer größere Rolle für den geistig-seelischen Haushalt. Die Geschichten der Bibel werden neu entdeckt als Interpretation, als Verständnishilfen für die Gegenwart. Alle aktuell relevanten Themen und Situationen haben in der Tat ihre literarisch-theologische Vorschattung in biblischen Texten. Letztere werden ohne aufwendige wissenschaftliche Exegese unmittelbar verständlich. Die Wahrheit der alten Texte wird ohne Umwege evident für die eigene zeitgenössische Wirklichkeit. Das eigene Leben findet sich wieder in theologisch und anthropologisch gestalteten Texten uralter Traditionen. Das Verstehen der Gegenwart wird durch biblische Bilder und Symbole vermittelt.

Wie er durch fast tägliches Lesen der Bibel Tiefenschärfe zur Beurteilung seiner Gegenwart gewinnt und die eigene Existenz religiös zu verstehen beginnt, so entdeckt er auch die Realität der Kirche als Gemeinde. "Religion" wird bei ihm "das Zusammenspiel von bibelorientierter Verkündigung, von christlich-humanistisch geprägter Kultur in Bildung und Erziehung wie von wertgebundener Politik. Religion ist für ihn die umfassende und alles durchdringende Weise, konkrete Verantwortung für Recht und Humanität in dieser Welt zu übernehmen. Religion ist Christsein im Hören auf das Wort Gottes und zugleich politisches Handeln im Dienst eines human und gerecht geordneten Gemeinwesens." (Brakelmann) Moltke ist ein Beispiel für Menschen, die im Widerfahrnis der NS-Zeit und des Krieges sich - immer im Dialog mit Freunden- hindurcharbeiten zu einem neuen religiösen Selbstverständnis. Am Ende stand für ihn und die meisten seiner Kreisauer Freunde "der radikale Gegensatz: entweder Gott oder Abgott, Christus oder Antichrist. Eine religiöse Zeit- und Geschichtsdeutung gab ihnen praktisch-politisch die Kraft, die harte Arbeit im Widerstand durchzustehen. Die Gewissheit, als glaubende Christen für reale Humanität in der Zukunft einzustehen, ließ sie in ihrer Ohnmacht auch das Opfer des eigenen Lebens bejahen. Auch im möglichen Scheitern war ihnen das mögliche und schließlich gewiss werdende Opfer ein Zeichen zukünftiger Hoffnung."

Moltke, im Januar 1944 verhaftet, steht ein Jahr später zusammen mit dem Jesuiten Alfred Delp vor Freisler. Dieser schreit Delp an: "Von wem nehmen sie ihre Befehle? Vom Jenseits oder von Adolf Hitler?...Wem gilt Ihre Treue und Ihr Glaube?" Deip und Moltke, die nebeneinander in Zellen liegen und sich mit Hilfe der beiden Gefängnispfarrer Harald Poelchau und Peter Buchholz durch Kassiber verständigen können, merken sehr schnell, dass es Freisler in dem Volksgerichtshofprozess um den Gegensatz von Christentum und Nationalsozialismus gebt. Es geht ihm um ein radikales Entweder-Oder zwischen beiden. Der Führer der NSDAP ist Kern und Stern der Orientierung aller Deutschen im Denken wie im Handeln. Es wird von Freisler ein unversöhnlicher und daher unbarmherziger Antagonismus formuliert. Die Kirche mit ihrer Verkündigung der Gebote Gottes und des Evangeliums ist für ihn schon allein durch ihr Dasein eine Provokation des NS-Systems mit seinem Anspruch auf weltanschauliche und politische Alleinrichtigkeit, repräsentiert durch ein charismatisches Führertum und ein folgsames Richtertum.

Das Erregende am Ende: Freisler selbst gibt zu, dass das letzte Motiv der Verschwörer um Moltke ein christliches und universal-humanistisches Motiv gegen die Exklusivität des NS-Systems und seines Geistes gewesen ist. Er gibt zu, dass Christentum und Kirchen die eigentlichen Widersacher des Nationalsozialismus gewesen sind. Seine eigene Situation vor dem Sterben hat Moltke so interpretiert:

"...und dann wird Dein Wirt ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher‚ sondern als Christ und sonst gar nichts anderes."

Am Ende seines Lebens steht dieser Moltke als bewusster und bekennender Christ vor dem Blutgericht des Nationalsozialismus. Und gemeinsam mit den beiden Mitchristen Nikolaus Groß und Theodor Haubach verröchelt er am 23. Januar 1945 am gleichen Galgen.

Sein und ihr Vermächtnis? Nicht einzelne politische Gedanken und Positionen sind es, die wir herausgreifen sollten. Ihr ganzes Leben und Denken als Männer des Widerstandes kann uns Heutigen Verpflichtung sein, für personale und soziale Menschenrechte und für Demokratie als eine alle politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wirklichkeiten bestimmende Lebensform einzutreten. Vieles harrt hier noch der historischen Einlösung.


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