Melatenfriedhof in Köln, vom 2. Oktober 2001:

Ansprache am Grab von Elisabeth Groß

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Der Tod stellt viele Fragen, bedrängend und unausweichlich auch uns, die wir uns heute am Grab von Elisabeth Groß versammelt haben.

Wie viele Fragen wird der Tod Nikolaus Groß gestellt haben; in seiner Todeszelle in Plötzensee vielleicht viel bedrängender noch und in solcher Situation unausweichlicher. Über seine vielfältigen Antwortversuche liegen uns bewegende Briefe, eigenhändig geschriebene Lebenszeugnisse vor, die Sterben und Tod nicht ausklammern, sondern bewusst einbeziehen. "Fürchtet nicht, daß angesichts des Todes großer Sturm und Unruhe in mir sei", so schreibt er in seinem Abschiedsbrief an seine Lieben zu Hause. "ich habe täglich gebetet, daß der Herr mich und Euch stark mache, alles geduldig und ergeben auf uns zu nehmen, was er für uns bestimmt oder zugelassen". Wie Nikolaus Groß gelebt hat, so ist er gestorben: standhaft, aufrecht, unerschütterlich in seinem Glauben an den Gott seines Lebens.

Aber wie steht es um die Fragen, die sich Elisabeth Groß im Angesicht des Todes gestellt haben wird: am Tag der Verhaftung ihres Mannes, bei der Nachricht über das Todesurteil, beim letzten Abschiedstreffen fünfzehn knappe Minuten (!) und in den Stunden und Tagen vor der endgültigen Vollstreckung des Todesurteils? Welche Zweifel kamen auf in ihrer Verzweiflung? Weiche Anfechtungen musste sie bekämpfen beim Kampf um das Leben ihres Mannes? Gab es in Stunden der Verlassenheit den Klageruf "Mein Gott, warum? Warum gerade ich? Warum gerade wir?"

Ich weiß es nicht; vermutlich wir alle letztlich nicht. Es gibt keine unmittelbaren Lebenszeugnisse der Elisabeth Groß, wohl aber die "Bezeugungen" ihres Mannes. In seinem Abschiedsbrief lobt er ihr "starkmütiges" Verhalten. Er schreibt: "Als wir uns vor einigen Tagen für dieses Leben verabschiedeten, da habe ich, in die Zelle zurückgebracht, Gott aus tiefstem Herzen gedankt für Deinen christlichen Starkmut."

Stärke und Mut sind in der Tat charakteristische Merkmale dieser Frau. Wo andere Menschen "vor Angst gestorben" wären, da wächst sie über sich hinaus. In den entscheidenden Augenblicken ihres Lebens sind dieser Frau aus ihrem christlichen Glauben ungeahnte Kräfte zugewachsen, die vermutlich alle Fragen, Zweifel und Bedrängnisse überwinden halfen.

In der Stunde des Abschieds zeigt Elisabeth Groß wahrlich Größe: Ohne ihre Liebe, ohne ihre Verlässlichkeit und ohne ihre Standfestigkeit wäre der Weg von Nikolaus Groß undenkbar. Beide erfuhren diesseits und jenseits der Gefängnisgitter immer wieder neu ihre eheliche Solidarität. So konnte Nikolaus Groß am 22. Oktober 1944 aus dem Gefängnis schreiben: "Die Liebe ist und bleibt das Größte."

Mit der Seligsprechung Nikolaus Groß am kommenden Sonntag durch Papst Johannes Paul II. wird die Kirche vor aller Welt offiziell verkünden: das Leben dieses Mannes es ist ein gelungenes, ein reifes, ja ein vollendetes Leben.

Am Grab seiner Frau, Elisabeth Groß, dürfen wir hoffen, dass schon bald das "Martyrium" dieser Frau in den letzten Tagen und Stunden ihres gemeinsamen Lebens entdeckt wird. Im gleichen Sinne gilt es, das Lebens- und Glaubenszeugnis der allein stehenden Witwe mit ihren sieben Kindern mit all den Spannungen aus Anfeindungen und Unverständnis ihrer Umgebung zu würdigen. Auch über das Leben der Elisabeth Groß dürfen wir sagen: es ist ein gelungenes, ein reifes, ja ein vollendetes Leben.

"Ohne den Tod würde das Leben nirgendwo ankommen", schreibt der 17 jährige Markus an eine Jugendzeitschrift.

Das Leben der Elisabeth Groß ist am 21. Februar 1972 angekommen bei Gott, bei ihrem Mann.

Möge die Botschaft ihres Lebens und das ihres Mannes bei möglichst vielen Menschen in unserem Bistum und darüber hinaus "ankommen".

Prälat Heinrich Heming

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