Veröffentlichung innerhalb einer Serie im RUHRWORT
Die Serie zum Thema "Nikolaus Groß - Journalist" wurde in der Zeit vom Juli 2001 bis zum Oktober 2001 im RUHRWORT veröffentlicht. Sie wurde mit freundlicher Genehmigung von Herrn Martin Schirmers in das Archiv aufgenommen.

"Edel sei der Mensch"

Ein Rabbiner wird zum barmherzigen Samariter

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Der Aufbau der Diktatur bedeutete für Nikolaus Groß eine zweifache Herausforderung: Einerseits galt es, die Zeitung zu erhalten und möglichst vor Repressalien zu bewahren; andererseits sollte nicht auf kritische Berichterstattung verzichtet werden. Da offene Konfrontation nur zur Zerschlagung der WAZ geführt hätte, verlegte sich Groß in heiklen Fällen auf die geschickte Tarnung. Zunehmend transportierte er Kritik an den Nazis über die Auswahl religiöser Themen, historischer Vorgänge oder literarischer Zitate. Das gilt auch für seine Kritik an dem Antisemitismus. So zitierte Groß im Frühjahr 1933 aus einem Fastenhirtenbrief von Bischof Ketteler aus dem Jahr 1871, der sich gegen jede Form des Antisemitismus aussprach. Und in der folgenden Kurznachricht "Edel sei der Mensch" vom 27. Oktober 1934 erinnert Groß an einen jüdischen Frontoffizier aus dem ersten Weltkrieg, der sich als "barmherziger Samariter" erweist. Für die Leser war die Pointe eindeutig. Auch für die Nazis: Im Lagebereicht des Leiters der Gestapo Berlin, Heydrich, heißt es 1934: Die WAZ führe einen "heimlichen Kampf gegen den Nationalsozialismus".

Martin Schirmers

Der "Osservatore Romano" bringt eine kurze Notiz, aus der hervorgeht, was die Nächstenliebe im Weltkriege geleistet hat. Zu Taintroux in den Vogesen wurde kürzlich ein Denkmal zum Andenken eines Rabbiners eingeweiht, der im Weltkrieg das Leben verlor, als er ein Kruzifix an die Lippen eines sterbenden katholischen Priesters hielt.

Im August 1917 musste das französische Dorf Taintroux geräumt werden. Ein tödlich verwundeter Priester, der in der Nähe eine schwarz gekleidete Gestalt vorbeieilen sah und sie für einen katholischen Amtsbruder hielt, bat den vermeintlichen Priester, ihm ein Kreuz an die Lippen zu halten, damit er vor seinem Tode noch einmal seine Lippen darauf pressen könne.

Der Rabbiner, Abraham Blod mit Namen, begann ohne Zögern und ohne ein Wort zu verlieren, unter dem umliegenden Trümmerfeld ein Kreuz zu suchen. Während er es an die Lippen des Sterbenden drückte, platzte in. unmittelbarer Nähe eine Granate, die den jüdischen Religionsdiener in dem gleichen Augenblick tötete, in dem er dem barmherzigen Samaritan folgte. Sein Denkmal wurde aus Beiträgen von Franzosen jedes Bekenntnisses errichtet. Ein zweifaches Beispiel. Man muss den Heldenmut und die Liebe ehren, wo man sie findet.

Nikolaus Groß
Ruhrwort, 15.09.2001

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