Veröffentlichung innerhalb einer Serie im RUHRWORT
Die Serie zum Thema "Nikolaus Groß - Journalist" wurde in der Zeit vom Juli 2001 bis zum Oktober 2001 im RUHRWORT veröffentlicht. Sie wurde mit freundlicher Genehmigung von Herrn Martin Schirmers in das Archiv aufgenommen.

Bollwerk gegen den Nationalsozialismus

Das Evangelium der Primitiven überwinden

[Zurück]

Anfang 1932 erreicht die Arbeitslosigkeit mit 6,128 Millionen Arbeitslösen den absoluten Höchststand in der Weimarer Republik. Die Nationalsozialisten, inzwischen für die "Westdeutsche Arbeiter-Zeitung" (WAZ) längst zum Hauptgegner in der politischen Auseinandersetzung der Republik geworden, wittern Morgenluft und drängen an die Schalthebel der Macht. In seinem Artikel "Das Bollwerk" (WAZ vom 30. Januar 1932) stellt Nikolaus Groß (ng) zunächst mit Genugtuung, fest, dass es den Nazis trotz aller Versuche nicht gelungen ist, in die "organisierte Arbeiterschaft" - vom Zentrum bis zur SPD, von christlichen bis hin zu freien Gewerkschaften - einzubrechen. Gleichzeitig unterzieht er den Nationalsozialismus einer entlarvenden Kritik.

Martin Schirmers

Es ist den Nationalsozialisten bis heute nicht gelungen, in die organisierte Arbeiterschaft einzubrechen und größere Teile zu sich herüberzuziehen. Soweit der Nationalsozialismus mit der Gefolgschaft von Arbeitern rechnen kann, stützt er sich auf unorganisierte, das heißt ungeschulte und ungefestigte Arbeiter.

Der in Partei, Gewerkschaft und Standesverein organisierte Arbeiter hat in seiner Organisation einen festen Standort. Eine jahre- und jahrzehntelange Bildungstätigkeit hat ihn mit größerem Wissen und einem reiferen Urteil in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen ausgestattet. Sein Denken und Handeln ist realpolitisch gerichtet. Er kennt etwas vom Leben und seinen Schwierigkeiten. Er weiß, dass das Leben den Einsatz seiner Persönlichkeit, dass es von ihm Opfer und Tatbereitschaft verlangt. Er ist Träger einer Idee. Er bekennt sich zu einem Programm. Der organisierte Arbeiter ist diszipliniert und nicht gewohnt, haltlos und ohne Prüfung der primitiven Schlagwortagitation des Nationalsozialismus zu verfallen. Er ist positiv eingestellt. Er will etwas. Er will die Verhältnisse besser gestalten durch seine Mitarbeit. Darum hat er sich organisiert.

Anders der unorganisierte Arbeiter. Er ist das ewig fluktuierende, von Stimmungen hin- und hergeworfene Element in der Arbeiterschaft. Heute steht er hier, morgen dort. Er steht überall und nirgends. Auf ihn ist kein Verlass. Er redet über alles und weiß von nichts. Er hat keine eigene Meinung und kein selbstständiges Urteil. Wer ihm am meisten verspricht, dem folgt er. Er ist "radikal". Das kostet weniger Beiträge und Opfer und verlangt keinen Verantwortungswillen. Es gibt natürlich Ausnahmen. Aber so ist der Typ. Der unorganisierte Arbeiter ist ein Verneiner. Er vermag in lückenloser Reihenfolge tausend Dinge aufzuzählen, die ihm nicht behagen. Nur zu positiver Verbesserungsarbeit kann er sich nicht aufraffen. Dazu fehlen ihm Mut und Kraft. Deshalb ist er unorganisiert.

Es ist kein Zufall, sondern beruht auf triftigen Ursachen, wenn der Nationalsozialismus den unorganisierten Flugsand aufwirbelte und mitriss, während die geschlossene Macht der organisierten Arbeiter ihm trotzte. Das gilt von der organisierten Arbeiterschaft ziemlich insgesamt, gleichviel in welchen weltanschaulichen, politischen und gewerkschaftlichen Lagern sie steht; abgesehen natürlich von den Kommunisten, die sich ja zum größten Teil nur aus unorganisierten Nachläufern zusammensetzen. Unseren katholischen Arbeitern in den Arbeitervereinen hat der Nationalsozialismus nichts anzuhaben vermocht. Ebenso wenig ist er in die Arbeiterwählerschaft des Zentrums eingebrochen. Auch von den christlich-gewerkschaftlich organisierten Arbeitern hat er nichts zu erwarten. Es ist auch nicht festzustellen, dass der Nationalsozialismus den freien Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei in nennenswertem Maße Mitglieder fortzuholen vermocht hätte.

Von den Kommunisten werden hingegen verschiedentlich größere Zuläufe erfolgt sein. Das ist nicht besonders verwunderlich. Ihrer ganzen Art, Veranlagung und Einstellung nach passen viele Kommunisten ausgezeichnet in die Reihen des Nationalsozialismus. Sie brauchen nur ihre bisherigen Schlagworte und Phrasen in solche des Nationalsozialismus umzuwechseln. Einer sonstigen Veränderung bedarf es nicht. Umgekehrt ist natürlich der Weg vom Nationalsozialismus zum Kommunismus ebenso kurz und leicht...

Der Nationalsozialismus - soweit er nicht von einer von Herrschaftsgelüsten besessenen intellektuellen Führerschicht missbraucht wird - ist das Evangelium der politisch und wirtschaftlich Primitiven. Fast alle "Radikalen" sind primitiv, wie andererseits die Primitiven immer leicht dem Radikalismus zuneigen. Der Radikalismus vereinfacht die schwierigsten und kompliziertesten Dinge. "Gebt uns die Macht, und alles wird anders werden." Fertig! Über das "Wie" und "Wo" äußert er sich niemals. Das Wort "Nationalsozialismus" ist wie ein geheimnisvoller Zauberschlüssel. Es wird alle Türen des Widerstandes öffnen und mühelos alle Schwierigkeiten aus dem Wege räumen. Man muss nur fest und unerschütterlich an die Wunderkraft dieses Wortes glauben und - nicht so viel fragen.

Diese Vereinfachung der Dinge, diese Primitivität der Anschauung und Darstellung bei den Nationalsozialisten ist ihre Stärke in der Propaganda unter den ihnen geistig Gleichschichtigen, aber auch ihre Schwäche, wenn sie positive und Besserung bewirkende Leistungen vollbringen sollen. Über diese Mentalität der Primitiven, über ihre Neulingsauffassung von den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dingen ist die organisierte und standesbewusste Arbeiterschaft hinaus.

Aber auch die Tatsache ihrer Organisierung steht Fremdeinflüssen entgegen. Es liegt in der Natur der Organisation, dass sie ihre Mitglieder gegen fremde Einflüsse stärker absperrt. Darum hat sich die organisierte Arbeiterschaft als Bollwerk, als eine nicht überwundene Front gegen den Nationalsozialismus erwiesen. Das wird sie auch fernerhin bleiben, sofern der Auseinandersetzungskampf als geistiger Kampf ausgetragen wird.

Nikolaus Groß
Ruhrwort, 18.08.2001

[Zum nächsten Beitrag]

[Zurück zur Übersicht]