Veröffentlichung innerhalb einer Serie im RUHRWORT
Die Serie zum Thema "Nikolaus Groß - Journalist" wurde in der Zeit vom Juli 2001 bis zum Oktober 2001 im RUHRWORT veröffentlicht. Sie wurde mit freundlicher Genehmigung von Herrn Martin Schirmers in das Archiv aufgenommen.

Unfallbekämpfung im Bergbau

Statt aufklärend oft schulmeisterlich

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In der neuen RW-Serie kommt der Journalist und Publizist Nikolaus Groß selbst zu Wort. Ruhrwort dokumentiert in Auszügen bis zur Seligsprechung am 7. Oktober beispielhafte Artikel von Nikolaus Groß, die ihn als religiös verankerten und für die Belange der Arbeiter engagierten Journalisten zeigen. Als Mann des Christlichen Gewerkvereins kam Nikolaus Groß 1927 zur "Westdeutschen Arbeiter-Zeitung" (WAZ), dem Verbandsorgan der KAB. Auf dem Boden der katholischen Soziallehre setzte er sich publizistisch für die soziale und politische Gleichberechtigung der Arbeiter ein. Ein Beispiel ist der folgende Artikel "Unfallbekämpfung im Bergbau", der erste, den Nikolaus Groß als Redakteur bei der WAZ am 8. Januar 1927 veröffentlichte. Im Hintergrund standen steigende Unfallzahlen im Bergbau, verursacht u.a. durch den Einsatz "berufsfremder Arbeiter". Nikolaus Groß analysiert das Problem und plädiert für eine effizientere "Mitwirkung" der Arbeiter bei der Unfallverhütung. Und er nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht zur Mitarbeit "ohne Nebenabsichten".

Martin Schirmers

Alle Unfallverhütungstätigkeit - die Wort- und Bildbewegung nicht ausgenommen - leidet an einem elementaren Fehler. Sie will der Arbeiterschaft den Unfallverhütungsgedanken nur vermitteln, will da auf die Arbeiterschaft nur einwirken, wo sie die Arbeiter zur schöpferischen Mitwirkung heranziehen müsste. Man begnügt sich damit, auf die Arbeiterschaft durch Wort und Bild einzuwirken, statt sie vor der Durchführung von Unfallverhütungsmaßnahmen heranzuziehen und ihre praktischen Kenntnisse mit zu verwerten. Das ist nicht nur ein elementarer psychologischer Fehler, sondern führt oft zu unmöglichen Zuständen. Dafür nur ein Beispiel: Das vom "Verband der deutschen Berufsgenossenschaften" herausgegebene Unfallbild Nr. 15 veranschaulicht einen Füllort. Das zur Seilfahrt bereite Fördergestell ist mit Arbeitern voll besetzt. Der Schachtanschläger hat das Signal zur Fahrt bereits gegeben. Dabei stehen sowohl die Fördergestell wie Schachttüren noch offen. Ein Arbeiter, der das Fördergestell noch besteigen will, muss vom Anschläger unter dem Hinweis, dass das Signal schon gegeben ist, fast mit Gewalt zurückgehalten werden. Es ist ein unmöglicher Zustand, dass der Anschläger einen Arbeiter vom verbotswidrigen Besteigen des Fördergestells abhält, weil angeblich das Signal schon gegeben sei, dabei aber noch Fördergestell- und Schachttüren offen stehen. Die Wirkung dieser unwahrscheinlichen Darstellung war - wie wir in vielen Gesprächen mit Arbeitskameraden feststellen konnten - nicht nur g1eich Null, sondern für den Unfallverhütungsgedanken stark abträglich. Unfallbilder müssen lebenswahr sein. Die Bergarbeiter betrachten die Wort- und Bildbewegung kritisch. Ihre genaue Kenntnis der Arbeitsverhältnisse und einzelnen Arbeitsvorgänge und die damit gegebene Urteilsfähigkeit über die Gefahrenquellen lassen sie unwahrscheinliche oder gar unmögliche Darstellungen nicht nur reserviert aufnehmen, sondern birgt die Gefahr in sich, dass sie einzelner Unmöglichkeiten willen die ganzen Unfallbildbestrebungen ablehnen. Hat dieser Gedanke aber einmal Platz gegriffen - und das ist leider zum Teil der Fall -‚ dann wird es sehr schwer werden, der tatsächlichen Bedeutung des Unfallbildgedankens wieder Anerkennung zu verschaffen. Es ist daher unbedingt erforderlich, dass alle bildlich dargestellten Arbeitsvorgänge und Gefahrenquellen lebensgetreu sind. Will man Wirkung erzielende, lebensgetreue Unfallbilder, dann kann man an der Verwertung der praktischen Arbeitskenntnisse der Arbeiterschaft nicht vorbeigehen. Der Arbeiter muss die Möglichkeit haben, durch Anregungen aus seiner praktischen Arbeit heraus schon vor der Ein- und Durchführung von Unfallschutzmaßnahmen schöpferisch mitwirken zu können. Das ist bisher nur wenig oder gar nicht der Fall...

Soweit die Unfallverhütungsbestrebungen durch Wort und Bild Einwirkungsversuche auf die Arbeiterschaft sind und der Natur der Sache nach sein müssen, werden sie nicht immer glücklich durchgeführt. Statt ernsthaft-belehrend und aufklärend haben die der Arbeiterschaft gemachten Vorstellungen über die Notwendigkeit ihrer Mitarbeit oft einen schulmeisterlichen Beigeschmack. Unfallverhütung durch Wort und Bild ist nicht nur eine Frage der Beschaffung guter Unfallbilder oder der Suggestion ernsthafter Mahnworte - also eine Frage technischer Möglichkeiten - als vielmehr eine Frage psychologisch richtigen Einfühlungsvermögens in die geistige Denkart und Denkweise, in das Seelenleben des zur Mitarbeit bereiten Arbeiters. Es ist wesentlich, "ob" die Arbeiter zur schöpferischen Mitwirkung herangezogen werden und "wie" ihnen der Unfallverhütungsgedanke vermittelt wird...

Erfolgreiche Unfallverhütungstätigkeit ist aber nur möglich, wenn auch die Arbeitgeber sich ehrlich und ohne Nebenabsichten zur Gemeinschaftsarbeit in der Unfallverhütung bereit erklären. Gemeinschaftsarbeit ist durchaus keine Werksgemeinschaft, wie die Arbeitgeber sie auffassen - und unter dem Scheingrund der Unfallverhütung durchzuführen versuchen-, sondern ehrliche Anerkennung des Mitwirkungsrechtes des einzelnen Arbeiters, seiner gesetzlichen wie gewerkschaftlichen Vertretung. Unfallverhütung, die keine so aufgefasste Gemeinschaftsarbeit ist und nicht mit oder gegen die Arbeiterschaft gemacht wird, hat ihren Sinn verloren. Das gilt allgemein, das gilt im besondern von der Unfallverhütung durch Wort und Bild.

Nikolaus Groß
Ruhrwort, 29.07.2001

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