VVN-Nachrichten 3. Jg. Nr. 22, vom 29. Oktober 1947:

Alexander Drenker,
Redakteur der Germania Berlin und erster Presseattache an der Deutschen Botschaft in Den Haag nach dem Krieg

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Nikolaus Groß

Fünfzehn Jahre kannte ich ihn, aber erst als er von uns ging, wußte ich, wer er war. Als ich in meinem kleinen Buch das Kapitel über den Heiligen schrieb, dachte ich an ihn, und als ich versuchte, mir ein Bild des Arbeiters zu machen, der Träger einer kommenden Zeit sein wird, war er mein Vorbild. Was ich über den Heiligen und den Arbeiter dachte, habe ich nach seinem Maß gedacht.

Nikolaus Groß ist sicherlich nicht unbemerkt durch das Leben gegangen, aber er stand nicht im Vordergrund. Er wußte öffentlich zu sprechen, klar und klug mit einer eindringlichen, warmherzigen Überzeugungskraft, aber er war kein großer Redner. Die Sprache seiner Broschüren und Artikel ist geformt, aber er war kein ursprünglich begabter Schriftsteller. Seine Größe und seine Vorbildlichkeit liegen in seinem Menschentum. Bernhard Letterhaus, der ihm im Tode vorausging, nannte ihn den kleinen Mann mit der großen Seele. Er war ein Mensch, in dessen Gegenwart man gut wurde und sich seiner Unzulänglichkeit schämte.

Nikolaus Groß hatte die Tugenden, die heute am seltensten und zugleich am notwendigsten sind. Er war von einer alles und alle umfassenden Güte. Er wußte um die Kraft der Milde. Er war aufrichtig und wahrhaftig, starkmütig und tapfer, und er hat nie Aufhebens von seiner außerordentlichen Seelenkraft gemacht. Er hat sich zu einer solchen Reife der Persönlichkeit empor entwickelt, daß das Ungewöhnliche an ihm wie selbstverständlich wirkte.

Ich bin überzeugt, daß Nikolaus Groß, der im Leben nicht auf dem erste Platz stand, in Zukunft zu immer größerem Ansehen gelangen wird. Sein Andenken wird nicht verblassen, sondern das Andenken aller anderen christlichen Arbeiterführer überstrahlen, denn er besaß das, was den berühmten Menschen meistens fehlt: das vertraute Antlitz. Jeder konnte in ihm sein besseres Ich wiederfinden. Er hat sich im Grunde genommen durch nichts von uns unterschieden als durch sein größeres Menschentum. Ich möchte eigentlich sagen, durch seine größere Heiligkeit. Sonderbarerweise halten wir dieses außerordentliche Unterscheidungsmerkmal für weniger staunenswert als überragenden Verstand oder bedeutende Fähigkeiten.


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