Elisabeth Groß:
"Gott hat immer wunderbar geholfen"

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Als 1939 der unglückselige Krieg ausbrach, wurde mein Mann wegen einer schweren Magenoperation zurückgestellt und konnte deshalb mit Dr. Müller weiterschaffen. Jetzt wurden die Konferenzen bei uns abgehalten. Immer ernster wurde das Gesicht meines Mannes über all dem Unrecht, das durch die Deutschen geschah. Am 20. Juli 1944 wurde sein Gesicht aschfahl. "Alles ist verloren", sagte er, "jetzt kommt keiner mehr an ihn heran. Jetzt wird Deutschland bis zum letzten Quadratmeter kämpfen. und elend zugrunde gehen." Freunde und Bekannte wurden schon in den ersten Tagen nach dem Attentat verhaftet.

Als ich für drei Tage fort war, um meine Tochter aus Ostpreußen zurückzuholen, fuhr mein Mann in den Hunsrück, um die dorthin evakuierte Frau Letterhaus, die Frau seines besten Freundes, zu unterrichten, daß ihr Mann verhaftet worden sei. Herr Letterhaus war Hauptmann im OKW. Am folgenden Tag erschien die Gestapo auch in unserer Wohnung. Es war der

12. August, an dem sie meinen Mann verhafteten. Die beiden ältesten Mädchen und die kleine von vier Jahren waren während der Verhaftung im Hause. Ich kam gegen Abend zurück.

Nach vielen Bemühungen erfuhr ich Tage später, daß mein Mann erst nach Frankfurt und dann vermutlich noch Berlin gebracht worden sei. Am 6. September war unser Klaus ein Jahr vermißt. Es war mir außerordentlich schwer an dem Tag, nun zwei Vermißte zu haben. Aber mit einer späteren Post erhielt ich doch eine Nachricht vom Vater, Absender Polizeischule Fürstenberg. Ich war sehr froh, auch daß ich ihm unbegrenzt alles schicken durfte, was es 1944 noch gab. Auch unser Kardinal Frings schickte Lebensmittel, aber der Ärmste hat sie und alles andere nicht bekommen.

Dann erfolgte die Verlegung noch Berlin-Tegel. Von einem unserer Freunde wurde ich benachrichtigt, daß Not sei und ich unbedingt kommen müßte. Am 30. November wurde ich zum Besuch vorgelassen, nachdem ich am Volksgerichtshof eine Sprecherlaubnis eingeholt hatte. "Gott sei Dank", sagte der Wärter, der meinem Mann viel Gutes getan, "daß Sie endlich kommen, Ihr Mann hat es wirklich verdient und hat solches Heimweh nach seinen Lieben." Das Wiedersehen mit meinem Mann und unsere Freude - ich hatte auch noch unsere älteste Tochter mitgebracht - kann ich nicht schildern. Wir konnten beide vor Erschütterung nicht sprechen.

Am 3. Dezember sollte die erste Gerichtsverhandlung sein. Ich verbrachte den Tag in Gebet und Sorge. Am Abend rief mich dann der vom Volksgerichtshof bestellte Verteidiger an, daß die Verhandlung noch nicht stattgefunden habe. Ich sollte nur heimfahren. So fuhr ich zurück zu den Kindern, um ihnen ein bescheidenes Weihnachtsfest zu bereiten, worum mein Mann mich gebeten hatte.

Am 1. Januar kam ein Ruf von Domvikar Dr. Schulte aus Paderborn, doch sofort nach Berlin zu fahren. Nachts um zwei Uhr kam ich mit meiner Tochter in Paderborn an. Es war bitterkalt; bis morgens um 6 Uhr haben wir am Bahnhof gesessen, sind dann im Dom zur hl. Messe und anschließend zu Dr. Schulte gegangen. Dieser brachte mir dann schonend bei, daß es gut sei, schon jetzt ein Gnadengesuch zu schreiben, es könne ja sein, daß das Schlimmste passieren würde. - Auch das habe ich dann unter Qualen fertiggebracht.

Am 6. Januar kam ich in Berlin an. Ich ging sofort zum Volksgerichtshof.

Dort bekam ich gleich einen Besuchsschein, und man sagte mir, ich könnte noch zum Gefängnis gehen. Aber als ich hinkam, war der SS-Mann, der bei der Sprechzeit anwesend sein mußte, nicht mehr da.. Ich war ganz verzweifelt; so weit hergekommen, zwei Tage unterwegs, und nun sollte ich doch nicht das Glück haben, mit ihm sprechen zu können. Aber wieder half Gott:

Der Wärter ließ meinen Mann heimlich in sein Tageszimmer, und wir konnten ohne Aufsicht 1 1/2 Stunde sprechen. Das war wirklich ein Geschenk Gottes. Wir verabschiedeten uns in der Hoffnung, daß die Verhandlung gut verlaufen würde. Wir rechneten mit 20 Jahren oder auch lebenslänglich Zuchthaus, da wir glaubten, daß die Nazis nicht genügend Beweismaterial hätten.

Für den 8. Januar war die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof angesetzt. Freisler leitete und entschied an diesem Tage selbst. Am Abend waren sechs Angeklagte zum Tode und zwei zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Mein Mann kam nicht mehr in die Verhandlung. Am nächsten Tage sagte mir der Verteidiger, daß das sehr günstig wäre, bis zur nächsten Verhandlung würde es wohl sechs Wochen dauern. Ich sollte nur zu meinen Kindern zurückfahren. Ich bekäme früh genug Bescheid, sollte es noch so weit kommen. Nachdem ich einige wichtige Besuche gemocht hatte, wollte ich dann am 11. Januar abreisen. Ich hatte bereits die Fahrkarte, da sagte mir eine innere Stimme: versuche es noch einmal beim Volksgericht um eine Sprecherlaubnis. Ich fragte ohne weitere Erklärungen, ob mein Mann einen Prozeß zu erwarten hätte und wann er ungefähr stattfinden würde. Ganz mürrisch erhielt ich die Antwort, die Verhandlung wäre am 18. Januar. Sehr deprimiert bat ich dann um eine nochmalige Sprecherlaubnis, die mir für Samstag, den 13. erteilt wurde.

Am Samstag war mein Mann sehr überrascht und froh, daß ich noch in Berlin war. Von ihm hörte ich, daß die Verhandlung am 15. 1. stattfinden würde. - Am Montag, dem 15. 1., war ich wohl ganz geistesabwesend. Ich ging von morgens bis mittags von einer Kirche zur anderen, landete gegen 14 Uhr beim Verteidiger. Sein Vorsteher fuhr mich an, es sei Großalarm, ich sollte zum Bunker gehen, damit die Kinder doch wenigstens die Mutter behielten. Erst als ich draußen war, erfaßte ich den Ausspruch in seiner ganzen Tragweite.

Ich ging dann zur Haushälterin von Dr. H.J. Schmitt, die mich in dessen Wohnung aufgenommen hatte. Dr. Schmitt befand sich bereits im KZ Dachau. - Am nächsten Tag fuhr ich nach Tegel. Der Wärter empfing mich mit den Worten: "Ihr Mann ist nicht zurückgekommen." Dabei liefen ihm die Tränen über das Gesicht: "Ich weiß nicht, was hier vorgeht. Ihr Mann ist doch kein Verbrecher. Ich bin schon 48 Jahre hier Aufseher, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt - solche Menschen zu töten! Lassen Sie sich nochmals einen Sprechzettel geben, der steht jeder Frau zu nach dem Urteil. Ohne ein Wort erhielt ich sofort den Sprechzettel, als ich erklärte, daß das Todesurteil ausgesprochen sei.

Am Donnerstag habe ich mir dann durch die Kraft der hl. Messe ein Herz gefaßt, Abschied von dem Menschen zu nehmen der mir alles war. Eine Viertelstunde, unter Aufsicht eines SS-Beamten, durfte ich mich von ihm für dieses Leben verabschieden. Es war eine, grausame, herzzerbrechende und doch gnadenreiche Viertelstunde. Ich höre noch die bestimmten Worte des SS-Mannes: "Die Viertelstunde ist zu Ende." Wir nahmen Abschied voneinander, indem wir uns gegenseitig das Zeichen des Kreuzes auf die Stirn machten, und tief seufzte er: "Auf Wiedersehen in einer besseren Welt." "Ich kann", sagte er noch zum Schluß, "im Himmel mehr für Dich und die Kinder tun als hier auf der Welt." Er wurde abgeführt, und das große Tor schloß sich. Ich stand wie versteinert . . . Immer noch hatte ich die stille Hoffnung, daß doch noch alles gutgehen würde, waren die Russen doch schon in Breslau. Ich schrieb ein neues Gnadengesuch und brachte es zum Nuntius, der, wie man wußte, Einfluß beim Justizminister hatte. Doch wollte es das Schicksal, daß Eminenz nicht in Berlin weilte. Ich konnte also nichts mehr für meinen Mann tun und entschloß mich, zu den Kindern zurückzufahren

Am 23. Januar - die Vollstreckung des Urteils hatte bereits am Mittag stattgefunden - schrieben meine beiden größeren Mädchen ein Gnadengesuch und baten um das Leben ihres Vaters. Sie schickten dem Justizminister ein Foto mit den sieben Kindern, die alle für den Vater um Gnade baten.

Am 28. Januar erhielt ich einen Brief von einem Freund meines Mannes, der mir verschlüsselt mitteilte, daß das Urteil vollstreckt worden sei. Mit ihm hatte ich mich verständigt, daß er mir schreiben sollte, mein Mann wäre "abgereist". Diese und keine andere Nachricht hatte ich in Händen. Es hat noch bis Ende des Jahres 1945 gedauert, bis ich von Berlin-Potsdam eine Todeserklärung bekam: Am 23. Januar 1945 um 15.45 Uhr verstorben." Im Juli 1945 erhielt ich den Abschiedsbrief, den mein Mann für mich und die Kinder am Sonntag, dem 21. Januar, dem Fest der hl. Agnes, unserer Pfarrpatronin, geschrieben hatte. Die Übermittlung dieses Briefes, das einzige, was ich von ihm erhielt, danke ich Pfarrer Buchholz, dem ich überhaupt viel zu danken habe, hat er doch mit großer Liebe meinen Mann betreut und ihn gestärkt mit dem Brot des Lebens.

Dann begann für mich eine harte Zeit, allein mit sieben unversorgten Kindern. Und doch darf ich sagen: wenn ich in Not und Verzweiflung war, habe ich das Bild meines Mannes angeschaut und ihn um Hilfe gebeten. Und Gott hat dann immer wunderbar, oft wirklich durch ein Wunder, geholfen.

Aus der Kettelerwacht 1964/Nr. 14


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