Brief an Marianne

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Köln, den 17. Juli 1944 Liebe Marianne!

Soeben komme ich aus der Eifel zurück und finde Deinen Brief vor, in dem Du mitteilst, daß Euch die religiösen Bilder von der Wand genommen, das Beten ausdrücklich verboten wurde und daß Ihr in den BdM-Dienst gepreßt wurdet. Nun, so etwas habe ich befürchtet. Ich glaubte aber an das Wort Eures Direktors, der mir versicherte, daß die Sache mit dem BdM nichts zu tun habe und daß auch dafür gesorgt sei, daߎIhr regelmäßig am sonntäglichen Gottesdienst teilnehmen könntet. Wahrscheinlich wird auch der Tag nicht mehr fern sein, wo man Euch durch Dienst und alle möglichen Scheingründe von der Sonntagsmesse abhalten wird.
Ich glaube Dir gern, daß wir um Dich keine Sorge zu haben brauchen. Wir müssen auch von Dir erwarten, daß Du Dich selbst behauptest. Das Wort des Herrn: Wer mich vor den Menschen bekennt... ist ja nicht so gemeint, daß Eltern von ihren Kindern alle Gefahren ängstlich fern halten. Kinder müssen selbst in der Gefahr groß und stark werden, sie müssen lernen sich zu behaupten und zu widerstehen. Darum können wir Dir nicht alles ersparen. Du mußt Dich in manchen Dingen durchkämpfen und den Widersachern die Stirn zeigen. Das also erwarten wir von Dir. Aber es kann sein, daß die Dinge für Dich zu schwer werden. Wenn die Bedrückung zu arg wird, wenn Ihr systematisch in Eurer religiösen Überzeugung bedrängt und vom Gottesdienst abgehalten werdet, dann geht es auf keinen Fall, daß wir Dich dort lassen. Auf jede Folge hin würden wir Dich dann zurückholen oder veranlassen, zurück zu kommen. Du wirst also die Entwicklung sorgsam beobachten und uns berichten, was sich zuträgt. Danach werden wir entscheiden. Vielleicht wird Deine Post unter Zensur genommen. Achte deshalb darauf, dass Du jedes Wort überlegt hast, das Du uns schreibst. Du selbst wirst ja Deine Post ohne Kontrolle aufgeben können, es wird sich mehr darum handeln, daß unsere Briefe an Dich nachgesehen werden.
Ich glaube, damit sind die Dinge klar. Du selbst darfst Dir keine Probe zumuten, die Dir zu schwer wird. Du wirst also objektiv berichten und von uns jederzeit gestützt werden. Wegen Deines Abiturs lassen wir Dich nicht in Bansin, wenn Du selbst fort möchtest. Es findet sich schon eine andere Schule, auf der Du zum Abschluß kommen wirst. Notfalls müßten wir in den sauren Apfel beißen, Dich noch einmal die letzte Klasse durchlaufen zu lassen, wenn das Ergebnis der Kölner Schulen für eine andere Schule zum Abitur nicht hinreichen sollte.
Aber ich glaube, daß da keine große Sorge besteht. Alex ist in die vierte Klasse gekommen - und was am dürren Holze geschah, das wird am grünen, lebensporssenden sicher möglich sein. So, nun hast Du eine klare Linie. Du weißt, wie Du handeln sollst und daß wir Dich nicht im Stiche lassen.
Liesel wird Dir diesen Brief mitbringen. Auch noch etwas für Augen, Mund und Magen. Mutter schickt es Dir und es ist ihr besonderer Gruß an Dich. Was es sonst von hier zu berichten gibt, schreibe ich Dir morgen, da es jetzt Zeit wird, Liesel den Brief zu geben.

Viele herzliche Grüße

Vater


Recht liebe Grüße und alles Gute für die Zukunft sendet dir Mutter. Laß Dir alles gut schmecken und richte Dich ein, damit Du etwas damit hinkommst.

Gottes Schutz und Segen, Mutter.

Dieser Brief wurde von Nikolaus und Elisabeth Groß im Juli 1944 an die evakuierte Tochter Marianne nach Usedom geschickt


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