Brief vom 24.12.1944 an die Familie

- Weihnachtsbrief -

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Die von Nikolaus Groß für seine Familie gebastelte Krippe

Nikolaus Groß

(1) Berlin-Tegel, den 24.12.44
Seidelstraße 39
Haus l

Nr. 1499
8/326

Allerliebste Mutter!
Ihr lieben und guten Kinder alle!

Es ist Heiligabend. Zwar wenn Euch dieser Brief erreicht, werden die Festtage vergangen sein. Aber ich will mich für eine Stunde mit Euch unterhalten über meine Weihnacht. Ich erinnere mich, liebste Mutter, der vielen Weihnachtsfeste, die wir gemeinsam gefeiert haben. Zuerst 1923 in Zwickau waren wir beide es allein. Im nächsten Jahre, in Niederwenigern, war unser Klaus zum ersten Male unter uns. Dann wurden es immer mehr: Berny kam hinzu, Marianne, Elisabeth, Alexander, Bernhard und Leni. Es waren schöne, innige Feste, die wir mit unseren Sieben feierten. Vor zwei Jahren wurden es zum ersten Male weniger, als unser Klaus fehlte. In diesem Jahre sind wir noch mehr auseinandergerissen.
Ich erinnere mich auch, wie es in den letzten Jahren war. Weißt Du noch, Mutter, wie ich vor drei und zwei Jahren Dir durch unerwartetes Honorar helfen konnte. Wieviel Freude konntest Du damit den Kindern machen. In diesem Jahre nun habe ich nichts. Meine Hände sind leer. Und doch sind sie nie gefüllter und gebefreudiger gewesen. Allerdings: Gute Dinge des Leibes habe ich nicht zu bieten. Aber jeden Tag habe ich hunderte Päckchen an euch abgeschickt: Gebete für eine gesegnete und gnadenreiche Weihnacht. An jeden einzelnen habe ich gedacht, für jeden von Euch meine besonderen Bitten und Wünsche ausgesprochen. In dieser liebenden Sorge bin ich allmählich in einen Weihnachtsfrieden gekommen, es hat in aller Einsamkeit und Trennung ein Zustand stillen Glückes mein Herz ergriffen, wie ich ihn früher nie so gespürt habe. Gott hat sicher mit uns etwas Besonderes vor, und deshalb sind diese Weihnachten nicht nur traurig, sondern auch gesegnet und gnadenvoll. Und in jeder Stunde, an jedem Tage erfüllt es mich mit neuer, wachsender Freude, daß ich für Euch beten und Euch helfen kann bei der Vorbereitung auf ein gottgesegnetes Fest. Mögen wir alle am Weihnachtsmorgen eine Herberge, eine Krippe in uns bereithaben, nicht so am Rande, in einem Winkel, in einem Stalle, sondern in der Mitte unseres Herzens. Und möge es von keinem von uns heißen, daß bei ihm »kein Platz gewesen sei«.
So bin ich in all der Wirrnis, die uns überfallen hat, nicht zu bedauern: Ich habe meinen Frieden und mein Glück. Was mein Herz bedrücken könnte, das seid Ihr - Du liebe Mutter besonders -, die Ihr dort der Gefahr und dem Ungewissen ausgesetzt seid. Mein Herz ist aber auch glücklich und dankbar in dem Gedanken an all die Liebe, die mir von dort entgegenschlägt. Gott danke und lohne sie Euch. Ich habe sie in diesen Tagen genug erfahren. In meinen Dank schließe ich besonders Frl. Gertrud und Frau Röhr mit ein. Sage es ihnen, wenn Du, liebe Lisbeth, Gelegenheit dazu hast. Grüße auch alle Verwandten, Freunde und Bekannten. Innigste Grüße an die Kinder: an Berny, Ma-rianne, Elisabeth, Alexander, Bernhard und Leni. Ein heute besonders herzliches und inniges Gedenken für den aus uns, der das schwerste Los trägt: Klaus. Und nun, Mutter, noch etwas Besonderes für Dich. Am 21. bekam ich Deinen am 7. morgens vor der Abreise geschriebenen Brief in die Hand. Ich war darüber sehr froh. Du schreibst, daß Du im Januar wiederkommen willst. Du weißt, wie gerne ich Dich hier habe und wie groß für mich das Geschenk Deines Besuches ist. Aber bei der weiten Reise, der damit verbundenen Gefahr, mußt Du doch sehr überlegen, ob Du fahren willst. Es ist zuviel an Anstrengung für Dich. Übernimm Dich also nicht, Du hast so vieles geordnet, daß wir alle getrost sein können. Mit Deinem Brief erhielt ich 3 Briefe von Alex vom 26. und 30. Nov. und vom 2. Dezember. Schreibe ihm meinen herzlichen Dank, dem treuen Kerl.
Tief unten aus dem Hause tönen die Lieder und Gebete der Weihnachtsfeier der Anstalt: »Stille Nacht« - »0 du fröhliche« und andere Lieder. Noch einmal schließe ich Dich, liebste Herzensmutter, in alle meine Gebete und Wünsche ein. In tiefer Liebe und heiliger Treue bleibe ich Dein

Nikel.

Meine Brille ist am 19. gut angekommen. Außer dem Berliner Brief der Mutter und den Briefen von Alex habe ich keine Post bekommen; es steht auch die Weihnachtspost noch aus. Sie wird sicher in den nächsten Tagen kommen. Schreibt Alex, daß ich ihm für das Fotoalbum von Herzen danke; es ist sehr schön! Antwortet ihm, daß ich Pakete nicht empfangen darf.


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