Brief vom 26.11.1944 an die Familie

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Nikolaus Groß

(1) Berlin-Tegel, den 26.11.44
Seidelstraße 39
Haus l

Nr. 1499
8/326

Meine liebe Lisbeth!
Ihr lieben und guten Kinder alle!

Heute ist wieder ein Sonntagsgruß fällig. Ich freue mich, Euch, meinen Lieben, schreiben zu können. Es geht mir noch gut. Soweit ich das aus den Briefen entnehmen kann, ist auch bei Euch noch alles wohlauf. In dieser Woche bekam ich 2 Briefe von der Mutter, vom 2. u. 6.11., zwei Briefe von Marianne vom 29. 10. u. 13. 11., einen Brief von Berny vom 13.11. und einen von Alexander vom 5.11. Mutter besonderen Dank für die guten trostreichen Worte. Ja, es ist gut, daß Ihr in N-Wenigern seid. Ich glaube schon, daß auch alle anderen - Beneken, Kampmann usw. - aus Köln flüchten. Es ist jetzt kein Aufenthalt für Frauen und Kinder mehr. Fahrt auch Ihr nicht hin, wenn Ihr nicht ganz dringend fahren müßt. Verzichtet lieber auf eine Bequemlichkeit oder ein Glas Eingemachtes, als daß Ihr Euch der Gefahr der Reise und des Aufenthaltes aussetzt. Wie ich aus dem Brief von Berny entnehme, war sie in Köln. Der Schaden am und im Hause ist danach nicht so arg schlimm. Berny herzlichen Dank für ihren Bericht. An Marianne Dank für ihre beiden schönen Briefe. Hundert Mark, zum ersten Male verdient, sind ein stolzes und frohes Gefühl. Ich beglückwünsche Dich, liebe Marianne. Berny wird ja bei der Entlohnung nicht schlechter fahren. So könnt Ihr beiden Mädel schon ganz tüchtig und spürbar die Mutter in der materiellen Sorge für die Familie unterstützen. Daß Ihr es tut, dafür danke ich Euch. Liesels Brief ist offenbar ausgeblieben. Nun, er kommt dann Anfang dieser Woche. Alex will wissen, was er Herrn und Frau Stärck zu Weihnachten schenken kann. Gebt Ihr ihm doch einen Rat, da ich ihm nicht schreiben kann und auch nicht recht weiß, wozu ich raten soll und was überhaupt zu beschaffen ist. Schreibe ihm also, liebe Mutter. Meine Brille ist mir gefallen und dabei ein Glas zerbrochen. Wenn ich wüßte, daß Ihr meine Reservebrille mitgenommen habt, würde ich Euch bitten, mir diese umgehend zu schicken. Und einen Rasierpinsel, da der alte abgebrochen ist. Unter keinen Umständen will ich, daß einer wegen der Brille nach Köln fährt. Das Glas ist ja in dieser Brille noch drin, ich kann sie also benutzen. Nur die Sprünge im Glas stören. Eine Reparatur hier kann Wochen dauern, und so lange kann ich auf das Augenglas nicht verzichten. Daß ich Mantel und Wäsche schon seit dem 18. 10. besitze, wirst Du, liebe gute Mutter, aus früheren Briefen wissen. Ich bin in dieser Beziehung jetzt mit allem versorgt. Auch an Lesestoff mangelt es nicht. Wenn Du allerdings, liebe Lisbeth, meinst, ich hätte Langeweile und bei mir würden Stunden zu Tagen, dann bist Du im Irrtum. Ich habe zu keiner Stunde Langeweile, im Gegenteil, mein Tag ist mit Aufräumen und Säubern der Zelle, mit Gebet und Lesen so ausgefüllt, daß ich geradezu ein Programm einhalten muß. Nein, wer sich so viel mit Gott beschäftigt, hat keine Langeweile, und der Gespräche mit ihm werde ich nicht überdrüssig. Besonders unterhalte ich mich mit ihm über Euch, über jeden einzelnen von Euch, und ich sage ihm dabei alles, was ich auf dem Herzen habe. Sei also getrost, Mutter, ich verbringe meine Tage in bester Weise und Gesellschaft.
Nun muß ich schließen. Meinen Gruß und Segen an alle: Berny, Marianne, Elisabeth, Bernhard und Leni. An die beiden Opas, an Deine und meine Geschwister, an die Mütter und ein Gedenken für Klaus. Besonderen Gruß und Wunsch für Dich, Liebste. Ich weiß, ohne daß Du mir es schreibst, wie Deine Gedanken zwischen Rußland, Berlin, Bodensee und Kupferdreh hin und hergehen. Wie Du zerrissen bist in Deiner Sorge zwischen hier und dort, zwischen diesem und jenem. Gott stärke Dich, er stehe Dir bei und helfe Dir. Viele herzinnige Grüße und Küsse von Deinem Dir immer in tiefer Liebe zugetanen

Nikel.

Gruß und Dank an Valks tür,eine Sorge um unsere Wohnung


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