Brief vom 22.10.1944 an die Familie

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Nikolaus Groß

Berlin-Tegel, den 22.10.44
Seidelstraße 39
Haus l

Nr. 1499
8/326

Allerliebste Mutter!
Alle lieben und guten Kinder!

Mit großer Freude schreibe und schicke ich Euch diesen Sonntagsgruß. Es ist der 4. Brief, den ich von Tegel aus an Dich, liebste Lisbeth, und die Kinder schreibe. Meinen letzten (5.) Brief von Fürstenberg vom 25. Sept. scheint Ihr nach den letzten Briefen von Euch nicht bekommen zu haben. Vielleicht ist er noch später eingetroffen oder er ist verlorengegangen. Nach hier gerichtete Post von Euch, auch von Alex, habe ich noch nicht bekommen. Wohl aber erhielt ich am 18. 10. die Brief-Karte von Dir, liebe Mutter mit dem Gruß vom 3.10.; einen Brief von Alex vom 5. und einen vom 7.10.; und drei Briefe von Berny vom 1. und 8. 10. und den Rundbrief an alle Geschwister vom 8. 10. Alle Post war noch nach Fürstenberg gerichtet und ist nachgeschickt worden. Am 19. 10. erhielt ich dann den Mantel u. das Oberhemd. Den Mantel hast Du, Liebste, gut in Ordnung gesetzt. Damit hast Du mir eine große Freude gemacht. Die zweite große Freude war der Rundbrief von Berny. Sie hat ihn besser abgefaßt, als ich es getan habe. An Berny einen besonderen Gruß und Dank. Doch die größte Freude ist gewesen zu hören, daß Ihr jetzt alle in Kupferdreh zusammen seid. Jedesmal, wenn im Wehr- machtbericht von schweren Angriffen auf Köln die Rede war, hat es sich mit Bergeslast auf meine Seele gelegt. Nun bin ich von Herzen froh, Euch in Kupferdreh zu wissen. Ganz so arg wie in Köln wird es dort ja nicht sein. Gott möge Euch fünf mit Tante Lenchen, die drei Jungen in Rußland, an Sieg und Bodensee schützen.
Ich schreibe Euch jeden Sonntag einen Brief; alle 14 Tage kann ich zusätzlich an eines der Kinder schreiben. Bald wird gewiß auch die erste Post nach hier kommen. Hof-fentlich ist bei Euch alles gesund und wohlauf. Ist Leni wieder gesund, sie war ja nach den letzten Nachrichten krank? Berny und die gute Marianne werden sich in ihrem Lazarett wohl inzwischen eingearbeitet haben. Es ist eine glückliche Lösung, die mir sehr gut gefällt. Liesel wünsche ich, daß sie ihre Fröhlichkeit behält. An den fleißigen Alex und den stillen Bernhard herzliche Grüße. Alex ist der fleißigste Briefschreiber. Beide sollen ihre Pflegeeltern grüßen. Und nun, liebe Mutter, wie geht es Dir? Schreibe mir fleißig und treu. Ich kann Deine guten Worte und Nachrichten gut gebrauchen. Vor allem aber Dein und der Kinder Gebet, um das ich immer wieder bitte.
Mir geht es gesundheitlich und auch sonst noch gut. Die Decke, die Du mir schicken willst, brauche ich nicht. Nun ich den Mantel habe, bin ich gut versorgt. Decken haben wir hier reichlich; auch für sehr kalte Tage genügen sie. Aufgrund meines Magenleidens, durch das ich ja vom Wehrdienst befreit war, bekomme ich hier, vom Arzt verordnet, Zusatzkost. So ist also Deine Sorge, liebste Lisbeth, darin behoben. Das Wetter ist auch noch so günstig, daß wir unsere täglichen Spaziergänge machen können.
Nun, liebste Mutter, grüße alle Kinder. Grüße Lenchen, meine u. Deine Verwandten, alle Freunde u. Bekannten. Was ich Dir für Dich selbst sagen möchte, weiß ich nicht auszudrücken. Ich denke stets und immerfort und mit solcher Herzinnigkeit an Dich, gute teure Lisbeth, und an die Kinder, daß es manchmal das Herz nicht fassen will. Ich möchte, was ich an Kraft der Seele besitze, nur so als Liebe und Güte hingeben an Euch, meine Herzlieben. Und wenn Ihr aus meinen dürftigen Zeilen einen Gewinn ziehen wollt, dann seid einander reich und freigebig in der Liebe, die Ihr Euch schenkt. Die Liebe ist und bleibt das Größte.
In treuem Gedenken für alle Kinder, auch für unsern vermißten Klaus, für Dich, allerliebste Mutti bin ich immer Dein

Nikel.


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