Brief vom 30.09.1944 an die Familie

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(1) Berlin-Tegel, d. 30.9.44
Seidelstr. 39
Haus 1

Nr. 1499
4/144

Allerliebste Mutti!
Ihr lieben Kinder alle!

Heute schreibe ich Euch aus Berlin, wohin ich verlegt bin. Meine genaue Anschrift, die auch die Nr. 1499, 4/144 enthalten muß, erseht Ihr aus dem Kopf dieses Briefes. ihr könnt mir schreiben wie bisher. Darin tritt keine Veränderung ein. Ich möchte gern von Dir, liebe Mutter, eifrig Post. Aber bitte deutliche Anschrift. Auch die Kinder können mir, wie bisher schreiben, vielleicht alle Wochen einen Brief. Verteilt die Post ein wenig, damit ich nicht einen Tag alles, an vielen anderen Tagen nichts habe. Ich selbst kann Euch alle 14 Tage schreiben, also nicht mehr wie bislang alle Wochen. Durch die Briefe bleiben wir in Verbindung.
Dagegen können keine Pakete mehr geschickt werden. Alles, was Ihr mir zum heutigen Geburtstag zugedacht hattet, erreichte mich in Fürstenberg nicht mehr. Nur einen Geburtstagsbrief von Alex habe ich noch bekommen. Diese Post wird nachgeschickt. Briefe, Mantel und Wäsche wird ausgehändigt, ob auch die Lebensmittel, weiß ich nicht. Also schickt keine Pakete mehr. Die Wäsche lasse ich hier reinigen.
Habt keine Sorge, daß ich dem Fortfall der Lebensmittelpakete allzusehr nachtrauere. Das Essen hier gleicht in Menge und Güte einiges aus. Größte Freude ist mir, daß ich Euch heute an meinem 46. Geburtstage schreiben darf. Es ist mir das schönste und liebste Geburtstagsgeschenk. Daß ich recht innig auch an den gestrigen Geburtstag unserer kleinen Leni gedacht habe, versteht sich von selbst. Große Freude ist mir aber auch, daß ich meine Bücher behalten darf. Da ist mir der Schott ein besonderer Trost. In ihm lese, aus ihm bete ich den ganzen Tag. Er macht mir den Tag hell und fruchtbar. Durch das Gebet bleibe ich Euch in jeder Stunde nahe. Keine Zeit des Tages, in der ich nicht für Euch und mit Euch und dem guten Doktor und Bernhard betete. Darin wollen wir gegenseitig nicht nachlassen. Besonders an meinem heutigen Geburtstage spüre ich die heilsame Kraft des Opfers u. Gebetes.
Marianne muß ich noch beglückwünschen und danken für ihr gutes Schulzeugnis. Ich habe mich darüber gefreut. An Alex habe ich heute einen eigenen Brief geschrieben. Was machen Liesel, Leni u. Natz? Was Berny u. Michael? Wie geht es Tante Lenchen ? Herzliche Grüße an sie und die Opas! Und an meine Geschwister sowie Deine. Noch einmal, liebe Mutter, herzliche Grüße an alle Kinder: Berny, Marianne, Elisabeth, Alex, Bernhard, Leni und ein Gedenken für Klaus. Tiefinnigen Gruß, Dank und herzliche Umarmung für Dich, liebste Mutti!


Ich bin Dir dankbar für jedes Wort, jeden stillen Gedanken, jedes liebe Gebet. Alles das habe ich auch immer für Dich bereit. In steter Liebe und Treue

Dein alter Nikel.

Auf Wiedersehn!

Gesundheitlich geht es mir nach wie vor gut. Mein Magen verhält sich vorbildlich. Er verträgt alles, darüber bin ich froh!
Grüße an Nachbarn und Freunde!
Den Brief mit den erbetenen Reise- oder Urlaubermarken habe ich noch nicht bekommen. Wenn ich die Marken erhalten habe, schicke ich sie zurück, da ich sie unter den neuen Umständen nicht verwenden kann.


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