Brief vom 17.09. und 18.09.1944 an die Familie

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17.09.1944

Fürstenberg, den 17.9.44

Liebe Mutter!
Ihr lieben Kinder!

Für Freitag hatte ich Euch einen Brief geschrieben, konnte ihn aber nicht abschicken. Wir haben nur noch dienstags Posttag. Ihr bekommt also einen Brief in der Woche. Ihr selbst könnt ungehindert schreiben, und ich bekomme alle Post.
Einen zweiten Brief habe ich von Euch noch nicht bekommen. Wohl die Fotos! Sie schmücken nun meine Klause. Welcher Augenblick und welche Erinnerung, mit einem Male alle die lieben, teuren Gesichter und Gestalten vor mir zu sehen. Ich bekam dann noch zwei Pakete mit Wäsche, kl. Kuchen, Zwieback, Röstbrot, Butter, Käse, Wurst und kl. St. Speck. Vielen, vielen Dank und möge ich es Euch wieder gut machen können. Mit wieviel Liebe und Mühe, gute Lisbeth, hast Du das zusammengetragen, verpackt und mit tausend heißen Wünschen abgeschickt. O, ich spüre es, wie es Dir gut tut, Deiner Liebe so Ausdruck geben zu können, für Deine Liebe etwas tun zu können. Gott möge Dein größter Vergelter sein, ich will ständig darum beten. Aber bitte, schicke nicht so viel. Nur an Brot und Aufstrich liegt es mir. Röstbrot oder Zwieback auch. Aber keine Konserven oder Leckereien.
(von der Zensur fünf bis sechs Zeilen unlesbar gemacht)
Aber - und das kann ich nicht oft und herzlich genug wiederholen, schulde ich Dir, liebste Frau, unnennbaren Dank.
Kannst Du - vielleicht hilft Trump - den alten Mantel etwas reinigen, in Ordnung bringen und schicken? Und noch ein Oberhemd mit 2 Kragen + Polohemden. Schmutzige Wäsche wird hier gewaschen. Ich habe sie schon abgegeben. Schickt mir Alaunstein oder Blutstiller für Rasierzeug. Fragt Frl. Borgemeister, ob mein Füller fertig ist. Wie steht es mit dem Tintenkuli für Dr. Schulte? Habt Ihr die Bezugsscheine für Anzug + Mantel bekommen? Auch für Vater? Hat Commertz Dich ausbezahlt und kannst Du die Pension für Alex, Bernhard, Liesel und Leni tragen? Lasse, wenn eben möglich, auf alle Fälle die Kinder, wo sie sind. Sie sind dort am geschütztesten. Was machen Deine Herzbeschwerden? Halte Dich tapfer. Sage den Kindern, daß sie innig und echt beten. Nur wenn unser Gebet aus der Tiefe des Herzens kommt, dringt es bis zu Gott. Gut, vor allen Dingen gut beten! Sage es den Kindern. Ich wollte jedem geschrieben haben. Für Berny u. Marianne hatte ich schon einen gemeinsamen Brief fertig, aber der eine Posttag in der Woche erlaubt nur einen Brief an alle. Aber Ihr müßt mir viel schreiben. Mir geht es gesundheitlich gut. Mein Magen ist sehr sanftmütig. Eine Wohltat ist die reine Wäsche. Badegelegenheit gibt es hier in ausreichendem Maße. Jeden Tag 1-2 Mal Spaziergang. Wenn ich nun die Bücher bekomme, ist auch der innere Mensch versorgt.
Soeben erhielt ich eine große und freudige Sonntagsüberraschung: ein Paket mit Hut, Schal, Weste, Strümpfen, Zwieback, Butter, Birnen. Und Bürste, Schnürsenkel. Nun bin ich gut versorgt, dank Eurer Liebe u. Opfer. Aber bitte: schickt nicht so viel Butter, braucht sie für Euch. Ich kann nicht essen, was Ihr Euch abziehen müßt! Bitte, hört auf mich! Und seid alle von Herzen bedankt.
Das Ausbleiben der Post hat mich in große Unruhe versetzt. Die Angriffe bei Euch werden heftig + häufig sein. Wenn Post ausbleibt, kann es nicht an Euch liegen. Ihr werdet schreiben. Es kann nur sein, daß Angriffe die Beförderung hindern. Hoffentlich treffen Euch die Angriffe nicht. Ihr werdet viel auszuhalten haben. Gott schütze Euch.
Alle Sachen, die Ihr mir geschickt, waren in gutem Zustand, die Butterdose unzerbrochen.


18.09.1944

Heute erhielt ich die sehr ersehnte Post: einen Brief der Mutter vom 13.9. und einen Brief von Berny, geschrieben am 6. gestempelt am 14.9. Herzlichen, wahrhaft herzlichen Dank. Auch für die neuen Fotos. Nun habe ich meine Lieben wieder alle um mich versammelt-im Bilde nur, aber beten wir, daß es auch in Wirklichkeit wieder so werde. Mir steht noch immer brennend das letzte Wort in der Seele: »Vater, wohin gehst Du?« frug mich die kleine Leni, als ich am 12.8. aus dem Hause ging. Es war das letzte Wort, das ich von einem von Euch hörte. Erinnert wurde ich in meinen Gedanken oft daran, aber ich weiß auch, daß ich dahin gehe, wohin mich der Wille Gottes weist.
Hab Dank, Du liebe gute Frau, für Deine Worte. Und Dank auch an Berny für ihren Brief. Wohin kommt denn Marianne? Nicht zum Carlswerk? Aber wohin sonst?
Es ist gut, daß Du den Bunker in Zollstock benutzest oder jetzt zu Lenchen fährst. Das gibt mir eine gewisse Ruhe. Ihr kommt in schwere Prüfungen, vielleicht können wir unser Heim doch nicht retten. Aber wenn Ihr nur alle gesund und bewahrt bleibt, dann wollen wir Gott danken. Andere Menschen müssen oder mußten gleiche Kriegsnot überstehen. Bewahrt Euch Euer Vertrauen.
Und nun Grüße an alle Kinder. Berny, Marianne, Elisabeth, Alex, Bernhard und Leni. Klaus ist nicht vergessen. Gruß an alle Freunde und Bekannte, Nachbarn. An Opa Groß und Opa Koch, an Lenchen und meine Geschwister und Michael mit Eltern, Bernh. Exeler.
Ich bin im Geiste immer bei Dir, liebe, gute Lisbeth. Tausend innige Grüße, ein ständiges Gebet für Dich und die Kinder

Dein Vati.

Absd.: Nikolaus Groß
p. A. Herrn Krim. Rat Lange (3) Fürstenberg/Mecklenburg Sicherheitspolizeischule. Haus 51


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