Westdeutsche Arbeiterzeitung,
Auszug

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Der 30.01.1933 im Urteil der KAB

Das Dritte Reich ist ausgebrochen

Es ist erreicht! Herr Hitler ist Reichskanzler. Zwei seiner Unterführer, Göring und Frick, sind Minister. Über jede weitere Auskunft wende man sich vertrauensvoll an Herrn Hugenberg. Das Dritte Reich ist da. Sein Ausbruch erfolgte etwas unprogrammgemäß und entgegen allen Hoffnungen selbst der Nationalsozialisten. Es ist sozusagen ausgebrochen, als seine besten Anhänger schon nicht mehr so recht daran glaubten. (...)

Wie ganz anders hatte man sich in seinen kühnen Wunschträumen den Anbeginn des Dritten Reiches ausgemalt. Am Tage nach der Machtübernahme sollten alle Notverordnungen aufgehoben, jede Lohn- und Rentenkürzung rückgängig gemacht, jede Ungerechtigkeit beseitigt werden. Der Führer sollte sein großes, welterrettendes Programm dem aufhorchenden Volke kundtun. Man würde Arbeit und Brot schaffen. Der Plan lag - nach den feierlichen Erklärungen des höchsten Parteiführers - fix und fertig in der Schublade. Alles war aufs beste vorbereitet. "Darum (...) Alle Macht an Hitler!"

Statt dessen begann es mit neuen Notverordnungen. Keine alte wurde außer kraft gesetzt, keine Ungerechtigkeit ausgeräumt. Man wartete auf das große Wirtschaftsprogramm und wurde mit einem zu nichts verpflichtenden Aufruf abgespeist. (...) Statt sofortiger Hilfe, die man versprochen, vertröstet man Arbeiter und Bauern nach bolschewistischer Methode auf zwei Vierjahrespläne. Einem klaren Bekenntnis zu einem sachlichen Programm, so wie es das Zentrum forderte, ist die Regierung ausgewichen. Statt Brot und Arbeit brachte man dem Volke Neuwahlen. Die Leistung der letzten 14 Jahre wurde schlecht gemacht, zugleich fordert man vom Volke einen Wunderglauben an das Heilsrezept der Harzburger1. Wer skeptisch ist und dieses äußert, dem rückt man mit Presseverboten zu Leibe. So brachte uns das Dritte Reich bisher nur viele Worte, Proklamationen, Heilsbotschaften und Parlamentsauflösungen - nur auf etwas Greifbares über Programm und Weg der Harzburger wartet man vergebens.

Das hat seinen guten Grund. Die Harzburger Front ist eine Koalition zwischen einer nationalistisch getarnten, kapitalistischen Reaktion und einem nationalrevolutionären Sozialismus. Das ist ein unnatürlicher Bund. Der eine Teil der Harzburger Front muß notwendigerweise den anderen betrügen. Man arbeitet zusammen, aber jeder will sich einen möglichst großen Anteil an der Beute sichern. Die einen rechnen mit Osthilfe und Subventionen, die anderen mit den Amtsstellen. Die einen wollen Privatkapitalismus, die anderen rufen nach Sozialismus. (...)

In amtlichen und nichtamtlichen Erklärungen wird unterschieden zwischen national und nichtnational. Alles, was zur Harzburger Front zählt, ist - bis auf weiteres - national, alles, was draußen steht, gilt als nichtnational. Durch solche Unterscheidungen spaltet man das Volk in zwei Lager. Man belastet den einen, größeren Teil des Volkes mit dem Vorwurf unnationaler Gesinnung und Haltung und erhebt den anderen, kleineren Teil über seinen tatsächlichen Wert hinaus zum Hort aller nationalen Güter. Auf diese Weise kann man nicht Volksgemeinschaft und Nation schaffen; auf solche Weise bringt man es dahin, daß das Vaterland zu einem dauernden Bürgerkriegsgebiet wird.

In den Erklärungen und Aufrufen ist viel die Rede von Gott, Gottesglaube und Christentum. Wir wünschen, daß man weniger christliche Gesinnung deklamiere, als sie vielmehr durch den Inhalt der Regierungsmaßnahmen und durch die Art der Regierungsführung beweise.

Was die Arbeiterschaft von dem neuen "System" zu erwarten hat, das dürfte jedem denkenden Arbeiter ziemlich klar sein. Zu denjenigen, die jederzeit ihre Abneigung gegen die Rechte der arbeitenden Menschen bekundet haben, gehört der Wirtschaftsdiktator im Kabinett Hitler, Herr Hugenberg. Er hat seine sozialreaktionäre Haltung nie verleugnet, er hat nie verschwiegen, daß er ein Feind einer aufrechten, selbständigen Arbeiterbewegung und ein Freund unselbständiger, gegängelter gelber Arbeiterscharen ist. Es ist die Rede davon, daß das Arbeits- und Tarifrecht - später, nach den Wahlen - dem Arbeitsministerium entzogen und Herrn Hugenberg unterstellt werden soll. Was das bedeuten würde, ist klar. Das wäre der Anfang vom Ende des Arbeits- und Tarifrechts. Eine solche Maßnahme müßte von der Arbeiterschaft als schärfste Kampfansage aufgefaßt werden.

Noch sind die letzten Dinge in der Harzburger Front und in der Regierung nicht abzuschätzen. Wenn - was die Zusammensetzung der Regierung und die größere Zielklarheit Hugenbergs andeutet - Herr Hugenberg der starke Mann im Kabinett ist, dann ist das nicht nur für die politische und taktische Situation der Nationalsozialisten von entscheidender Bedeutung, sondern ein Übergewicht Hugenbergs wird auch sozial gesehen sich in schärfster Kampfstellung der Regierung gegen die deutsche Arbeiterschaft ausdrücken.

Über eines muß sich das nicht zur Harzburger Front gehörende Volk, vor allem auch die deutsche Arbeiterschaft klar sein: Freiwillig wird das neue Regime so leicht seinen lange und heiß ersehnten Platz nicht räumen. Auch dann nicht, wenn bei der Wahl das Volk in seiner Mehrheit gegen die Harzburger entscheidet. Der Hugenbergsche "Tag" vom 5. Februar spricht bereits ganz unverblümt aus: "Die Wahl am 5. März entscheidet nicht etwa über die Frage, ob die deutsche Nationalregierung am Ruder bleiben soll oder nicht. Diese Frage ist bereits entschieden."

(...) Die Nationalsozialisten - sie sind in dieser Frage die Treiber - wollen mit allen erdenklichen Mitteln ihre eroberte Machtstellung unterbauen. Wir sind nicht bange, daß sich solchen Versuchen, wenn sie sich über die Volksmeinung hinwegsetzen und diese mißachten, das deutsche Volk nicht mit geneigtem Haupte fügen wird. (...)

Quelle: Westdeutsche Arbeiterzeitung, 11.02.1933

Aus: "Nikolaus Groß, Arbeiterführer - Widerstandskämpfer - Glaubenszeuge, Wie sollen wir vor Gott und unserem Volk bestehen?" Details zu diesem Buch mehr..., Seiten 107 - 109


1) Gemeint ist die sog. Harzburger Front. Im Oktober 1931 hatten sich in Bad Harzburg die DNVP, NSDAP und Stahlhelm in einem Aktionsbündnis zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen die Regierung Brüning zu agitieren, deren Plan einer Zollunion mit Österreich gerade gescheitert war. Die NSDAP machte das Zusammengehen mit den Deutschnationalen gesellschaftsfähig; die DNVP glaubte, Hitler als "Trommler" für ihre Ziele eingespannt zu haben.

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