Westdeutsche Arbeiterzeitung,
Auszug

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Weltanschauliche Beurteilung des Nationalsozialismus

Wie stehen wir zur "Einheitsfront"?

Der Nationalsozialismus als Einigungsbewegung

Der Nationalsozialismus stellt weltanschaulich ein wildes Durcheinander aus den verschiedensten Weltanschauungen dar. Seinem Wesen nach ist er zutiefst liberalistisch. Auf diesem (brüchigen) Fundament baute er eine waaghalsige Ideenpyramide auf. Teils Weltanschauung, teils Religionsersatz, dazu ein Stückchen Parteiprogramm, Wirtschaftsreform, gesellschaftliche Heilsbotschaft, Rassenlehre, Kollektivismus, Individualismus u.a.m. heidnisch-germanische Sittenbegriffe wurden vereinigt mit falsch verstandenen oder zu Irrlehren umgebogenen Gedanken des Christentums: Mal ist dieses "Christentum" völlig undefinierbar, mal schillert es lebhaft in antikatholischen Farben: von Luther wurde viel entliehen für die sittliche Grundlegung des Nationalsozialismus. Nietzsche steuerte seine Philosophie des Über- und Herrenmenschentums und den von ihm entwickelten Protest des Willens gegen die Vernunft bei, Lagarde ist mit seiner Forderung nach einer deutschen Kirche und seinem Antisemitismus in der nationalsozialistischen "Weltanschauung" vertreten. Chamberlain wurde als Verfechter des nordischen Rasseideals übernommen, von dem sozialistischen jüdischen Altmeister Karl Marx entlieh man Teile seines modernen Sozialismus, Mussolini lieferte das Vorbild des Faschismus, nur Christus in seiner unverfälschten Lehre kommt wenig zu Wort. Das ist die Weltanschauung des Nationalsozialismus - zusammengesucht, widerspruchsvoll, opportunistisch, verschwommen, utopisch, Pathos ohne Ethos, potemkinsche Dörfer im Geistig-Weltanschaulichen. Die nationalsozialistische Weltanschauung ist nicht einmal eindeutig christlich, geschweige denn katholisch.

Politisch ist der Nationalsozialismus Gegner des Volksstaates und der Demokratie und Verfechter des Diktaturgedankens. Deshalb ist der Nationalsozialismus auch das Sammelbecken der politisch Unreifen und Unmündigen geworden. Wirtschaftlich pendelt er haltlos zwischen Kollektivismus und Privatkapitalismus. Seine wirtschaftlichen Lehren sind teils nicht ernst gemeint und nur für die Propaganda bestimmt (Scheidung zwischen raffendem und schaffendem Kapital), teils sind sie wirklichkeitsfremd (die Federsche Geld- und Währungstheorie) oder dem Vorbild des italienisch-faschistischen Wirtschaftssystems entnommen (Forderung einer berufsständischen Ordnung). Sozialpolitisch fehlt dem Nationalsozialismus jede eindeutige Linie. Er verspricht allen alles, ohne auch nur einen Teil davon verwirklichen zu können. Seine Anhänger und Nachläufer, soweit sie aus der Arbeiterschaft kommen, haben in der Vergangenheit immer zu den Unorganisierten, den gewerkschaftlichen Drückebergern gehört. Man kann deshalb zu ihrem sozialpolitischen Wollen und Können kein großes Vertrauen haben. Auch gesellschaftspolitisch verzichtet der Nationalsozialismus auf jedes eigene, ausreichend begründete und geschlossene Bild.

Dieser in jeder Beziehung uneinheitliche und widerspruchsvolle Nationalsozialismus erhebt nun Anspruch darauf, Einigungsbewegung der deutschen Arbeiter zu sein. Für uns ist er das nicht. Soweit er das Ansinnen stellt, als Weltanschauung, etwa gar noch als christlich-weltanschauliche Bewegung angesprochen zu werden, müssen wir ihn als Katholiken entschieden und scharf ablehnen. Die Fuldaer Bischofskonferenz hat festgestellt, daß der Nationalsozialismus zu fundamentalen Wahrheiten des Christentums in schroffem Gegensatz steht. Das genügt. Und was unsererseits politisch und wirtschaftlich, was sozialpolitisch und gewerkschaftlich zum Nationalsozialismus zu sagen ist, das ist hier in den vergangenen Jahren mit der notwendigen Eindeutigkeit gesagt worden. Es ist ganz undenkbar, daß der Nationalsozialismus, der sich "Arbeiterpartei" nennt, in der aber die Arbeiter nichts oder kaum etwas zu sagen haben für uns als Einigungsbewegung gelten kann. Eine von ehemaligen Fürsten, Adel, Schwerindustriellen, Großlandwirten, alten Militärs geführte und in Programm und Praxis wesentlich beeinflußte Partei, wie die nationalsozialistische, kann nie Einigungsbewegung der deutschen Arbeiter sein.

Quelle: Westdeutsche Arbeiterzeitung, 27.08.1932

Aus: "Nikolaus Groß, Arbeiterführer - Widerstandskämpfer - Glaubenszeuge, Wie sollen wir vor Gott und unserem Volk bestehen?" Details zu diesem Buch mehr..., Seiten 97 - 99


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