Stichwort Heiligsprechung

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Heiligsprechung. 1. Begriff H. bedeutet das feierliche Urteil des Papstes über das geglückte Leben von Dienern und Dienerinnen Gottes, "die dem Vorbild Christi besonders gefolgt sind und durch das Vergießen ihres Blutes (Martyrer) od. durch heroische Tugendübung (Bekenner) ein hervorragendes Zeugnis für das Himmelreich" abgelegt haben (AAS 75 [1983) 349). Indem die Kirche durch Heiligsprechung einigen Gläubigen amtlich bestätigt, daß sie "die Tugenden heldenhaft geübt u. in Treue zur Gnade Gottes gelebt haben", anerkennt sie zugleich "die Macht des Geistes der Heiligkeit. der in ihr ist. Sie stärkt die Hoffnung der Gläubigen, indem sie ihnen die Heiligen als Vorbilder u. Fürsprecher gibt" (KatKK Nr. 828). Diese amtliche Gewißheit rechtfertigt den öffentlichen Kult der Heiligen.

2. Geschichte. Ausgehend von der frühchristlichen Verehrung der /Martyrer, wurde besonders seit der 2. Hälfte des 4. Jh. der öffentliche Kult auf solche Persönlichkeiten ausgedehnt, deren Ruf der Heiligkeit feststand. weil er durch nach ihrem Tod gewirkte außerordentliche Zeichen bestätigt worden war, die als /Wunder gewertet wurden. So konnte man auch ohne Blutvergießen durch heroische Tugendübung die Verdienste des Mtm. erlangen. In der Folgezeit wurden auch diejenigen großen Bischöfe und Lehrer als "confessores" verehrt, die gegen Irrlehren gekämpft u. sich zum wahren Glauben bekannt hatten. Diesen /Bekennern im eigtl. Sinn wurden bald auch bedeutende Einsiedler, Koinobiten, Asketen. Mönche und Missionare hinzugezählt, denen eines gemeinsam ist: sie wurden vom gläubigen Volk besonders verehrt. Äußeres Zeichen der Anerkennung dieser Verehrung war die Erhebung ihrer Gebeine im Beisein des zuständigen Ortsbischöfe und deren Wiederbeisetzung in einem Altar. Die H. eines Martyrers bzw. eines Bekenners bestand außer in der "elevatio" bzw. "translatio corporis" in der Kultapprobation seitens des Ortsbischofs, wobei der Lebenslauf ("vita"), die erlittenen Torturen bzw. die Großtaten des H.-Kandidaten dem gläubigen Volk vorgelesen wurden. Eine solche Erhebung "zur Ehre der Altäre" geschah nicht selten anläßlich einer Synode, wobei die hier versammelten Bischöfe feierlich ihre Zustimmung zum öffentlichen Kult gaben. Zwischen "Seligen" und "Heiligen" wurde nicht unterschieden. Wegen aufkommender Mißbräuche und um der bischöflichen Kultapprobation größeres Gewicht zu verleihen, wandte man sich zunächst in Einzelfällen an den Bischof von Rom. Die erste v. Papst vorgenommene H. war am 11.6.993 die des Bischofs Ulrich v. Augsburg durch Johannes XV. Auf die Dekretale Audivimus Alexanders III. (1159-81) geht die allgemeine päpstliche Reservation zurück. Verbindlichkeit erlangte sie erst seit 1234 durch ihre Aufnahme in die Dekretalen Gregors IX. (c. 5 1 X 3,45). Dessen ungeachtet approbierten die Bischöfe weiterhin den öffentlichen Kult v. Dienern Gottes. So bildete sich allmählich auf der Grundlage der Attribute "beatus" u. "sanctus" die Unterscheidung v. bischöflicher Seligsprechung u. päpstlicher H. heraus. Erst mit der Errichtung der SC Rit. durch Sixtus V. 1588 u. mit entsprechender Kompetenzübertragung war ein Instrument geschaffen, das päpstliche Vorbehaltsrecht in die Praxis umzusetzen. Auf Urban VIII. u. Benedikt XIV. geht das H.-Verfahren zurück, wie es in den CIC/1917 Eingang gefunden hat. Dabei hat Urban VIII. das bisherige Verfahren insofern umgekehrt. als es ab sofort nicht mehr um die rechtmäßige Bestätigung eines vorhandenen Kultes durch die kirchliche Autorität ging, sondern ein Diener Gottes durfte erst dann amtlich verehrt werden, nachdem sein heroisches Tugendstreben und sein Vorbildcharakter prozessual erwiesen waren. Das setzte eine noch bis heute erforderliche Untersuchung in einem "processus super non cultu" voraus, der in einem erkennbaren Widerspruch zur ebenfalls unabdingbaren Verehrung durch das gläubige Volk steht. Paul VI. hat mit MP Sanctitas ciarior vom 19.3. 1969 den Bitten des Weltepiskopats auf dem Vatikanum II zu entsprechen versucht, der unverhältnismäßigen Prozeßlänge durch Straffung des Verfahrens zu begegnen.

3. Rechtsgrundlagen. Mit der Apostolischen Konstitution Divinus perfectionis Magister vom 25.1.1983 hat Johannes Paul II. das H.-Verfahren nach Maßgabe der Verweisungsnorm des c. 1403 § 1 CIC neu geordnet. Die C Sanct. hat daraufhin am 7.2.1983 besondere Richtlinien für die Bischöfe bei den Erhebungen in H.Verfahren zus. mit einem Überleitungsdekret v. selben Tag in bezug auf die Behandlung bereits anhängiger Prozesse erlassen. Eine am 21.3.1983 päpstlich approbierte Geschäftsordnung regelte das interne Vorgehen dieses Dikasteriums.

4. Verfahren. Nach formeller Seligsprechung (Beatifikation), die nur eine begrenzte päpstliche Kultgenehmigung, z.B. für eine Ortskirche, für eine Ordensgemeinschaft oder für ein bestimmtes Land zum Gegenstand hat, bezieht sich H. auf die Aufnahme in das Verzeichnis der Heiligen, "Canon" genannt; daher auch die Bezeichnung "Kanonisation". Das H.-Verfahren folgt im wesentlichen den Regeln des Seligsprechungsprozesses. Außer einer hinreichenden Verehrung ist ein zeitlich nach der Seligsprechung auf die Fürsprache des Seligen bewirktes, in einem getrennten Verfahren zu belegendes Wunder erforderlich. Danach liegt es im alleinigen Ermessen des Papstes zu entscheiden, ob er die Kanonisation vornehmen will. Einen Rechtsanspruch darauf nach erfolgreich abgeschlossenem Verfahren gibt es nicht. Im Unterschied zu allen sonstigen kanonischen Prozessen, die auf einen durchsetzbaren Rechtsakt in Form eines vollstreckbaren Urteils abzielen, besteht die Besonderheit des Seligsprechungsverfahrens bzw. des H.Prozesses darin, daß sie nur eine Schlußfolgerung darstellen, die auf ein mögliches Urteil des Papstes gerichtet ist, das dieser in Würdigung des Prozeßergebnisses frei fällt. d.h., das er bestätigen, aber auch ablehnen kann. Beides kommt vor.

5. Der theologische Sinn der H. Durch H. anerkennt die Kirche nicht primär das Streben nach persönlicher Vollkommenheit in der Nachf. Christi. wenngleich dies auch mitgemeint ist: auch ist H. in einer nicht nur auf das individuelle Heil der Menschen ausgerichteten Theologie mehr als die Erlangung des heroischen Tugendgrades im Sinne eines Ansporns zu vorbildhafter Nachahmung: H. ist ekklesiologisch Selbsterkenntnis der Kirche, vom Vatikanum II an der Nahtstelle des endzeitlichen Charakters der pilgernden Kirche u. ihrer Einheit mit der himmlischen Kirche behandelt (LG 48-51). Jede H. ist somit eine Aussage der Kirche über sich selbst, worin ihr eschatologisches Bewußtsein zum Ausdruck kommt, das sie befugt, bereits jetzt konkrete Personen als Heilige namhaft zu machen. Die Heiligen sind demzufolge keine "Glückstreffer" einer abstrakten Heilsanstalt Kirche, deren heroisch geübter Tugendgrad sie als Vorbilder aus dem sündigen Alltag der "normalen" Gläubigen abhebt und denen man deshalb die schuldige Heldenverehrung entgegenzubringen hat; Heilige sind vielmehr die Verwirklichung der konkreten Heilszusage Christi an seine Kirche. Indem sich die Kirche für sie verbürgt, bekennt sie sich zu sich selbst als "unzerstörbar heilig" (LG 48) und zugleich zu ihrer Geschichte (/Heiligenverehrung). Heiligkeit vollzieht sich deshalb nicht als abstraktes Ideal eines übernatürlich begründeten Sollensauftrags, der als solcher einem immer gleichen Schema zu folgen hätte. z. B. einem fixen Kriterienkatalog für die Feststellung des heroischen Tugendgrades, dem das stark schematisierte Vorgehen im bisherigen H.-Verfahren Vorschub leisten konnte: Heiligkeit gewinnt vielmehr stets neue, konkrete und damit geschichtlich einmalige Gestalt, die sich in kein vorgefertigtes Schema pressen läßt. Die großen Heiligengestalten der Kirche bestätigen diese Auffassung.

6. Die Liturgie der H. Ein diesbezüglich verbindlicher Ritus ist bis z. Stunde nicht promulgiert worden. Die H.en folgen derzeit einer pro casu geschaffenen Liturgie.

7. in der griechisch-orthodoxen Kirche gibt es kein förmliches H.-Verfahren. wohl aber eine Kultanerkennung durch Synodenbeschluß (/Heiligenverehrung, V. In den Ostkirchen).

QQ: Benedikt XIV.: De servorum Dei beatificatione et beatorum Canonizatione. 4 Bde. Prato 1839-42. Lit.: Rahner S 3, 111-126: W. Schamoni: lnventarium Processum Beatificationis et Canonizationis. Hi-Z-NY 1983; A. Casieri: Postulatorum Vademecum. Ro 1985: W. Schulz: Das neue Selig- u. Heiligsprechungsverfahren. Pb 1988 (Lit.); P. Galavotti: Index ac Status Causarum. Va 1988 (mit 2 Suppl. v. 1988 u. 1991); R. Rodrigo: Manuale per istruire i processi di canonizzazione dei Santi. Va 1992: A. Eszer: II concetto della virtu eroica nella storia: Sacramenti. Liturgia. Causc dei Santi. Studi in onore del Card. G. Casoria. Na 1992. 605-636.

WINFRIED SCHULZ

Aus: Lexikon für Theologie und Kirche, Vierter Band 1995, Herder Freiburg, Basel, Rom, Wien , S. 1328-1332


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