Ansprache von Weihbischof Franz Grave

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"Dein Reich komme" so lautet die zweite Bitte im "Vater unser"; lateinisch: adveniat regnum tuum. Diese Stelle im "Vater unser" gab der bischöflichen Aktion Adveniat bei ihrer Gründung im Jahre 1961 ihren Namen. "Dein Reich komme" diese Worte beten wir zwar immer wieder; sind wir uns aber auch bewusst, um was wir beten?

Immer wieder klagen Menschen: Warum hat sich die Welt durch das Kommen Jesu nicht geändert? Warum müssen Menschen noch immer sinnlos leiden? Warum mussten Ende Oktober bei der Befreiung der fast 800 Geiseln in Moskau durch das eingesetzte Gas so viele Menschen sterben?

Eine eindeutige Antwort weiß ich auch nicht.

Trotzdem, das Reich Gottes wird spürbar, wenn Menschen versuchen seine Gaben, Gottes- und Nächstenliebe, Frieden und Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit in die Tat umzusetzen.

Ich denke hier an Nikolaus Groß. Der Vater von sieben Kindern wurde Opfer einer verbrecherischen Staatsmacht. Geboren in Niederwenigern im Ruhrgebiet - verhaftet in Köln - hingerichtet 1945 in Berlin-Plötzensee, nach einem Prozess vor dem Volksgerichtshof. Nikolaus Groß war ein Mann, der Zivilcourage und eigene Verantwortung, selbständiges Denken und Urteilsvermögen gelebt hat. Sein soziales Engagement und seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus waren getragen von einem tiefen Glauben und einem unerschütterlichen Gottvertrauen. Obwohl damals Gehorsam gegenüber der Obrigkeit als Ideal gepriesen wurde, hat Nikolaus Groß Mut bewiesen und eine eigenständige Gewissensentscheidung getroffen. Aus dem Gefängnis schreibt er an seine Familie: "Ich weiß auch, dass ich dahin gehe, wohin mich der Wille Gottes weist." So hat er einer verbrecherischen Staatsmacht zu widerstehen versucht und widerstanden, mit allen Konsequenzen. Für mich ist er ein Vorbild auch für die Kirche von heute.

Ich erinnere an Rosalyna Tuyuk in Guatemala. Ihr Mann und ihr Vater wurden verschleppt und umgebracht. Darauf gründete sie die Witwenorganisation Konabigua. Sie sagt: "In unserer Arbeit als Katecheten habe ich gelernt, unsere Wirklichkeit und die der Bibel zu entdecken. Ich verstand, dass die Bibel die gute Botschaft verkündet, aber auch die Ungerechtigkeit denunziert. So habe ich gelernt, dass man die materiellen und die spirituellen Dinge nicht trennen kann. Ich denke, wir müssen Gott ein wenig helfen, sein Reich aufzubauen."

Das Reich Gottes wächst, wenn es Gestalt gewinnt in unseren Herzen, wenn seine Merkmale Friede und Gerechtigkeit in uns und durch uns immer mehr Leben gewinnen. Die Menschen in Lateinamerika brauchen unsere Solidarität, auch finanzielle Solidarität, indem wir die kirchlichen Hilfswerke unterstützen. Gerade jetzt, an Weihnachten, bittet Adveniat darum.


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