Predigt von Bischof
Dr. Hubert Luthe

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Was ihn trug

Der liebende Familienvater, der große Beter: Nikolaus Groß. Ein Seliger unserer Tage und aus unserer Nachbarschaft, den Familien in ihren Anliegen um Fürsprache anrufen sollten. So hat ihn Bischof Hubert Luthe am vergangenen Sonntag beim Pontifikalamt in der Essener Münsterkirche vorgestellt. Mit diesem Gottesdienst und der eindrucksvollen Aufführung des Musicals "Nikolaus Groß" in der Grugahalle endeten im Bistum die Vorbereitungen auf die Seligsprechung des Märtyrers aus Niederwenigern - und gingen über in Vorfreude auf die große Feier an diesem Sonntag in Rom. Auszüge aus der Predigt des Bischofs, die unter anderem Bezug nahm auf das Buch "Sieben um einen Tisch", in dem Nikolaus Groß vom Leben mit seiner Familie, mit seiner Frau und seinen sieben Kindern erzählt.

Nikolaus Groß hat in seiner und mit seiner Familie gelebt. Ohne seine Frau und seine sieben Kinder lässt er sich nicht verstehen, nicht einmal denken... Es tut wohl, ihn von den ersten Schritten eines seiner Kinder berichten zu hören, wie der Junge sich, so wörtlich, "zum Nachteil seines hübschen Anzuges und seiner sauberen Hände seit einigen Wochen auf allen Vieren bewegte und seit Tagen an Wand und Schrank entlang tastete, hatte er heute den ersten Versuch gewagt, allein, aufrecht und ohne Stütze die weite Entfernung zwischen Schrank und Stuhl, zwischen Stuhl und Tisch zurückzulegen".

So möchte man weiterlesen, um an der Freude teilzunehmen, die Nikolaus Groß an seinen Kindern hatte: Sicher war es damals, wenn auch auf andere Weise, ebenso schwer sieben Kinder großzuziehen wie heute. Aber darf ich ihn noch einmal zu Wort kommen lassen: "Sieben Kinder und ein Tisch! Mit keinem Mächtigen und Großen der Erde tausche ich meinen Platz. Mag der andere auch viele Tische haben, die seine Wohnung füllen, sie können meinen Neid nicht wecken, wenn mir nur meiner mit dem Notwendigsten gedeckt bleibt. Mögen seine Tische auch schöner und kostbarer sein als unser rauhes Vierbein; mehr als an einem Platz kann auch der Reichste nicht sitzen. All sein Reichtum gilt mir nichts, wenn ich in ein klares Kinderauge schaue, darin die Schönheit der ganzen Welt verborgen liegt... Keiner, dem der Reichtum der Erde und die Ehre der Menschen zugefallen ist, kann mehr besitzen, als ich besitze, wenn ich die Sieben, froh und gesund an Leib und Seele, um mich versammelt habe."

Groß hatte seit 1929 seinen Arbeitsplatz gegenüber der Wohnung. Er hatte sich "seinen Schreibtisch so stellen lassen, dass er durch das Fenster seiner Redaktionsräume die eigenen Kinder auf dem Hof wahrnehmen konnte, und so wusste er manchmal schon vor dem mittäglichen Zusammensein, was es an diesem Tag mit seinen Sprößlingen auf sich hatte" (Erich Kock).

Trotz all dem war das Haus Groß keine Idylle. Denn all das, was wir jetzt schon fast ein Vierteljahr lang in der Ruhrwort-Serie "Nikolaus Groß - Journalist" Woche für Woche aus seinen Artikeln lesen können, schlug als Sorge und Not ja in dieses Familienleben hinein. Aber daran ist die Familie gewachsen. In ihr war das gemeinsame Morgen-, Tisch- und Abendgebet eine Selbstverständlichkeit...

Wieder und wieder höre ich heute die vorwurfsvolle Frage, wie Nikolaus Groß sich mit fortschreitenden Jahren immer mehr in den offenen Widerstand gegen den Nationalsozialismus hineinbegeben konnte, ohne auf seine Familie Rücksicht zu nehmen. Ich antworte: Nur seine Familie gab ihm dazu die Kraft, und mit seiner Frau lebte er darüber in tiefstem Einverständnis. Am Tag vor dem Attentat auf Hitler am 20. Juli in der Wolfsschanze hat ihn der Paderborner Diözesanpräses der KAB, Prälat Caspar Schulte, gefragt: "Herr Groß, denken Sie daran, dass Sie sieben Kinder haben. Ich habe keine Familie, für die ich verantwortlich bin. Es geht um Ihr Leben." Nikolaus Groß hat geantwortet: "Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie wollen wir dann vor Gott und unserem Volke einmal bestehen?"...

Vor Gott und vor unserem Volke! Nikolaus Groß war ein tief gläubiger, er war ein betender Mensch. Nirgendwo wird das deutlicher als in den Briefen, die er seit seiner Gefangennahme bis zur Hinrichtung an seine Familie geschrieben hat. Nur in zweien dieser dreiundzwanzig Briefe erwähnt er nicht das Gebet. So schreibt er beispielsweise:

"Tiefen Schmerz macht es mir, wie vor allen Dingen Du, liebe Mutter, die Prüfung dieses Tages bestehen musst, nunmehr eine doppelte, die um den Klaus (der als vermisst gemeldet worden war) und die um mich. Aber ich helfe Dir, liebe Mutter. Ich habe viel Zeit für das Gebet und ich lasse sie nicht ungenutzt. - Bleibe auch Du mit den Kindern immer bei mir."

Der Gefängnispfarrer Peter Buchholz in Berlin-Tegel und in Plötzensee schreibt über ihn: "Einer der Edelsten und Besten, dem ich in Tegel begegnete und dem ich in der Folge mehrere Male in der Woche regelmäßig begegnen konnte, war Nikolaus Groß. Wie oft habe ich ihn kniend vor seinem Zellenschemel getroffen, wenn ich unvermittelt seine Tür aufschloss! Es war geradezu ergreifend, mit welcher Ehrfurcht, Dankbarkeit und gläubiger Hingabe er die heilige Kommunion empfing, die ich ihm bei jedem Besuch reichen konnte." - "Außer Gott füllt nur Ihr meine Gedanken aus", schreibt er am 5. November 1944 aus der Haft. Und im letzten Brief, zwei Tage vor seiner Hinrichtung:

"Fürchtet nicht, dass angesichts des Todes großer Sturm und Unruhe in mir sei. Ich habe täglich immer wieder um die Kraft und Gnade gebeten, dass der Herr mich und Euch stark mache, alles geduldig und ergeben auf uns zu nehmen, was Er für uns bestimmt oder zugelassen. Und ich spüre, wie es durch das Gebet in mir still und friedlich geworden ist."

Nikolaus Groß! Familienvater und Märtyrer! Ich hoffe, wir spüren, wie sehr diese beiden Worte zusammengehören, wie sehr das eine nicht vom anderen zu trennen ist. Und da wir nun Nikolaus Groß als Seligen verehren dürfen, möchte ich ihn ganz besonders als Fürsprecher bei Gott für unsere Familien bitten.

Ruhrwort 06.10.2001


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