Christliche Weltverantwortung und Martyrium

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In der Zeit von 1933 bis 1945 zeigt das Leben und Wirken einzelner die Unvereinbarkeit der nationalsozialistischen Ideologie mit dem christlichen Glauben. Das Zeugnis jener, die sich aufgrund ihres christlichen Glaubens gegen Unrecht und Gewalt und für die Würde des Menschen einsetzten, hat Vorbildcharakter. Dazu gehört auch das Zeugnis Nikolaus Groß´, der sich im Widerstand der Katholischen Arbeiterbewegung engagierte und deshalb am 23. Januar in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Bischof Dr. Luthe hat Nikolaus Groß einen "tapferen Zeugen unseres Glaubens" genannt und ihn "in die Reihe der unzähligen Märtyer Jesu Christi gestellt, von Stephanus bis in unsere Tage". Insofern ist die Auseinandersetzung mit dem Martyrium im diachronen Kontext der Geschichte und im weltweiten Kontext der Gegenwart ein unverzichtbarer Bestandteil der christlichen Erinnerungskultur. Am Beispiel der seligen Männer und Frauen, die für ihren Glauben starben, wird deutlich, daß der christliche Glaube nicht folgenloses Theoretisieren ist, sondern eine Lebenspraxis, die unter Umständen zum Einsatz des eigenen Lebens, zum Martyrium, herausfordert.

Wenngleich die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft andere sind als in der Zeit des "Dritten Reichs", könnten Optionen für heute heißen: Widerstand zugunsten jener, die heute Opfer von Unrecht und Gewalt sind, und jener, die am Rand der Gesellschaft, in der weltweiten Armut, ausgegrenzt aufgrund von Krankheit oder mangelnder Bildung leben müssen.


Christliche Weltverantwortung und ihre Märtyrer

(...) Die Annahme und Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils hat in Lateinamerika nicht nur Basisgemeinden und Befreiungstheologen hervorgebracht, sondern auch eine große Anzahl herausragender Persönlichkeiten im Bischofsamt. Heute, über 30 Jahre nach Abschluß des Konzils, sind manche von ihnen schon tot, andere leben noch wie Helder Camara, Paulo Evaristo Arns und Pedro Casaldaliga in Brasilien, Silva Henriquez und Jorge Hourton in Chile. Zu dieser Generation gehört auch Oscar Arnulfo Romero, Erzbischof von San Salvador und Märtyrer unserer Zeit. Erzbischof Romero war kein Mietling. Er war ein wirklicher Hirte. Und er wurde zum Märtyrer auf Grund einer Kette von Glaubensentscheidungen im politischen Raum. Wie Dietrich Bonhoeffer, Franz Jägerstätter, Nikolaus Groß und andere Christen in unserem Land forderte er aktiven Widerstand gegen ungerechte, unmenschliche Maßnahmen staatlichen Terrors. Wie der evangelische Theologe und die beiden katholischen Laien, die gegen den Nationalsozialismus ihr Leben riskierten, ist auch Erzbischof Romero über den Tod hinaus umstritten: War er wirklich ein Märtyrer des Glaubens? Oder wurden Romero, Bonhoeffer, Jägerstätter, Nikolaus Groß und so viele andere Christen "nur" aus politischen Gründen umgebracht? Auf jeden Fall haben sie so gehandelt wie es alle Christen hätten tun sollen. Ihr mutiges Verhalten entschleiert bis heute Unglauben und Lebenslügen, politische Anpassung und als Klugheit getarnte Feigheit.

Wie Erik Peterson in seiner Studie "Zeuge der Wahrheit" in den dreißiger Jahren herausgearbeitet hat, wird mit dem Offenbarwerden Jesu Christi zugleich auch der Antichrist offenbar und erleiden Menschen das Martyrium. "Wenn die Botschaft Jesu (...) eine bloße Philosophie wäre, über die man zu diskutieren hätte, jahrelang, jahrhundertelang, würde es keine Märtyrer geben."

Und: "Angesichts des Offenbarwerdens Jesu Christi muß auch die Sphäre des Politischen offenbar werden." In allen Epochen der Kirchengeschichte kann man feststellen: Märtyrerinnen und Märtyrer starben, weil ihre Glaubensentscheidungen zu Störfaktoren im Betrieb des Politischen wurden. Wer Jesus von Nazaret im Glauben nachfolgt, wer die Offenbarung Gottes in Christus bezeugt, der provoziert. Denn er macht, indem er das erste Gebot - "Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben!" (Ex 20,2-3) - heilig hält, sichtbar, daß im Bereich von Staat, Politik und Gesellschaft und Wirtschaft andere Götter Anerkennung beanspruchen. Erzbischof Romero wie Dietrich Bonhoeffer, Franz Jägerstätter und Nikolaus Groß haben aus Glauben in ihrem Leben persönliche Konsequenzen gezogen - ohne sich von der Möglichkeit, dabei das Leben zu verlieren, abschrecken zu lassen. "Wo der Tod nicht mehr herrscht, ist niemand beherrschbar" (Franz Hinkelammert). Deshalb konnten totalitäre Systeme sie nicht gleichschalten. Als Christen erkannten sie: Politische Alternativen und Befreiung sind möglich. Märtyrer sind ein Licht, das die Wirklichkeit besser sehen und verstehen läßt.

Die Erinnerung an sie hilft gegen die Verharmlosung der Zustände. Märtyrer zeigen, worum es bei christlicher Weltgestaltung auch in Zukunft gehen muß.

Quelle: Johannes Meier über einen Märtyrer unserer Zeit. Oscar Romero - die Stimme der Stummen, Ruhrwort, 06.01. 1997

Aus: "Nikolaus Groß, Arbeiterführer - Widerstandskämpfer - Glaubenszeuge, Wie sollen wir vor Gott und unserem Volk bestehen?" Details zu diesem Buch mehr..., Seiten 290 ff


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