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Harald Dohrn

Hans Quecke

Heilgymnast
* 17. April 1885 Neapel
+ 29. April 1945 München
Ministerialrat
* 4. März 1901 Gelsenkirchen
+ 29. April 1945 München

Harald Dohrn wurde in Neapel geboren, lebte mit seiner zweiten Frau Herta D., geb. Quecke, als Heilgymnast im bayerischen Bad Wiessee am Tegernsee. 1941 begründete er ein Sanatorium für „Reform- und Diätverpflegung“, aber im selben Jahr wurde dort von den Nationalsozialisten ein NSV Heim (NSV = Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) für werdende Mütter einquartiert. Sie hatten vier Kinder. D. war – aus erster Ehe – der Stiefvater von Herta Probst-Siebler, geb. Dohrn, die im Jahre 1940 die Ehefrau von Christoph Probst, eines Mitglieds der „Weißen Rose“, wurde. Doch Harald Dohrn zog Herta, die aus der Ehe seines 1914 nach einem Skiunfall verstorbenen Bruders Wolfgang mit Johanna Dohrn, geb. Sattler, stammte, wie sein eigenes Kind auf. In den meisten einschlägigen bisherigen Veröffentlichungen wird Harald Dohrn jedoch als Schwiegervater von Christoph Probst bezeichnet, einem Studenten der Medizin. Bereits im Zusammenhang mit dem Münchner Studentenprozess war der Katholik D., nachdem er an zwei Versammlungen der „Weißen Rose“ teilgenommen hatte, verhaftet und unter Hochverdachtsanklage gestellt, dann aber mangels Beweisen am 13. 07. 1943 freigesprochen und freigelassen worden. D.s Vater, Prof. Dr. Felix Anton D., begründete die „Zoologische Station in Neapel“, die weltweit bis heute großes Ansehen genießt, und pflegte über 15 Jahre Briefkontakt mit Charles Darwin. 1933 wurde D.s erste Ehe mit Johanna annulliert.

Der Schwager von D., Ministerialrat Hans Quecke, war häufig zu Gast in Bad Wiessee. In Gelsenkirchen zur Welt gekommen, aber in Duisburg aufgewachsen, hatte Q. in Freiburg und Marburg studiert. 1929 wurde er Mitglied des Zentrums und war dann an einem preußischen Ministerium in Berlin tätig. Zuletzt war er Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium. Er war begeisterter Humanist, war mit Reinhold Schneider und Romano Guardini befreundet. Mit seiner großen Familie – er hatte sechs Söhne – ging er jeden Sonntag zur Kirche in Berlin-Schlachtensee. Als gegen Ende des Zweiten Weltkriegs das Reichswirtschaftsministerium evakuiert wurde, kam Q.s Referat nach Bad Wiessee; vermutlich hatte er auf diesen Standort selbst Einfluss genommen. In Bad Wiessee lebte seine Schwester Herta, die mit D. verheiratet war.

Zwei Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner im Norden Münchens am 30. 04. 1945, also am Samstag, dem 28. April 1945, wurde über die Rundfunksender Erding und Freimann zur „Freiheitsaktion Bayern“ (FAB) aufgerufen. Die FAB, eine Gruppe von Offizieren und Mannschaften der Wehrmacht in München und Freising, in der die Gegnerschaft gegen den NS wach gehalten wurde, wollte mit allen Mitteln die Verteidigung Münchens verhindern und zugleich dem Ausland gegenüber die Existenz eines anderen Deutschland aus christlichem Geist unter Beweis stellen.

An jenem 28. 04. 1945 hörte D. den Radioaufruf der FAB. D. war so sehr erfreut darüber, dass er zu laut sich positiv darüber äußerte. Aufgrund einer Denunziation von zwei Frauen wurden D. und Q. am Morgen des 29. 04. 1945 verhaftet und nach München gebracht. Q. sogar ohne Feststellung der Personalien als ein „Herr aus Berlin“, was vermutlich auf eine Verwechslung zurückzuführen war.

Beide kamen in die Hände von Reichsverteidigungskommissar und Gauleiter Paul Giesler im Zentralministerium in der Ludwigstraße, seinem Amtssitz. Es war Gieslers Absicht gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, sämtliche Münchner Brücken sprengen zu lassen, was für die Versorgung der Bevölkerung verheerende Folgen gehabt hätte. Giesler war grausam bis zum Ende seiner traurigen Herrschaft in München. Er ließ einige unschuldige Bürger noch am Samstag und Sonntag, den 28. und 29. 04. 1945, im Zentralministerium hinmorden.

Als dem Mordkommando am Spätnachmittag des 29.04. unter dem Geschützfeuer der bereits in den Vororten Münchens stehenden amerikanischen Panzerspitzen im Zentralministerium der Boden zu heiß wurde, fuhr das Exekutionspersonal seine letzten Opfer eigens mit dem Lastwagen an eine einsame Stelle in den Perlacher Forst und tötete die Unschuldigen mit Genickschuss. Die Leichen ließen sie liegen. Sie wurden erst drei Wochen später aufgefunden und im Friedhof am Perlacher Forst zunächst als unbekannt beerdigt.

Während die Namen eines Teils der im Zentralministerium Umgebrachten leider nicht mehr feststellbar sind, konnten zwei der am Friedhof am Perlacher Forst Beerdigten (von deren Schwager, dem Rechtsanwalt Dr. Ernst Viktor Keßler, 1914 – 1993, der Verf.) identifiziert werden: D. aus Bad Wiessee und sein Schwager Q. aus Berlin-Schlachtensee. Ein eigenartiges Geschick hat es gefügt, dass gerade diese beiden Personen unweit dem Grabe der am 22. 02. 1943 hingerichteten Studenten Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst beigesetzt sind.

Für D. und Q. wurde in Bad Wiessee vor der Pfarrkirche ein Volkskreuz aufgestellt, auf dem zu lesen ist, dass diese beiden Katholiken als „Opfer des Nationalsozialismus für Glaube, Menschlichkeit und Freiheit“ in den gewaltsamen Tod gegangen sind. Beide engagierten Christen gelten nach Ansicht der katholischen Kirche im Erzbistum München und Freising als Glaubenszeugen, die ihre christliche Überzeugung mit dem Tod bezahlen mussten. Ihre Familien teilen diese Auffassung allerdings nicht, da sie sie einzig als Opfer der Nationalsozialisten sehen.

Stephan Kessler, München, Juli 2012.

Quellen:
Christiane Moll (Hrsg.): „Alexander Schmorell – Christoph Probst: Gesammelte Briefe“, Lukas Verlag, Berlin 2011, S. 650, Fußnote 363. Weitere Quelle (vom Verfasser überarbeitet und aktualisiert): Helmut Moll (Hrsg): „Zeugen für Christus – Das Deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“, S. 392 ff., im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, Band I, vierte, vermehrte und aktualisierte Auflage 2006, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn – München – Wien – Zürich. (Frau Christiane Moll und Herr Prälat Helmut Moll sind nicht verwandt oder verschwägert. Die Häufung des Namens „Moll“ ergab sich rein zufällig. Der Verfasser.)


Das Buch "Der stille Befehl" von Stephan Kessler befasst sich ausführlich mit den Lebensläufen von Harald Dohrn, Hans Quecke und anderen Mitgliedern der Familie:

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