Gedenkgottesdienst am 7. Oktober 2016

15. Jahrestag der Seligsprechung von Nikolaus Groß

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Den Gedenkgottesdienst aus Anlass des 15. Jahrestages der Seligsprechung von Nikolaus Groß am 7. Oktober im St. Mauritius Dom in Hattingen-Niederwenigern zelebrierte der Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki. Lesen Sie nachfolgend seine Predigt von diesem Tag:

Links: Erzbischof Rainer maria Kardinal Woelki

Es gilt das gesprochene Wort

Predigt zum 15. Jahrestag der Seligsprechung von Niklaus Groß
St. Mauritius in Hattingen-Niederwenigern am 07. Oktober 2016

Lesung:
Röm 12,1-2,9-12

Evangelium:
Mt 7,21-27

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

in dieser Kirche, in der wir heute zusammengekommen sind, um des 15. Jahrestages der Seligsprechung von Nikolaus Groß zu gedenken, hat dieser selbst fast alle Sakramente seines Lebens empfangen. Hier in dieser Kirche ist er getauft worden, zur Ersten Hl. Kommunion gegangen, gefirmt worden, hat er sich mit seiner lieben Frau das Sakra-ment der Ehe gespendet. Hier hat er gebetet, gesungen, mit Gott gerungen, Gott ange-betet, hier ist seine Christusfreundschaft gewachsen, hier hat er das Fundament für sein so großes und tiefes Gottvertrauen gelegt. Und natürlich sind seine Christusfreundschaft und sein Gottvertrauen gewachsen durch das Beispiel seiner Eltern, die ihren Kindern in der Familie den Glauben vorgelebt haben.

Die Insignien seines christlichen Lebens erhielt Nikolaus Groß hier, in seiner Heimat Kirche und in seiner Familie – gelebt hat er sie in jedem Moment seines Lebens und hat sich dadurch selbst als ein „lebendiges und heiliges Opfer dargebracht, das Gott gefällt“ (vgl. Röm 12,1). Für ihn war seine Taufe nicht irgendein frühkindliches Ereignis, das dann sehr bald in Vergessenheit geriet. Für Nikolaus Groß war seine Taufe das entscheidende Ereignis seiner Christwerdung, aus der heraus er sein ganzes Leben bewusst gestaltet hat, als Arbeiter im Walzwerk, als Bergmann und schließlich als Schriftleiter der Westdeut-schen Arbeiterzeitung.

Weil er aus der Taufe lebte, hatte er Haltungen und Überzeugungen, die sich ganz aus dem Evangelium speisten. Weil er seine Taufe lebte, orientierte er sich in allem aus-schließlich an IHM, an Christus. Er hat nicht „Herr, Herr“ (Mt 7,21) gerufen und gleich-zeitig Liebe geheuchelt (vgl. Röm 12,9), nein, er hat den „Willen des Vaters erfüllt“ (Mt 7,21), bis an das Kreuz seines Lebens.

Dieses Leben war ein gesegnetes; ein Leben für Gott und für andere; ein Leben, dass von einer Glaubensgewissheit geprägt war, die seinen Einsatz für das Recht und die Würde anderer getragen hat. Ihn hat es nicht kalt gelassen, wie es anderen ging. Er hat sich vom eigenen Vorteil nicht in die Irre führen lassen, menschenverachtender Rede und Praxis hat er sich nicht gebeugt. „Christ – Arbeiterführer – Widerstandskämpfer“, so lautet der Untertitel des Buches, das die Briefe des Seligen Nikolaus Groß aus dem Gefängnis dokumentiert. Er war das alles nicht neben- und getrennt voneinander; er war das eine um des anderen willen! Denn dort, wo ein Mensch anfängt, als Christ zu leben, wird er in seinem Einsatz nicht aufhören können; dort wo er anfängt, den Glauben an Jesus Christus wirklich zum Dreh- und Angelpunkt seines Lebens zu machen, kann es sein, dass er irgendwann auf Unverständnis stößt. Wenn das Gebot von „Haltet fest am Guten“ (Röm 12,9) auf das Gesetz des „Herrenmenschen“ stößt, dann bleibt das nicht spannungsfrei und harmonisch. Denn der Glaube an Jesus Christus macht Menschen weder brav noch konfliktscheu. Er ruft in ein Handeln, dass sich der Ausgrenzung und Gnadenlosigkeit der Welt entgegenstellt und damit provoziert.

Deshalb musste es auch für Nikolaus Groß unweigerlich zum Konflikt mit den Nazis und ihrer menschenverachtenden Ideologie kommen. Denn weil Gott für sie keine Rolle spielte, weil Gott für sie in ihrer Ideologie keine Rechte hatte, deshalb hatte auch der Mensch keine. Weil die Nazis Gott und seine Ansprüche mit Füßen treten konnten, konnten sie auch Menschen mit Füßen treten und millionenfach vernichten.

Als Christ konnte Nikolaus Groß hier nicht schweigen. Denn seitdem Gott an Weihnachten in Jesus Christus Mensch geworden ist, können wir nicht mehr von Gott sprechen, ohne nicht auch vom Menschen zu sprechen, und können wir umgekehrt auch nicht mehr vom Menschen sprechen, ohne nicht immer auch von Gott zu sprechen. Denn spätestens hier wird klar, wie eng Gott sich an den Menschen gebunden hat, so eng, dass wir alles, was wir einem Menschen – selbst den Geringsten unter ihnen – antun, Gott selbst antun (vgl. Mt 25,45). Seit dem ersten Schöpfungsmorgen wissen wir, dass der Mensch Abbild, Ebenbild Gottes ist, der dann noch einmal geadelt wurde durch die Menschwerdung des Gottessohnes. Deshalb eignet jedem Menschen unabhängig von seiner Herkunft, unabhängig von seiner Hautfarbe, seinem sozialen Status, seiner Rasse usw. eine Würde, die ihm kein Staat, keine Gesellschaft, kein Parlament, erst recht keine Ideologie absprechen oder gar nehmen kann.

Für diese Sicht des Menschen, für seine Gott geschenkte Würde und die sich daraus ergebenden Rechte ist Nikolaus Groß als Christ eingetreten, hat sie verteidigt, war bereit dafür, sein Blut zu geben. Gottesrechte und Menschenrechte gehören nämlich unabdingbar zusammen. So wurde er zum Märtyrer, weil er Gott mehr gehorchte als den Menschen, weil er Gottesrechte und Menschenrechte verteidigte. Glaubenszeugen wie Nikolaus Groß sind diesen Weg bis ans Ende ihres Lebens gegangen und haben sich in allem „festgehalten am Guten“ (Röm 9,9) – im Vertrauen darauf, dass sie im Letzten von dem einen wahren Guten, von Gott selbst gehalten sind.

Wir leben heute in anderen Zeiten – Gott sei Dank. Trotzdem dürfen wir nicht überhören und übersehen, dass es Tendenzen rechtspopulistischen Denkens und Redens in unserem Land gibt, dem wir uns – in der Treue zu unserem Glauben und in der Treue zu den Glaubenszeugen wie Nikolaus Groß – entschieden entgegenstellen müssen. In den letzten Wochen bin ich immer wieder gefragt worden, warum ich mich überhaupt als Bischof etwa zur Flüchtlingsfrage äußere und bestimmte Parteien genau aufgrund von deren Haltung zu Flüchtlingen auch öffentlich kritisiere. Weil hier auf eine ganz bestimmte Weise Entsolidarisierung propagiert wird. Diese hat ja immer da ein leichtes Spiel, wo Menschen enttäuscht sind, wo sie sich als zu kurz gekommen erleben, wo sie sich um Chancen gebracht fühlen, wo man sie zum „Schwarzer-Peter-Spielen“ instrumentalisieren kann.

Wir erleben in unserem Land zurzeit, was passiert, wenn Menschen an dieser Stelle politisch umworben werden. Rechtspopulismus schürt Entsolidarisierung und braucht Sündenböcke. Menschen in ihrer Bedürftigkeit – so unterschiedlich diese sein mag – werden hier gegeneinander ausgespielt. Ich solle doch, anstatt mich damit zu befassen – so manche Kritikerin und mancher Kritiker – besser schweigen und meinen Job als Bischof machen. Genau das mache ich aber, wenn ich mich zu politischen Vorgängen, die aus dem Elend und der Ausgrenzung anderer Menschen Profit schlagen wollen, äußere. Denn ich habe bei meiner Weihe zum Diakon, zum Priester und zum Bischof „Ja“ gesagt. „Ja“ auf die Frage, ob ich um des Herrn willen bereit sei, den Armen, den Ausgegrenzten, den Heimatlosen und allen Notleidenden gütig zu begegnen und zu ihnen barmherzig zu sein. So wichtig ist der Kirche die Sorge um diese Armen, dass sie die Frage danach vor jeden Empfang einer Weihe stellt. Hier liegt auch einer der Gründe, weshalb ein Bischof sich immer dort in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen hat, wo die Rechte der Armen aller Art verletzt und missachtet werden. Ob das nun gelegen oder ungelegen kommt.

In der Zeit des Nationalsozialismus wollten die Herrschenden jede Form gesellschaftlicher Einflussnahme durch die Kirchen unterbinden und verfolgten jede und jeden, der sich ihrem Verdikt „nur und rein religiös“ zu agieren widersetzte. Sie versuchten ein Verständnis von Religion und Christentum durchzusetzen, dass mit demselben eigentlich gar nichts mehr zu tun hatte. Gedenken wir eines Widerstandskämpfers wie Nikolaus Groß daher nicht einfach nur dadurch, dass wir uns heute am 15. Jahrestag seiner Seligsprechung hier in „seiner Kirche“ an ihn erinnern; gedenken wir seiner auch überall dort, wo die Rechte von Menschen heute und in Zukunft – die Arbeitsrechte, die Lebensrechte, die Menschen- und Freiheitsrechte oder etwa auch die Kinderrechte – mit Füßen getreten und missachtet werden. Denn, das hat uns der Selige Nikolaus Groß vorgelebt: Nicht jeder, der zum Vater „Herr, Herr“ sagt, wird ins Himmelreich kommen, „sondern nur, wer den Willen des Vaters im Himmel erfüllt“ (Mt 7,21).

Amen.

Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki

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