23. Januar 2011:

Predigt von Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck

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Pontifikalamt am Gedenktag des Seligen Nikolaus Groß

Texte: Röm 12,9-16 b;
Mt 7,21-27.

Liebe Mitbrüder im Bischofs-, Priester- und Diakonenamt,
liebe Schwestern, liebe Brüder,

I.

Die Bergpredigt, wie sie uns der Evangelist Mathäus überliefert, endet im 7. Kapitel mit dem Text, den wir als heutiges Evangelium vom Gedenktag des Seligen Nikolaus Groß gehört haben. Was mit den großartigen Worten der Seligpreisungen (vgl. Mt 5,3-12) beginnt, das endet mit dem Bild vom Felsen (vgl. Mt 7,24-27), nach dem im Vers 21 – also kurz vorher – Jesus daran erinnert hat, dass das Himmelreich kommt: „Wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt“ (Mt 7.21b), gelangt in das Reich Gottes. Matthäus, der in seinem Evangelium nach dem Untergang Jerusalems im Jahre 70 n. Ch. Überlieferungen über Jesus und die Worte Christi ordnet, führt hier in die Herzkammer der Verkündigung Jesu, mehr noch in die Person Jesu ein. Einer Gemeinde von Judenchristen und Heidenchristen verantwortlich, weiß er, dass sich zwischen den Seligpreisungen, gleichsam der Magna Carta , dem Grundgesetz der Christen, und der Aufforderung Jesu, Gottes Willen zu tun, das gesamte Leben in der Spur des Evangeliums aufspannte. Klug ist der Mensch, der Gottes Willen tut, der nach Gerechtigkeit hungert und dürstet (vgl. Mt 5,6), der Barmherzigkeit übt und Frieden stiftet (vgl. Mt 5,7.9), der auch, um der Gerechtigkeit willen, Verfolgung erleidet (vgl. Mt 5,10) und somit Zeugnis davon gibt, dass sein Lebenshaus ein festes Fundament hat.

Der Römerbrief des Paulus, bereits ca. 30 Jahre vor dem Matthäus-Evangelium geschrieben, steht ganz im Lichte der Erkenntnis des Paulus, dass es im Leben der Christen um das „Evangelium von seinem Sohn [Jesus Christus geht], der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten“ (Röm 1,3-4). In diesem Licht betrachtet er die konkrete Situation der in der Gemeinde von Rom versammelten Christen und ermahnt sie im 12. Kapitel seines Briefes, dass es der „eigentliche, wahre und angemessene Gottdienst“ (vgl. Röm 12,1) sei, sich selbst als „lebendiges und heiliges Opfer darzubringen“ (vgl. Röm 12,1). Konkret bedeute dies, das Böse zu verabscheuen, am Guten festzuhalten, einander in Liebe zugetan zu sein und sich in gegenseitiger Achtung zu übertreffen (vgl. Röm 12,9-11). Zusammengefasst formuliert Paulus: „Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet!“ (Röm 12,12). Schließlich fordert er zu dem auf, was menschlich jeden, der es erfährt, zuerst überfordert, nämlich: „Segnet eure Verfolger; segnet sie, verflucht sie nicht!“ (Röm 12,14).

Diese Reflexionen des Apostels Paulus können verstanden werden als ein vom konkreten Leben gedeckten Kommentar zu den Seligpreisungen und zum Schluss der Bergpredigt. Wer nämlich am Guten festhält, das Böse verabscheut, seine Verfolger segnet und sie nicht verflucht, kurz: wer fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis und beharrlich im Gebet ist, der zeigt, dass er die Seligpreisungen Jesu in seinen eigenen Lebensstil verwandelt hat und Zeuge davon ist, ein Lebenshaus auf ein festes Fundament gebaut zu haben (vgl. Mt 5,3-12; Mt 7,24-27). Die Schriftlesungen zeigen, wie eben ein jeder Christ im Vertrauen auf die Kraft und Gnade Gottes vor dem lebendigen Gott und den Menschen bestehen kann.

Nicht wenige Menschen fragen sich im Alltag immer wieder: Worauf baue ich? Worauf baut Ihr? Wonach richte ich mich aus? Wonach richtet Ihr Euch aus? Die Antwort der Heiligen Schrift ist eindeutig. Baut auf Jesus Christus und an einer sich an seinem Geschick ausrichtenden Lebenshaltung. Richtet Euch aus auf den Willen Gottes und auf das Wohl der Menschen. Denn das Hören und das Tun der Botschaft Christi sind, so die Theologie des Matthäus, schließlich das Kriterium des Gerichtes und damit der Maßstab für die Ausrichtung des ganzen Lebens. Das gelebte Wort Jesu ist die Grundlage und das Fundament für Zeit und Ewigkeit, gerade in allen größeren und kleineren Stürmen wie Fluten des Lebens, die das Fundament der Existenz untergraben und gefährden können, ebenso in den in unseren Tagen deutlichen Gefahrenquellen für unseren Glauben, die tätige Christusnachfolge und das Leben mit und in den Veränderungen in der Kirche. Schließlich im Schwinden des Glaubens in der Gesellschaft, in unserem Lebensumfeld und bei Zweifel, Lüge und Selbsttäuschung. Die Blickverengungen auf das allein irdische Leben zeigen, dass diese Gefährdungen nur derjenige besteht, der immer wieder das Wort Jesu in sein Heute hinein hört und, wie Paulus unermüdlich es sagt, „tut“. So kommen wir von der Heiligen Schrift her ganz von alleine zum Seligen des heutigen Tages, zu Nikolaus Groß. An drei seiner Worte will ich zeigen, was dies bedeutet.

II.

  1. Ein vom Seligen Nikolaus Groß überliefertes Wort lautet: „Wenn wir jetzt nicht unser Leben einsetzen, wie wollen wir dann vor Gott und unserem Volk einmal bestehen?“ Sich für Gott im Beten und im Alltag der Aufgaben offen zu halten und für die Freuden und Sorgen der Menschen Raum und Zeit zu finden, bedeutet nämlich, das Christsein zu leben. Wer um Gottes und der Menschen Willen, gleich des Seligen Nikolaus Groß, den Mächten der Dunkelheit und des Untergangs widerspricht und mit seinen Möglichkeiten den Weg eines letztlich todbringenden Widerstandes gegen unmenschliche Verblendung und Lüge geht, der zeigt, welche Antwort er auf die eigene Frage gibt „Wie wollen wir bestehen?“. Nur wenn wir uns Tag für Tag am Wort Gottes ausrichten, Jesus als Maßstab echter Menschlichkeit annehmen und ihm nachfolgen, für die Würde und das Recht der Menschen eintreten und uns aller Unwahrheit widersetzen, dann können wir vor Gott und den Menschen bestehen und bezeugen das Wort des Paulus an die Römer. „Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten“ (Rö 12,9b)!
  2. Ein anderes Wort des Seligen Nikolaus Groß, das er an seine Frau und Familie richtet, lautet: „Möge uns ein gnädiger Gott wieder zusammenführen…. dann will ich für euch nur noch Liebe und Güte sein. Ich hätte beides noch viel mehr in der Vergangenheit üben sollen. In diesen Wochen ist mir klar geworden, dass wir nicht mehr zu tun vermögen, als Liebe zu säen und Güte auszuteilen. Es ist das Höchste, was wir vermögen.“ 1
    Dieser Satz ist wie ein Credo des Seligen Nikolaus Groß, das den inneren Sinn der Seligpreisungen der Bergpredigt und deren Radikalität, sich nach Gottes Willen auszurichten, mit Leben füllt. Liebe zu säen und Güte auszuteilen, ist im Licht des Tuns Christi der Spiegel, der uns hingehalten wird, damit wir uns in Jesus immer mehr erkennen, in ihm, der die Liebe und die Güte selbst ist. Erinnerte der erste Satz eher an sein politisches Tun und an die Herausforderungen, die sich aus der Verpflichtung, sich für das Gemeinwohl und das Gewissen einzusetzen, ergeben, so weist der zweite Satz auf den von feinem Gespür und von vornehmer Zurückhaltung geprägten familiären Lebenszusammenhang des Seligen hin. Familie wächst dort am besten, wo sie ein Ort von Liebe und Güte ist, die immer Gerechtigkeit mit Barmherzigkeit verbindet und sich müht, ein tragfähiges Lebensfundament zu bauen und zu bezeugen, was in der gesamten Existenz eines Menschen von Bedeutung bleibt – bis zum Sterben und weit über den Tod hinaus. So formuliert Nikolaus Groß in einem anderen Brief an seine Familie: „ Und wenn Ihr aus meinen dürftigen Zeilen ein Gewinn ziehen wollt, dann seid einander reich und freigiebig in der Liebe, die Ihr Euch schenkt. Die Liebe ist und bleibt das Größte.“ 2
  3. 3. Ein drittes Wort, das der Selige Nikolaus Groß sagt, lautet: „Als Christen stehen wir auf der Seite Gottes. Auf der Seite, wo die Liebe wohnt, die Güte herrscht, die Gerechtigkeit regiert.“ Hier sehen wir den dritten Pfeiler der geistlich durchdrungenen Lebenshaltung des Seligen Nikolaus Groß, weil neben das Gebet, die Verwurzelung im Evangelium und die Liebe zu seiner Familie nun die Solidarität mit den Arbeitern und mit der Arbeitswelt seiner damaligen Zeit tritt. Sein Glaube, der wichtiger Bestandteil seiner Arbeit und seines Lebens war, zeigt hier seine prägende Kraft für die Bewältigung des Arbeitsalltages, der jedem aufgetragen ist. In nicht wenigen Arbeitszusammenhängen können wir, gerade angesichts der Professionalisierung vieler beruflicher Zusammenhänge des heutigen Lebens, Gefahr laufen, den Glauben als eine Form der privaten Frömmigkeit aus der Öffentlichkeit zu verdrängen und nicht mehr wahrzunehmen. Das Lebensbeispiel des Seligen Nikolaus Groß und sein Zeugnis zeigen, dass die Gerechtigkeit und der damit verbundene Einsatz für die Solidarität und die Würde des Menschen in allen Arbeitsprozessen, die Feuerprobe des Gebetes und von Liebe und Güte ist. Die katholische Soziallehre hat von hierher wesentliche Impulse immer wieder neu empfangen, dass sich nämlich der Einsatz der Kirche für das Gemeinwohl aus einer solchen innigsten Suche nach dem Willen Gottes speist, weil von hierher erst Gerechtigkeit und Solidarität in den rechten Rahmen gestellt werden.

IV.

Diese drei Sätze des Seligen Nikolaus Groß geben Zeugnis davon, worauf er gebaut hat und wonach er sein Tun und Handeln ausrichtete. Ein Wort des Propheten Habakuk kommt mir dabei in den Sinn: „Der Gerechte bleibt wegen seiner Treue am Leben“ (Hab 2,4).

Die Kerzen, die vor dem Altar unseres Domes brennen, fassen das Leben und das Zeugnis des Seligen Nikolaus Groß in Bildelementen zusammen.

In diesem Jahr, genauer am 7. Oktober, gedenken wir der Seligsprechung von Nikolaus Groß vor 10 Jahren durch Papst Johannes Paul II. in Rom. Bitten wir den Seligen Nikolaus Groß und den nun auch bald selig gesprochenen Papst Johannes Paul II. darum, dass wir uns täglich an den Seligpreisungen des Evangeliums ausrichten, nach dem Willen Gottes fragen und uns mühen, ein Lebensfundament zu bauen und zu hüten, das trägt. So erfüllen wir die Bitte aus dem Tagesgebet vom Seligen Nikolaus Groß: „Gott, mehre unseren Glauben, damit wir in rechter Weise den Anforderungen unserer Berufung entsprechen können.“ Amen.


1) vgl. Jürgen Aretz, Nikolaus Groß. Christ – Arbeiterführer – Widerstandskämpfer. Briefe aus dem Gefängnis, Mainz 1993, S. 50.

2) vgl., ders. ebd., Brief vom 22.10.1944.


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