26. September 2010:

112. Geburtstag von Nikolaus Groß

Predigt von Weihbischof em. Grave

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Kann Nikolaus Groß helfen, uns einen Weg aus der gegenwärtigen Kirchen-krise zu zeigen? Ist er vielleicht sogar in der Lage, mit uns diesen Weg zu gehen? Über Krisenbewältigung zu reden, ist nicht schwer. Es fehlt nicht an guten Ratschlägen in der theologi-schen und spirituellen Fachliteratur. Aber schon Jesus macht darauf auf-merksam, dass die Leute mit schönen Worten allein nicht weiterhelfen. Es kommt im Gegenteil darauf an, dass sie den Willen Gottes ernst nehmen und ihn auch in die Tat umsetzen. „Nicht jeder, der … sagt: Herr! Herr! wird in das Himmelreich kommen, sondern nur wer den Willen meines Vaters …. erfüllt!“

Jesus warnt geradezu vor den Schön-rednern und den Wort-Akrobatikern: „Wer meine Worte hört und danach handelt ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute ….Wer aber meine Worte hört und nicht danach handelt ist wie ein unvernünftiger Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es ein und wurde völlig zerstört“. - Einsturzge-fahr besteht, wo die Worte Schall und Rauch sind und die Botschaft nicht ernst genommen und im eigenen Le-ben umgesetzt wird.

Kirchen – Krisen- Bewältigung beginnt nicht mit Äußerlichkeiten wie z. B. Strukturveränderungen, auch nicht mit neuen Personal- und Pastoralplä-nen. Das kann später dazu kommen. Sie beginnt zuerst im eigenen Leben, in Wort und Tat! Die Übereinstim-mung von Wort und Tat – die wir Glaubwürdigkeit nennen – ist im Le-ben von Nikolaus Groß auf ein-drucksvolle Weise bezeugt. Nikolaus Groß ist mit den Worten des heutigen Evangeliums …. „auf Fels gebaut“, al-so ein Fels in der Brandung. Er ist nicht einsturzgefährdet oder ein schwankendes Rohr. Nikolaus Groß hält nicht nur Stand in stürmischer Zeit, er leistet sogar Widerstand!

Schon in seiner Tätigkeit als KAB-Sekretär und Journalist machte er deutlich, dass das menschliche und gesellschaftliche Leben nicht ohne Grundsätze gelingen kann. „Grund-sätze“ sind für Nikolaus Groß in erster Linie Lebensorientierungen, die Richtungen aufzeigen und dem Leben Sinn geben. Wo diese Orientierungen fehlen, schleppt sich das Leben ziellos dahin. Nikolaus Groß wurde nicht müde in Wort und Schrift auf die Prinzipien der christlichen Gesell-schaftslehre hinzuweisen: auf die Menschenwürde als Person, das Ernstnehmen der eigenen Verantwor-tung, in der Subsidiarität und vor al-lem die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen in der Solidarität. Dass Nikolaus Groß deshalb kein Prinzipienreiter war, sondern seine Leitlinien auf das Leben anwendete- muss ich nicht betonen. Er war schließlich durch und durch Praktiker und dem Leben verbunden! Er war davon überzeugt, dass ein prinzipien-loses Leben haltlos und anfällig ist.

Die Prinzipien der christlichen Ge-sellschaftslehre waren für Nikolaus Groß Bauelemente und begründeten in ihm die Verantwortung.

Weltverantwortung war für ihn kein Fremdwort, im Gegenteil. Der christ-liche Glaube schließt die Welt nicht aus, er ist ein Glaube, der die Welt liebt und nicht zum Rückzug anstiftet. Christen leben mitten in der Welt und gehören auch dahin, so wie das Salz in die Suppe gehört. Nicht Weltflüch-tigkeit, sondern Welttüchtigkeit ist das Ziel. Ganz auf dieser geistlichen Linie verabschiedete das II. Vatikanische Konzil ein eigenes Dokument mit dem Titel: „Die Kirche in der Welt von heute“. Es ist nicht übertrieben, wenn man annimmt, dass das Erbe des Nikolaus Groß in mancher Hinsicht Aussagen des II. Vatikanischen Konzils zum christlichen Weltdienst mit angestoßen hat. Hier gab es hohe Übereinstimmung mit dem Jesuiten Pater Alfred Delp, den Nikolaus Groß 1941 kennenlernte.

Dass es zwischen dem Nationalsozia-lismus und Nikolaus Groß zu einer tödlichen Konfrontation kommen musste, war nur eine Frage der Zeit. Aus Gründen des Glaubens konnte Nikolaus Groß den Nationalsozialisten die Gestaltung der Welt nicht überlassen! Er durchschaute immer mehr die menschenverachtende Ideo-logie und die grauenvolle Praxis in den Konzentrationslagern. Darum schloss er sich den Widerstandskrei-sen an, um unter Einsatz des Lebens mit Gleichgesinnten für ein neues Deutschland einzutreten. Schon sehr früh erklärte Nikolaus Groß in aller Öffentlichkeit: „Wir lehnen als katho-lische Arbeiter den Nationalsozialis-mus nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, sondern entscheidend auch aus unserer religi-ösen und kulturellen Haltung ent-schieden und eindeutig ab“. Erschüt-ternd war die Gerichtsverhandlung vor dem Volksgerichtshof. Das Urteil war vernichtend. Roland Freisler, der Präsident dieses Tribunals, formulier-te es mit den Worten: „Er schwamm mit im Verrat, folglich muss er auch darin ertrinken“.

Woher hat Nikolaus Groß die Kraft für sein Martyrium geholt? Bischof Hubert Luthe schrieb in seinem Hir-tenbrief anlässlich der Selig-sprechung: „Nikolaus Groß war ein Mann des Gebetes – gehalten im Glauben“. Und er zitiert den damali-gen Gefängnisseelsorger in Berlin-Plötzensee, Peter Buchholz: „Wie oft habe ich ihn kniend vor seinem Zel-lenschemel gefunden, wenn ich un-vermittelt seine Tür aufschloss. Es war geradezu ergreifend, mit welcher Ehrfurcht und Dankbarkeit und gläu-biger Hingabe er die heilige Kommu-nion empfing ….“. Im Glauben fand Nikolaus Groß großen Halt. Er hat auch in den bittersten Stunden seiner Gefängniszeit sich an Gott gehalten. Sein Abschiedsbrief an seine Familie ist ein ergreifender Beweis dafür. Sei-nen Gegnern im Widerstand hielt er mutig und unnachgiebig den Satz entgegen: „Man muss Gott mehr ge-horchen als den Menschen“.

Am 23. Januar 1945 wurde Nikolaus Groß in Berlin-Plötzensee hingerichtet und am 7. Oktober 2001 von Papst Johannes Paul II. in Rom selig gesprochen! Diese Feier war ein Glaubensfest, das für viele eine nach-haltige Bestärkung im Glauben war. Ich werde die Seligsprechung mit dem großen Portrait von Nikolaus Groß auf dem Petersplatz nicht vergessen!

Kann der Selige uns helfen, einen Weg aus der Glaubens- und Kirchenkrise unserer Zeit zu finden?

Das Leben des Nikolaus Groß führt uns an die Wurzeln des Glaubens. Sein Abschiedsbrief an die Familie ist ein bewegendes Dokument seines Glaubens. So schreibt er z. B.: Habt keine Trauer um mich – ich hoffe, dass mich der Herr annimmt“. Niko-laus Groß zeigt, dass Erneuerung nicht außen, sondern innen beginnt, nicht bei den Blättern, sondern den Wurzeln, nicht bei den Strukturen, sondern radikal in den Herzen der Menschen. Noch einmal: Im eigenen Herzen – bei mir!

Sodann: Erneuerung schließt Verant-wortung ein! Jeder von uns muss mit seinem Leben Verantwortung über-nehmen, nicht nur für sich auch für andere. Nikolaus Große sagte unmit-telbar vor seiner Hinrichtung: „Was kann ein Vater seinen Kindern Größe-res hinterlassen, als das Bewusstsein, dass er sein Leben für die Freiheit und Würde seines Volkes gegeben hat“. Verantwortungsbereitschaft ist heute nicht mehr selbstverständlich. Wir erleben, dass auch im weltlichen und kirchlichen Bereich Menschen mit hoher Verantwortung aus ihren Aufgaben fliehen. Nikolaus Groß ist kein Flüchtiger, sondern ein standhaf-ter Mensch, der Verantwortung wahr-nimmt und dafür einsteht. Er war be-reit, Rede und Antwort zu stehen, nicht nur mit Worten, sondern sogar mit seinem Leben – ein Überzeugter, der überzeugte! Amen!

Weihbischof em. Franz Grave


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