27. September 2009:

Gottesdienst zum 111. Geburtstag von Nikolaus Groß

Predigt von Weihbischof Dr. Franz-Josef Overbeck, Münster

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Predigt im Pontifikalamt anlässlich des KAB-Märtyrer-Gedenkens - Sonntag, 27. September 2009, St. Viktor-Dom Xanten - Gedenken an den Seligen Nikolaus Groß

Es gilt das gesprochene Wort.
Sperrfrist: 27. September 2009, 11:30 Uhr

Texte: Wort von Nikolaus
Groß Röm 12,9-16 b
Mt 7,21-27

Verehrte, liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Mitglieder der KAB,
liebe Schwestern und Brüder!

I.

„Sehen - Urteilen - Handeln": Dies von Kardinal Cardijn stammende Motto des Verbandes der KAB beschreibt nicht nur ein Spezifikum der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, sondern richtet sich weisheitlich an alle Menschen. In allem Tun nach diesem Dreischritt zu handeln, bedeutet, sich im Sehen mit der Wirklichkeit vertraut zu machen, im Urteilen klare Kriterien zu entwickeln und im Handeln öffentlich wirksame Perspektiven zu entwickeln und umzusetzen. Das „Sehen, Urteilen und Handeln" wird so von Innen her zu einem Grundgesetz, das dem Leben dient. Zugleich hilft es jedem Gläubigen, dem Leben Gestalt zu geben. Darum ist es von so großer Bedeutung für die KAB, aber auch für viele andere Christen. Der Selige Nikolaus Groß, dessen Gedenken wir heute im besonderen an dieser Stätte begehen, wusste sich diesem Gedankengut sehr verpflichtet. Sowohl als Bergmann, als auch als KAB-Sekretär und dem Journalismus Verpflichteter kannte er diesen Grundsatz der KAB von Innen. Er bezeugte bis zum Tod, was es bedeutet, in allem zu sehen, zu urteilen und zu handeln.

II.

Auf diesem Hintergrund möchte ich die heute gehörten Schrifttexte auslegen und daran erinnern, dass sowohl der Evangelist Matthäus als auch der Apostel Paulus in ihrer Botschaft ähnlich vorgegangen sind.

1. Die Gemeinde des Matthäus befand sich in einer Phase der Orientierung, die ihren Streitigkeiten aufhelfen und ihr Kirchesein klar umreißen sollte. Die großen Worte des heutigen Evangeliums, die sich am Schluss der Bergpredigt finden, sind nur zu verstehen, wenn sie mit den Seligpreisungen zusammen gesehen werden. In der Tat hat derjenige sein Lebenshaus auf ein gutes Fundament gesetzt, der lebt, wie Jesus es in den Verheißungen der Seligpreisungen formuliert. Wer seiner Armut eingedenk wird, der gehört in Gottes Reich; wer Trauernde tröstet und ein reines Herz hat, gehört in die Gottesgemeinschaft. Dies zeigt, wie sicher das Lebenshaus derjenigen ist, die den Verheißungen Christi trauen. Dabei lernen wir bei Matthäus, dass er aufgrund dieser Analyse der Gemeinde und der frühen Kirche ein klares Urteil bilden kann, fasst er doch am Ende der Bergpredigt alles in einem einfachen Wort zusammen: Es gehe darum, „den Willen Gottes zu tun". Dieses Urteil lässt handeln und immer wieder neu danach fragen, wie dieser Wille Gottes Gestalt gewinnen kann.

2. Konkrete Ausformulierung dieses Willens Gottes sind die Anweisungen, die Paulus im 12. Kapitel des Römerbriefes der Gemeinde in Rom anbietet. Auch diese war auf der Suche nach ihrer Identität. Paulus hatte in den Kapiteln vorher lang vom inneren Glaubensgrund und der Glaubensgerechtigkeit gesprochen; ab dem 12. Kapitel gibt er nun Anweisungen für das gemeindliche Leben. Auch er sieht die Realität der Kirche; auch er urteilt wie Matthäus, dass es darum gehe, den Willen Gottes zu erkennen und danach zu leben. Die konkreten Anweisungen, die über die Liebe und die Demut zu dem wunderbaren Wort von „Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet" gelangen, zeigen, dass keine Handlung ohne ein lebendiges Verstehen der Wirklichkeit und ihre gläubige Deutung auf den Weg gebracht werden kann. Auch bei Paulus sehen wir den Dreiklang von „Sehen, Urteilen und Handeln".

3. Der Selige Nikolaus Groß war gerade aufgrund seiner Herkunft und seiner beruflichen Tätigkeit ein Mensch, der der Wirklichkeit sehr verhaftet war. Als Bergmann wusste er um die Nöte und Sorgen der Menschen. Zugleich war er überzeugter Christ, der als Ehemann und Vater in Liebe zu seiner Frau und Familie aus dem Glauben heraus dieses Leben gestaltete. Darum war es ihm ein Anliegen, unbedingt für die Würde des Menschen einzutreten, den Gottesglauben zu bezeugen, für die Arbeiter und ihre Anliegen einzutreten und sich dafür ganz einzusetzen. So sah er die Wirklichkeit und bildete sich sein Urteil als gläubiger Christ. Sein Handeln war konkret. Er suchte die Öffentlichkeit, um im Terror des Nationalsozialismus die unbedingte Würde des Menschen und seinen Gottesglauben zu bezeugen und die Würde der Arbeiter zu schützen.

Zugleich weiß er sich, wie wir im heutigen Gebetstext als erste Lesung gehört haben, ganz dem Gebet verpflichtet. Er wendet sich an Gott Vater, den Schöpfer, an Jesus Christus, seinen Erlöser, an den Heiligen Geist, der lebt und wirkt, um darauf zu verweisen, dass Maria Fürsprecherin für alle Menschen ist und die Heiligen als Glaubenszeugen Ansporn für jeden Menschen im Alltag sind. All dies bindet er zusammen im Gebet. Sein Sehen der Wirklichkeit und sein zu treffendes Urteil führen zu einem Zeugnis aus Gebet und Tat. In beeindruckenden und bewegenden Briefen an seine Frau und Familie, kurz vor seiner Hinrichtung, trifft den Leser ins Herz.

III.

Von hier aus können wir nun den Bogen zu unserer heutigen Wirklichkeit schlagen und uns selbst fragen: Was sehen wir gerade angesichts der Botschaft des Evangelisten Matthäus, des Apostels Paulus und des Seligen Nikolaus Groß an Wirklichkeit? Wie urteilen wir? Wie handeln wir?

1. Wir sehen eine Wirklichkeit, in der viele Veränderungen vor sich gehen. Vieles ist mit den Mitteln der Vergangenheit nicht mehr zu bemessen und zu bewältigen. Dies gilt gerade an einem so politischen Tag wie dem heutigen, an dem der neue Bundestag gewählt wird, für alle Verantwortungen in Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit. Dies gilt aber auch für unsere Kirche. Sie gewinnt eine neue Gestalt als „Kirche im Volk". Sie braucht die Zeugen als diejenigen, die die Wirklichkeit sehen, im Glauben ein rechtes Urteil fällen und dann zu konkreten Handlungen befähigt sind.

Was wir in der Arbeitswelt und im Wirtschaftsleben sehen, was uns an Sorgen angesichts der Krisen mit ihren Folgen für die Arbeitslosigkeit und neue Formen von Armut bedeuten, was uns hier herausfordert, das erleben wir ebenso in Ehe und Familie. Auch hier gelten die alten Ordnungen gerade hinsichtlich der Sakramentalität der Ehe von Mann und Frau nicht mehr mit jener Selbstverständlichkeit, die sie vor Jahren noch hatte. Gleiches gilt für die Herausforderungen für die Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Wie gehen wir mit neuen Formen von Kinderarmut, wie mit Bildungsnotständen und den so genannten Bildungsverlierern unserer Welt um?

2. Das auf diese Fragen hin zu treffende Urteil ist nur dann rechtens, wenn es sich tief im Glauben selbst gründet. Auch hier gilt es, wie wir es bei Matthäus gelernt haben, nach dem Willen Gottes zu suchen. Auch hier gilt es, mit dem Apostel Paulus in der Hoffnung froh zu bleiben, in der Bedrängnis stand zu halten und beständig zu beten. Daraus erwächst uns der Glaube als Lebensform, der uns anhält, alles uns Mögliche für Solidarität und Gerechtigkeit und für ein wertehaltiges Leben einzusetzen. Hierin treffen wir uns mit dem Seligen Nikolaus Groß, mit den Anliegen der KAB und der katholischen Soziallehre.

3. Es folgt daraus an konkreten Handlungsanweisungen, dass wir als katholische Kirche uns überall da für Gerechtigkeit einzusetzen haben, wo Menschen jenseits ihrer Menschenwürde behandelt und nicht geachtet werden. Es geht darum, für gerechten Arbeitslohn zu kämpfen und dabei die Solidargemeinschaft der gesamten Gesellschaft im Blick zu behalten. Im Hinblick auf Ehe und Familie geht es um die Würde der Partnerschaft von Mann und Frau in der Sakramentalität der Ehe. Es geht um das „Ja" zum Kind und um das „Ja" zum Leben vom Anfang bis zum Ende. Es geht darum zu begreifen: Wir Christen zeigen exemplarisch, was allen Menschen von ihrem Gewissen her aufgehen kann: Der Mensch hat seine Würde von Gott - in allem!

IV.

„Sehen - Urteilen - Handeln": Das Motto von Kardinal Cardijn - das Weisheitsmotto der KAB wie vieler Menschen - führt uns über das Evangelium und den Lesungstext sowie über das Leben des Seligen Nikolaus Groß in unsere eigene Wirklichkeit.

Bitten wir Gott darum, dass wir gläubige Menschen sind, die die Wirklichkeit lieben und sie darum mit wachen Augen sehen. Bitten wir darum, dass wir, in unserer Urteilskraft im Gewissen erleuchtet und vom Glauben geprägt, die rechten Maßstäbe für ein Leben in Gerechtigkeit und Solidarität, um der Ehre Gottes und der Würde des Menschen Willen, bilden. Bitten wir darum, in unseren Handlungen zu zeigen, dass wir dabei unseren Glauben bezeugen wollen und es uns um den Menschen geht, der ganz von Gott kommt. Der Selige Nikolaus Groß wusste sich mit Kraft einem solchen Lebensprogramm verpflichtet, ganz durchdrungen vom Gebet und seiner Liebe zu Gott, eben treu den Worten des hl. Paulus, der auf diese Weise zeigt, was Matthäus mit der Suche nach dem Willen Gottes ausgedrückt hat. Es geht im Sehen, Urteilen und Handeln darum, „fröhlich in der Hoffnung, geduldig in aller Bedrängnis, beharrlich im Gebet" zu bleiben. Amen.

Weihbischof Dr. Franz-Josef Overbeck, Münster


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