7. Oktober 2007:

Predigt von Bischof Dr. Hubert Luthe

Sechs Jahre Seligsprechung Nikolaus Groß

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27. Sonntag C: Hos 1, 2-3. 2, 2-4; 2 Tim 1,6-8. 13-14; Lk 17, 5-10

"Der Gerechte bleibt wegen seines Glaubens - wegen seiner Treue am Leben" (Hos 2,4). - Herr "stärke unseren Glauben!" (Lk 17,5).

Auf den Tag vor sechs Jahren hat Papst Johannes Paul II in Rom den "Familienvater und Märtyrer" Nikolaus Groß selig gesprochen. Es war wie heute ein Sonntag mit dem gleichen herrlichen Wetter und mit den gleichen Lesungen aus der Heiligen Schrift. Daran denken wir hier in seiner Taufkirche mit besonderer Freude und Dankbarkeit. - Aber wird dem Seligen denn wirklich die Ehre erwiesen, die ihm gebührt? Nicht seinetwegen, sondern Gottes wegen. Er hat ihn in seine Herrlichkeit aufgenommen. Deshalb dürfen wir Nikolaus Groß als unser Vorbild anschauen und als unseren Fürsprecher anrufen. Beides haben wir nötig.

Oder sind die Worte, die auf dem Plakat stehen, heutzutage nicht schon eine Provokation? Zumindest scheinen es Fremdwörter geworden zu sein: Familie, Gewissen, Gebet. Sie springen jedem ins Auge, der Nikolaus Groß in den Blick nimmt. Angefochten war das, was sie ausdrücken, schon zu Zeiten des Seligen. Aber mehr von außen und auf andere Weise. Heute ist der Außendruck schwächer geworden, und innen zerbröckelt vieles.

Ehe und Familie! Brauchen wir Beispiele? Die haben wir doch in Menge um uns herum. Schon vor zwei Jahrzehnten hat mir ein Düsseldorfer Pfarrer gesagt: "Von den Kommunionkindern dieses Jahres kommt, von außen gesehen, gerade noch ein Drittel aus intakten Familien". Im bayerischen Landtag wurde kürzlich beantragt, Ehe zu definieren als "Lebensgemeinschaft, in der Kinder aufwachsen". Das klingt harmlos. Der Antrag wurde abgelehnt. Oder hält man uns flur so naiv, ihn nicht zu durchschauen? Ganz zu schweigen von dem Vorschlag, Ehe gesetzlich auf die Zeit von sieben Jahren zu begrenzen. Schlägt uns aber nicht blanker Haß entgegen, wenn ein Kabarettist in einer Sendung des öffentlich rechtlichen Fernsehens die Bundesfamilienministerin wegen ihrer sieben Kinder als "diese niedersächsische Zuchtstute" bezeichnet? - Gewissen! Vor einigen Jahren warb eine bekannte Bierbrauerei mit dem Satz:

"Leute mit gutem Geschmack erkennt man auch so: Sie leben, wie sie wollen - und genießen, was gut ist - wann immer es ihnen passt". - Und das Gebet? I5raußen ist es fremd geworden, und drinnen scheint es zu versickern. In wie vielen Familien wird noch gemeinsam gebetet? Dass Beter verspottet werden, ist keine Seltenheit mehr. Sehe ich zu schwarz?

Wir haben das Beispiel und die Fürsprache des seligen Nikolaus Groß nötig. Er steht mit seinem Leben und Sterben flur die drei Bereiche, über die wir nachdenken wollen.

Also noch einmal: Familie. Ohne seine Familie ist Nikolaus Groß nicht zu denken. Sie bestimmt seinen Alltag wie seinen Beruf. Das spiegeln die Briefe aus dem Gefängnis. Im November 1944 schreibt er: "Außer Gott füllt nur Ihr meine Gedanken aus" (Briefe 87). Sein Buch "Sieben um einen Tisch" ist leider nur schwer zu beschaffen. Es erscheint mir als das schönste Erziehungsbuch, das ich kenne. Nicht wegen theoretischer Erörterungen oder gar wegen des mahnend erhobenen Zeigefingers, nein, wegen der packenden und mitnehmenden Art seiner Erzählungen aus dem täglichen Leben und wegen so mancher Gedanken zum Nachdenken. Einmal bekennt er: "Sieben Kinder und ein Tisch! Mit keinem Mächtigen und Großen der Erde tausche ich meinen Platz. Mag der andere auch viele Tische haben, die seine Wohnung füllen, sie können meinen Neid nicht wecken, wenn mir nur meiner mit dem Notwendigsten gedeckt bleibt. Mögen seine Tische auch schöner und kostbarer sein als unser rauhes Vierbein; mehr als an einem Platz kann auch der Reichste nicht sitzen. All sein Reichtum gilt mir nichts, wenn ich in ein klares Kinderauge schaue, darin die Schönheit der ganzen Welt verborgen liegt. . . . Keiner, dem der Reichtum der Erde und die Ehre der Menschen zugefallen ist, kann mehr besitzen, als ich besitze, wenn ich die Sieben, froh und gesund an Leib und Seele, um mich versammelt habe"(25).

Aber sind denn die Zeitungen und die Nachrichten vom Bildschirm nicht Tag für Tag voll von Debatten um Ehe und Familie? Ja, aber sie haben fast alle den gleichen Fehler. Familienförderung, Familienpolitik, um den Bevölkerungsschwund zu bremsen, um die Renten für kommende Generationen zu sichern, um das Wirtschaftsgeflige zu erhalten, um die Überfremdung zu stoppen. Um zu! Wir dürfen Ehe und Familie nicht verzwecken. Sie sind die ersten und grundlegenden, die darum unverzichtbaren Formen menschlicher Gemeinschaft. Es gibt sie von Schöpfungs wegen. Sie haben ihren zweck in sich selbst.

Darf ich mich selbst zitieren? Vor einiger Zeit habe ich zu einem Jubelpaar gesagt: "Goldene Hochzeiten scheinen seltener zu werden. Die Zahl der Menschen, die das dazu nötige Alter erreichen, wächst. Aber die Zahl derer, die dann noch mit dem vor fiinfzig Jahren angetrauten Menschen zusammen leben, diese Zahl sinkt. Ihr habt also Seltenheitswert. Und darum seid Ihr umso kostbarer. Ihr bezeugt uns, dass der Mensch lohnt. Dass ein Mensch lohnt. Dass dieser eine Mensch das Leben lohnt. Wir danken Euch. Was hätten wir nötiger, als vergewissert zu werden, was der Mensche wert ist". - Zuletzt geht es hier um die Richtung unseres Lebens. Jesus sagt:

"Wer sein Leben zu gewinnen sucht, wird es zugrunde richten. Wer es aber zugrunde richtet, wird es lebendig erhalten" (Lk 17,33).

Vom Gewissen redet Nikolaus Groß nicht. Aber er lebt nach seinem Gewissen. Was damit gemeint ist, sagt unübertrefflich das Konzil: "Der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen seine Würde ausmacht und gemäß dem er gerichtet werden wird. Das Gewissen ist der verborgenste Kern und das Heiligtum des Menschen, in dem er allein ist mit Gott, dessen Stimme in seinem Innersten widerhallt" (GS 16). Über diese Sätze könnte man das Bild unseres Seligen hängen. - Man sollte es nicht erwarten: Ein kleiner Moslem hat das, nach der Begründung des Fastens im Ramadan gefragt, dieser Tage so ausgedrückt: "In unserem Glauben muss sich ja jeder vor Gott verantworten". War ihm das eingeredet worden oder nicht, er hat es so gesagt.

Die vielleicht schärfste Gewissensfrage war ifir Nikolaus Groß nicht, wie weit er in seiner Kritik am herrschenden System gehen müsse. Auch nicht, ob er dem aktiven Widerstand zustimmen solle. Sondern, wie er seinen Weg als Widerstandskämpfer mit der Sorge um seine Familie vereinbaren könne. Auch jetzt noch höre ich ab und zu die vorwurfsvolle Frage: Wie konnte sich Nikolaus Groß mit fortschreitenden Jahren immer tiefer in den offenen Widerstand gegen den Nationalsozialismus hineinbegeben, ohne auf seine Familie Rücksicht zu nehmen? Ich antworte:

Nur seine Familie gab ihm dazu die Kraft, und mit seiner Frau lebte er darüber in tiefem Einverständnis. Am Tag vor dem Attentat auf Hitler am 20. Juli in der Wolfsschanze hat ihn der Paderborner Diözesanpräses der KAB, Prälat Caspar Schulte, gefragt: "Herr Groß, denken Sie daran, dass Sie sieben Kinder haben? Ich habe keine Familie, ffir die ich verantwortlich bin. Es geht um Ihr Leben". Nikolaus Groß hat geantwortet: "Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie wollen wir dann vor Gott und unserem Volke einmal bestehen?" (vgl. Erich Kock, Beter, Täter, Zeuge - Nikolaus Groß, Paderborn 2001, 51f).

Das Gebet! Nikolaus Groß lebte aus einer nahtlosen Durchdringung von Gebet und Alltag. Anderthalb Jahre vor seinem Tod hat er mit dem Titel "Unter heiligen Zeichen" eine Glaubenslehre geschrieben. Sie ist bisher nur in zwei Privatdrucken erschienen und nie im Buchhandel zu kaufen gewesen. Er konnte sie auch nicht mehr abschließen. Es fehlt die Lehre vom Glaubensbekenntnis. Aber den 20-seitigen Abschnitt "Wenn wir beten", habe ich dieser Tage noch einmal gelesen. Deshalb kann ich behaupten, was ich sage. Da gibt es keine Trennung zwischen Beten und Arbeiten, sozusagen zwei gesonderte Räume oder Zeiten ifir das eine und das andere. Beide sind eines. "Beten heißt, sich Gottes Willen anvertrauen" (Glaubenslehre 129). Oder: "Wenn unser Herz vor Glück und Freude so übervoll wäre, dass unser Mund keine Worte fände, dieses auszudrücken: unser Herz betet"(ebd.). Aber auch: "Was ist die tapfere Pflichterffillung, die treue Arbeit anders als ein Gebet?" (ebd.130). Und: "Zweifel plagen uns. Wir sind in Unruhe. Es gibt so viele Fragen, mit denen wir nicht fertig werden. Was ist unsere Pflicht? Wo ist der richtige Weg? Wer gibt uns Klarheit? Und Sicherheit? Wir denken darüber nach, was Gott mit uns vorhat. Wir versuchen, seinen Willen mit uns zu erforschen. Wir denken seine Gedanken nach. Halten Zwiesprache mit ihm: wir beten" (ebd. 129f). Ich bin sicher, Nikolaus Groß hätte seine Gefangenschaft, seine Verurteilung und seinen Tod nicht bestanden, wenn er nicht ein so tiefer Beter gewesen wäre.

Seine lebenslange Gebetspraxis bewährt sich auf dem Weg zum Tod. Denn Sätze wie die gerade gehörten, lassen sich nicht nebenbei hinschreiben. Nein, wahrhaftig nicht! Sie sind nicht am Schreibtisch erdacht, sie sind im Leben erbetet. Das ist der Grund ifir die Allgegenwärtigkeit des Betens in seinen Briefen aus der der Gefangenschaft. Dreiundzwanzig sind es, nur in zweien wird das Gebet nicht wenigstens erwähnt. Und in ihnen wird mehr noch als in seiner Gebetslehre über alles deutlich, wie sehr Nikolaus Groß im Gebet mit den Seinen verbunden war. Kann man das schöner sagen, als in dem Satz, den ich oben schon angeführt habe: "Außer Gott füllt nur ihr meine Gedanken aus (Briefe 87)? Oder: "Doch wollen wir uns gegenseitig immer im Gebet behalten" (Briefe 42). Und auch der Trost: "Die Tage sind hart, liebe Mutter, besonders für Dich. Aber trage sie tapfer; Gott schickt uns nicht mehr, als wir tragen können" (ebd.42ff). Vielleicht bewegt und überzeugt nichts so sehr wie die Selbstverständlichkeit, mit der in diesen Briefen vom Beten gesprochen wird, auch und gerade im ~Angesicht des Todes. In seinem Abschiedsbrief schreibt Nikolaus Groß: "Fürchtet nicht, dass angesichts des Todes großer Sturm und Unruhe in mir sei. Ich habe täglich immer wieder um die Kraft und Gnade gebeten, dass der Herr mich und Euch stark mache, alles geduldig und ergeben auf uns zu nehmen, was Er für uns bestimmt oder zugelassen.

Und ich spüre, wie es durch das Gebet in mir still und friedlich geworden ist" (Briefe 143).

Im Augenblick des Sterbens aber? Ich lese den Bericht, den Marianne Hapig, eine Helferin von Pfarrer Buchholz, uns hinterlassen hat: "SS und Gestapo sind wie immer in Scharen erschienen zu dem Schauspiel der Exekution in Plötzensee. Ein Geistlicher darf nicht mit diesen Ausgestoßenen in ihrer letzten Stunde sprechen. Er darf sie auch nicht einmal stumm zum Galgen begleiten. Pfarrer Buchholz aber hat seine Getreuen. Er ist rechtzeitig benachrichtigt worden. Schnell ist er herbeigeeilt, verbirgt sich, wie schon manches Mal, in einem ihm gut bekannten Winkel und sieht die traurige Prozession der Todesopfer. Aufrecht und ruhig schreiten sie zum Galgen. Jeden einzelnen segnet Pfarrer Buchholz. Nikolaus Groß neigt beim Segen still das Haupt. Sein Gesicht scheint schon erleuchtet von der Herrlichkeit, in der er einzugehen sich anschickt" (Briefe 38). Soweit der Bericht. Da gehen Männer zum Galgen, als schritten sie zum Gottesdienst.

Familie, Gewissen, Gebet! Treuer Familienvater, furchtloser Märtyrer, gottergebener Beter, seliger Nikolaus Groß, bitte für uns!


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