7. April 2006:

Predigt von Bischof Dr. Hubert Luthe

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Vespergottesdienst zur Einweihung des Nikolaus-Groß-Memorials

Warum haben wir kein wahres Bild Jesu? Ein Abbild, das ihn in seiner menschlichen Gestalt so zeigt, wie ihn seine Jünger, seine Mitbürger, seine Zeitgenossen gesehen haben. Es gibt doch Skulpturen von Herrschern, von Politikern, Heerführern, Gelehrten seiner Zeit und früherer Jahrhunderte. Hätte Jesus nicht einen seiner Anhänger, etwa den Nikodemus, bitten können, eine Büste von ihm machen zu lassen?, damit auch wir Nachgeborenen wüßten, wie er wirklich ausgesehen hat? - Hätte! Warum hat er es nicht getan? Das können wir nur vermuten. Ich sage: weil er es nicht wollte. Weil er viel mehr wollte. Nicht ein Bildnis aus Marmor oder Bronze, er wollte abgebildet werden durch lebendige Menschen. Durch Menschen, die in seiner Nachfolge jesusförmig geworden sind.

Ist das nicht fromme Phantasie? Nein! Jedesmal wenn der Bischof das Sakrament der Firmung spendet, betet er über die Firmlinge: "Der Heilige Geist stärke sie durch die Fülle seiner Gaben und mache sie durch seine Salbung Christus, dem Sohn Gottes, ähnlich." Ein Gebetswunsch und zugleich eine Aufforderung. Dann legt er dem Firmling die Hand auf und besiegelt ihn auf der Stirn mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes. Der Christenmensch als Bild Christi. Der Christ soll Jesus Christus ähnlich werden, ihn abbilden. So wie es spontan beim Tod Papst Johannes XXIII. ein einfacher Mann gesagt hat: "Er war gut, so wie der Herr!" Die Menschen, von denen das ohne Zweifel feststeht, sind die Heiligen. Ein Mensch, von dem das sicher gesagt werden kann, ist der selige Nikolaus Groß.

Man spricht heute gern vom Lebensentwurf eines Menschen. Hatte Nikolaus Groß einen Lebensplan? Ich weiß es nicht. Er hat gefragt, was Gott von ihm wolle, und hat sich mit seiner ganzen Kraft in den Dienst der Arbeiter gestellt, zu denen er selbst gehörte: als Bergmann unter Tage, als Gewerkschaftssekretär, als Schriftleiter der Westdeutschen Arbeiter-Zeitung. Aber dann sah er mit seltener Klarsicht und früher als viele andere eine Bewegung heraufkommen, die Gott und den Menschen feindlich war und die immer mehr Zustimmung fand. Ob er das Wort Gottes im zweiten Buch Mose gelesen hatte? Er hat jedenfalls danach gehandelt: "Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist" (Ex 23,2). Von da an entlarvt und bekämpft er diese Bewegung mit unverhüllter Schärfe. - "Wir müssen der Wahrheit folgen, wohin immer sie uns führt", hat der griechische Philosoph Aristoteles gesagt. Der Beruf des Journalisten und Schriftleiters Nikolaus Groß war für ihn Dienst an der Wahrheit. Er ist ihr gefolgt bis zum bitteren Ende. Gerade darin ist er Christus ähnlich geworden.

War Nikolaus Groß ein Märtyrer? Der heilige Beda der Ehrwürdige, ein Mönch, der die Geschichte des Christentums England niederschrieb, hat einmal gefragt: "War Johannes der Täufer ein Märtyrer?" Und er hat geantwortet: "Der heilige Johannes hat Gefängnis und Ketten ertragen zum Zeugnis für Jesus Christus, unsern Erlöser. Ihm ging er voran und hat für ihn das Leben hingegeben. Von Johannes verlangte der Verfolger nicht, Christus zu verleugnen, sondern die Wahrheit zu verschweigen; dennoch ist er für Christus gestorben. Christus hat selbst gesagt: ,lch bin die Wahrheit', und so vergoß Johannes sein Blut für Christus, weil er es für die Wahrheit tat" (Hom. lib. 2,23; LSB II 7,231). Genau das gilt auch für Nikolaus Groß. Er ist Märtyrer, Zeuge für die Wahrheit Jesu Christi, er ist den Weg gegangen, den Jesus ihn geführt hat. - Vor uns im Chorraum hängen die gewaltigen Worte des vierten Liedes vom Gottesknecht aus dem zweiten Jesajabuch (Jes 52,13-53,12), in denen wir den für uns eingetretenen und gestorbenen Herrn Jesus Christus erkennen. Ist Nikolaus Groß nicht auch darin seinem Herrn ähnlich geworden? Hat er nicht auch teil an seinem stellvertretenden Opfer?

Nun steht ein starkes, eindrucksvolles Bild des Märtyrers in dieser seiner Pfarrkirche. In ihr hat er die heiligen Sakramente empfangen und den Gottesdienst besucht. Sie war ihm so vertraut und selbstverständlich geworden wie sein Elternhaus. Diese Nähe des Ortes berührt uns in besonderer Weise. Er ist einer von uns. Und unsere zeitliche Nähe zu ihm! Für die Älteren fällt sein Tod noch in die eigene Lebensspanne. Einer seiner Söhne steht als Diakon unter uns. Auch der 90jährige Prälat Hans Valks, der als Kaplan von S. Agnes in Köln der Familie Groß in den Tagen der Verhaftung und Hinrichtung des Vaters beigestanden hat, wollte heute kommen. Er ist aber gestern so schwer gefallen, daß er zu Hause bleiben mußte. Er hat mir versprochen, in dieser Stunde im Gebet besonders mit uns verbunden zu sein.

Doch allen, auch den Künftigen, soll Nikolaus Groß nahekommen in seinem Bild. Niemand kann diese Kirche betreten, ohne seiner ansichtig zu werden. Auf Augenhöhe! Und dann muß er sich ihm stellen, sich von ihm anschauen, sich von ihm befragen, sich von ihm mitnehmen lassen. Mitnehmen lassen in die Ähnlichkeit zu Jesus Christus, zu der er gefunden hat. In das eigene Leben hinein fragen, was für ihn der Wille Gottes ist, wohin Gott ihn führen will. Was Gott ihm zumutet. Dieses Mahnmal ist ein Bild, vor dem man beten soll, Ermutigung und Kraft finden für das eigene Leben und Hilfe auf die Fürsprache des Seligen.

Bischof Dr. Hubert Luthe


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