25. Januar 2005:

Herr Prof. Dr. Faulenbach über Theodor Haubach

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Prof. Dr. Faulenbach

Rede am 25.01.2005 Im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Berlin anlässlich der Umbenennung des Briefing-Saals in "Theodor-Haubach-Saal"

I.

Vor 60 Jahren, am 23.1.1944, wurde Theodor Haubach zusammen mit weiteren Männern der Widerstandsbewegung des 20. Juli in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Haubach, eine vielschichtige Persönlichkeit mit einem bemerkenswerten Werdegang, war als Sprecher der nach dem erfolgreichen Attentat die Macht übernehmenden neuen Reichsregierung vorgesehen: auf der Liste Carl Goerdelers, der Reichskanzler werden sollte, war er als Informations- und - wie es damals hieß - Propaganda-Minister aufgeführt. Er brachte als früherer Journalist und Pressereferent des Reichsinnenministers und des Berliner Polizeipräsidenten in der Endphase der Weimarer Republik die notwendigen Voraussetzungen für das vorgesehene Amt mit.

II.

Haubach war eine Persönlichkeit mit unverwechselbarer Individualität. Man hat ihn - in Anlehnung an Karl Mannheim - als Intellektuellen "zwischen den Klassen" oder auch als "bürgerlichen Sozialdemokraten" bezeichnet. Er war eine spannungsreiche Persönlichkeit; Alma de l'Aigle, seine langjährige Weggefährtin, mit der er sich seit 1923 austauschte, meinte retrospektiv nach dem Zweiten Weltkrieg: er war "in seinem Wesen voller Gegensätzlichkeit... sozusagen ein Universum von Gegensätzlichkeiten, ohne jemals in irgendeiner Beziehung labil zu sein". Für ihn war in der Tat das Engagement für die Republik ebenso charakteristisch wie das Interesse an Literatur, Kunst und Philosophie; er war Soldat, Literat, Journalist und Mann des Reichsbanners; er kämpfte auf der einen Seite für die Demokratie und gegen Hitler und war auf der anderen Seite zugleich ein Mann des Zweifels, den die Sinnfragen des Lebens zeitweilig intensiv beschäftigten und der während des Krieges nach Fundamenten für eine gesellschaftliche Neuordnung in Philosophie und Religion, vor allem im Christentum suchte. Er ist eine Persönlichkeit, die dem Historiker vielfältige Einblicke in die "geistigen Situationen" der Weimarer Zeit und des Dritten Reiches ermöglicht, der aber auch für die heutige Zivilgesellschaft durchaus noch etwas zu sagen hat.

III.

1896 in Frankfurt geboren als Sohn eines Großkaufmanns, der kurz nach der Geburt des Sohnes starb, und einer aus einer wohlhabenden jüdischen Familie stammenden Mutter, mit der ihn bis zu ihrem Tod 1939 eine intensive Beziehung verband, erlebte Theodor Haubach seine Jugendzeit in Darmstadt, wo er das humanistische Gymnasium besuchte. Bedeutsam für seine Entwicklung wurden die Berührung mit der Jugendbewegung und mehr noch der Erste Weltkrieg, an dem er - wie sein Klassenkamerad und Freund Carlo Mierendorff und viele andere seiner Generation und Herkunft - als Kriegsfreiwilliger teilnahm und in dem er mehrfach verwundet und hoch ausgezeichnet wurde. Charakteristisch für ihn war, dass er auch als Soldat - u. a. im Lazarett - seinen frühen literarischen Neigungen nachging. In der "Dachstube" veröffentlichte er expressionistische Texte. 1918/19 wurde er in den Arbeiter- und Soldatenrat in Butzbach gewählt. Haubach, der die Wilhelminische Zeit außerordentlich kritisch sah, wollte 1918/19 einen wirklichen Neubeginn. Ergab die Zeitschrift "Tribunal" mit heraus, publizierte nun auch nichtfiktionale Texte, rezensierte vielfältige Veröffentlichungen, wobei deutlich wurde, dass er sich zunehmend demokratisch-sozialistischen Positionen zuwandte.

Bedeutsam für seine weitere Entwicklung war auch seine Studienzeit an der den demokratischen Zeittendenzen besonders aufgeschlossenen Universität Heidelberg. Hier studierte er seit 1919 Philosophie, Soziologie und Staatswissenschaften, vor allem bei Alfred Weber und bei Karl Jaspers, bei dem er mit einer Dissertation über Fragen der Ästhetik promovierte. Als Student engagierte er sich auf Seiten des republikanischen Studentenkartells und kämpfte 1920 in Darmstadt zusammen mit seinem Freund Mierendorff auf Seiten der Gewerkschafter gegen den Kapp-Putsch. Wahrscheinlich 1922 - das genaue Datum ist schwer zu bestimmen - trat er der SPD bei, eine Entscheidung, die er als bewussten Bruch mit seiner bürgerlichen Herkunft begriff. Für seine weitere politische Entwicklung wichtig war nicht zuletzt seine zeitweilige Teilnahme an den Tagungen des - Ideen der Sozialdemokratie und der Jugendbewegung verknüpfenden - Hofgeismarkreises der Jungsozialisten, der den Gegensatz zwischen der Sozialdemokratie auf der einen Seite und Staat und Nation auf der anderen Seite überwinden und den Sozialismus auf der nationalen Ebene realisieren wollte, ein Kreis, dem u. a. August Rathmann, Gustav Dahrendorf und Heinrich Deist angehörten und auf dessen Tagungen u. a. Hermann Heller und Gustav Radbruch referierten. Zweifellos gehörte Haubach wie der Hofgeismarkreis dem staatsbewussten Flügel der Sozialdemokratie an, der in besonderer Weise für die demokratische Republik von Weimar kämpfte.

IV.

Nach seinem Studium arbeitete Haubach 1923/24 am Institut für Außenpolitik in Hamburg, das von Albrecht Mendelssohn-Bartholdy geleitet wurde und an dem mit Hans von Dohnanyi ein weiterer späterer Kopf des Widerstandes gegen Hitler arbeitete. 1924 bis 1929 war dann Haubach außenpolitischer Redakteur des "Hamburger Echos", einer sozialdemokratischen Zeitung. Von ihm stammen nahezu alle Artikel der Zeitung zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Kennzeichnend für Haubachs Position war - wie er sich ausdrückte - "die Pflicht zur Nüchternheit", die aus seiner Sicht einerseits Distanz zum exzessiven Revisionismus der nationalen Rechten, andererseits aber auch Kritik an der Außenpolitik anderer Mächte gebot, ungeachtet des von ihm mit Nachdruck vertretenen "Respekts gegenüber der je eigenen historisch und kulturell bedingten Struktur der anderen europäischen Staaten" (Peter Zimmermann). Stark engagierte sich Haubach in dieser Zeit für eine enge politische und wirtschaftliche Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich; auf dem Heidelberger Parteitag der SPD 1925 plädierte er für eine Achse Paris-Berlin - man kann in ihm geradezu einen Vorkämpfer der deutsch-französischen Aussöhnung und des Elysée-Vertrages sehen. Ihm erschien es zwingend, dass die deutsche Seite das französische Sicherheitsbedürfnis anerkannte. Für Haubach war die Verbindung mit Frankreich ein erster entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem vereinigten Europa, in dem er die nationalen Probleme zähmen wollte. Dass er sich nachdrücklich für einen deutschen Beitritt zum Völkerbund einsetzte, ist auf diesem Hintergrund selbstverständlich; der Völkerbund sollte - so das Ziel Haubachs - "der staatlichen Individualitätsbrödelei" ein Ende bereiten. Kennzeichnend für seine Beiträge waren gleichermaßen ein aufklärerischer Impetus, der - auf dem Hintergrund seiner philosophischen Neigungen verständliche - Hang, Tagesfragen in größere Zusammenhänge einzuordnen und die Absicht, die Verständigungspolitik voranzutreiben.

V.

Alma de l'Aigle schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg über Haubach: während der 20er Jahre galt "seine Liebe" der Hamburger Arbeiterbewegung, "dieser echten handfesten, heimatverwurzelten Menschen", eine Liebe auf Gegenseitigkeit aus de l'Aigles Sicht. Hier ist nicht der Ort, Haubachs Engagement in der Sozialdemokratie, seine Basisarbeit wie seine Tätigkeit als Abgeordneter, seine Rolle in der Wehrkommission auf Reichsebene, die einem dogmatischen Pazifismus entgegenwirkte, zu würdigen. Angesprochen aber werden muss seine Tätigkeit für das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, das er in Hamburg mitgründete und leitete, und als dessen 2. Bundesvorsitzender er in den frühen 30er Jahren fungierte. Das Reichsbanner führte nicht nur ehemalige Frontsoldaten zusammen, die für die demokratische Republik votierten, sondern verstand sich als Schutzorganisation der Republik. Es wies mit seinen Uniformen und in seinem Erscheinungsbild eine gewisse Ähnlichkeit mit den Wehrverbänden auf der Rechten sowie auf der äußersten Linken auf, war diesen jedoch diametral entgegengesetzt und stützte sich hauptsächlich auf die Sozialdemokratie, umfasste aber auch Männer, die den anderen Parteien der Weimarer Koalition angehörten. Haubach plädierte - wie Carlo Mierendorff, Julius Leber und Kurt Schumacher - für eine aktive Verteidigung der Republik, teilweise auch durch Adaptierung von Politikformen des politischen Gegners. Diese Sozialdemokraten, die alle zu den damals Jüngeren gehörten, die am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten, wollten die Sozialdemokratie zu einer kämpferischen, wie es in einem Aufsatz Haubachs 1931 hieß, "militanten Partei" machen, die in der Lage war, den totalitären Bewegungen an der äußersten Rechten und an der Linken entgegenzutreten und sie in die Schranken zu weisen.

VI.

1929 wechselte Theodor Haubach nach Berlin, wurde Pressechef des Reichsinnenministers Carl Severing, der ein wichtiger sozialdemokratischer Politiker Preußens und des Reiches war, und - nachdem dieser aus dem Reichskabinett ausgeschieden war - Pressereferent des Berliner Polizeipräsidenten Albert Grzesinski, der mitten in den Auseinandersetzungen zwischen Rechts und Links stand. Gleichzeitig trat Haubach auf Veranstaltungen des Reichsbanners auf und arbeitete in der "Eisernen Front" mit, in der Sozialdemokratie, ADGB, Allg. Angestelltenbund und das Arbeitersportkartell sich zusammengeschlossen hatten, um die Republik zu verteidigen. Er publizierte in der "Reichsbanner Bundeszeitung". Zudem arbeitete er bei den "Neuen Blättern für den Sozialismus" mit, einer Zeitschrift, in der sozialdemokratische Intellektuelle des Umfeldes des Hofgeismarkreis und die religiösen Sozialisten um den evangelischen Theologen Paul Tillich publizierten. Artikel brachten von ihm auch die Frankfurter Zeitung und Rudolf Pecheis Deutsche Rundschau. Sicherlich enthielten seine Beiträge auch sehr zeitbedingte Urteile; doch blieb Haubach ein Intellektueller, der sein eigenes Tun geistig zu fundieren bemüht war.

Nach der Absetzung der sozialdemokratisch geführten Preußischen Regierung durch das Kabinett des Reichskanzlers Franz von Papen im Jahre 1932, nach dem sog. Preußenschlag, einer entscheidenden Station der Destruktion der Weimarer Republik, wurde Theodor Haubach aus dem preußischen Staatsdienst entfernt. Er kämpfte weiter für die Republik, selbst nach der Machtübertragung an Hitler, die für ihn eine schwere Niederlage war. Dass es überhaupt zur NS-Diktatur kam, war wahrlich nicht die Schuld Haubachs, auch nicht die Schuld der Sozialdemokratie; sie hatten - anders als die alten Eliten und große Teile des Bürgertums - dagegen gekämpft.

VII.

Schon 1933 wurde Haubach für kurze Zeit - wie es irreführend hieß - "in Schutzhaft" genommen. Gleichwohl hat er versucht, sich weiter mit Kameraden und Freunden aus Reichsbanner und SPD zu treffen, illegal die Arbeit gegen den Nationalsozialismus fortzusetzen. Im November 1934 wurde er erneut verhaftet und ins KZ Esterwegen-Börgermoor, eins der Emslandlager, verschleppt, wo er u.a. mit Julius Leber und Carl von Ossietzky Kontakt hatte und wie diese viel durchmachte. Erst im September 1936 wurde er entlassen, nahm wieder Kontakt zu seinen sozialdemokratischen Freunden auf und bemühte sich um eine Freilassung seines Freundes Mierendorff aus dem Konzentrationslager. Haubach verdiente seinen Lebensunterhalt nach der KZ-Haft zunächst als Versicherungsagent und Handelsvertreter, kam dann aber 1938 in der Papierfabrik seines Studienfreundes Viktor Bausch unter, wo er für Rohstofffragen zuständig war. 1939 wurde er kurzzeitig wegen Spionage verhaftet, dann aber wieder freigelassen.

VIII.

Als der Krieg ausbrach, formulierte Haubach: "Die Aufgabe, die uns zufällt, umschließt den tragischen Konflikt des klassischen Dramas. Hitler ist zu vernichten und das deutsche Volk gleichzeitig vor dem Untergang zu retten. Wie sollten wir wenigen mit Blick auf die Wirklichkeit dieses zu vollbringen vermögen?" In dieser Zeit setzte sich Haubach, der von Krankheiten heimgesucht wurde, verstärkt mit Literatur, Philosophie und Theologie auseinander, worüber wir einiges erfahren aus den Briefen an Alma de l'Aigle. Aufschlussreich ist etwa der sog. Breughel-Brief vom 6. Dezember 1942, in dem er- ausgehend von den Werken des Malers Breughel - die damaligen Zustände und die Auflösung der mittelalterlichen Welt parallelisierte. Er diagnostizierte eine atomistische Vereinzelung der Menschen und ihre Vermassung, Beobachtungen, die an Hannah Arendts Diagnose der Voraussetzungen totalitärer Herrschaft erinnern. Dieser Maler habe "das Fratzenhafte, das spukhaft Ungestalte" in seinen Höllenbildern "mit grausamer Deutlichkeit gesehen. Sieh Dir - so schrieb er an de l'Aigle - diese Kreuzung von Ungeziefer und Menschenwesen an - fahre nur in der Straßenbahn und Du wirst sie alle wieder erkennen, die Verdammten, dem Abgrund verfallenen! Ist es zu viel gesagt, wenn man behauptet: Breughel hat im Beginn des Massenzeitalters seine Konsequenz und sein Ende mit der richterlichen Sicherheit des Propheten gesehen?" Die Menschen hätten Halt und Individualität verloren, was er mit dem Verlust des Bezuges zu Gott in Verbindung brachte: "wenn der Gott das Irdische nicht mehr heiligt und durchdringt, wird Volk zur Masse, Mensch zur Larve, das Leben zur Qual, der Tod zum Schrecken ohne Ende", so Haubachs überaus kritisch-düsteres Urteil.

IX.

Im Laufe des Jahres 1942 gewann Theodor Haubach Anschluss an die Widerstandsbewegung im Machtzentrum, insbesondere trat er über Carlo Mierendorff in Kontakt zu dem - nach ihrem Treffpunkt später so genannten - Kreisauer Kreis um den Grafen Helmuth von Moltke, dem er schon 1927 im Hause des Schriftsteller Carl Zuckmayer begegnet war. Intensive Kommunikation pflegte er zugleich zu den Sozialdemokraten Wilhelm Leuschner und Julius Leber, die ebenfalls zur Widerstandsbewegung der höheren Beamten und Offiziere gestoßen waren. Manches spricht dafür, dass die Sozialdemokraten innerhalb der Widerstandsbewegung einen eigenen Kommunikationszusammenhang bildeten. Die Unterschiede der Sozialdemokraten zu Carl Goerdeler und seinem Kreis waren beträchtlich, keine Frage, dass uns ihr Denken näher steht als das mancher Konservativer, die an die Rückkehr zu einer ständischen Ordnung und zur Monarchie dachten. In diesem Kontext ist der bemerkenswerte Aufruf der "Sozialistischen Aktion" zu sehen, der von Mierendorff unter Beteiligung von Haubach verfasst worden ist, ein Papier, dessen Stellenwert im Kreisauer Kreis für den Historiker nur schwer zu bestimmen ist.

Mit dem Aufruf wollten Mierendorff und Haubach im Falles eines erfolgreichen Staatsstreiches die Gründung einer überparteilichen Volksbewegung proklamieren, die Vertreter der christlichen Kräfte, der sozialistischen Bewegung, der kommunistischen zur Rettung Deutschlands zusammenbringen sollte. Die "Sozialistische Aktion" wandte sich an das arbeitende Volk in Stadt und Land sowie an die Soldaten und skizzierte ein Programm für die Zeit nach Hitler, das die Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit, unbedingte Toleranz in Glaubens-, Rassen- und Nationalitätenfragen, eine sozialistischen Ordnung der Wirtschaft, Mitbestimmung des arbeitenden Volkes, Zusammenarbeit mit allen Völkern u. a. ankündigte.

Auf jeden Fall wäre es bei einem Erfolg des Attentates für die Verschwörer schwer geworden, die Massen der Bevölkerung zu gewinnen. Gerade deshalb waren für sie Sozialdemokraten wie insbesondere Leber, Leuschner, aber auch Mierendorff, Haubach und Reichwein bedeutsam. Innerhalb des Kreisauer Kreises gewann Haubach als Repräsentant der Arbeiterbewegung wachsendes Gewicht nach dem Tode Mierendorffs bei einem Bombenangriff im Dezember 1943. Haubach war - wie hier schon hervorgehoben - auf der Liste Goerdelers für das neue Kabinett als Minister für Presse und Propaganda, wir würden heute sagen als Regierungssprecher und Leiter des Presse- und Informationsamtes vorgesehen.

X.

Zum Zeitpunkt des Attentates am 20. Juli weilte Haubach in Oberstdorf; auf der Rückreise schaute er bei Karl Jaspers und seiner Frau in Heidelberg vorbei, er beabsichtigte wohl, in Berlin unterzutauchen, wurde jedoch am 9. August 1944 verhaftet. Er wurde im Gefängnis Tegel inhaftiert, in der Polizeischule Drogen bei Ravensbrück, wo er - wie Leber - gefoltert wurde, schließlich im Gefängnis an der Lehrter Straße. In der Zeit der Haft wurde ihm die junge Sängerin Anneliese Schellhase, mit der er sich wohl 1943 verlobt hatte, die wichtigste Person, um die sein Denken und Fühlen kreiste, der es gelang, ihn zu besuchen und an die er sehr persönliche Briefe schrieb, die Dokumente der Liebe und Hoffnung in schwerster Zeit sind. Theodor Haubach trat vor dem Volksgerichtshof selbst-bewusst auf, litt aber an Gallenkoliken. Am 6. Januar hatte er an Anneliese Schellhase geschrieben: "Wo immer Deutschland in Not stand, stand auch immer ich. Einen kleinmütigen und verzagten Angeklagten werden die Herren in mir nicht kennen lernen [...]. Voriges Jahr um diese Zeit stand ich auf so manchem brennenden Dach in Berlin, heute soll ich mich darüber rechtfertigen, ob ich ein nationaler Mann bin." Am 15. Januar 1945 wurde er zum Tode verurteilt und am 23. Januar 1945 zusammen mit 9 anderen bedeutenden Persönlichkeiten in Plötzensee umgebracht. Angesichts seines sich verschlimmernden Gallenleidens hatte man ihn auf einer Bahre zum Hinrichtungsort gebracht.

XI.

Theodor Haubach hat vergeblich versucht, die Demokratie von Weimar zu verteidigen, damals, als noch Zeit war. Nach 1933 wurde er von den Nazis verfolgt, doch wollte er sich nicht mit dem - aus seiner Sicht von Anfang an - verbrecherischen Regime abfinden. Er versuchte zusammen mit Menschen, von denen ihm ein Teil politisch eher fern stand, schließlich diese Herrschaft gewaltsam zu beenden. Auch dabei scheiterte er. Und doch ist er sicherlich ein herausragender Repräsentant des "anderen Deutschland" und sollte deshalb in unserer Erinnerung aufgehoben sein. Zur deutschen Geschichte der 20er, 30er und 40er Jahre gehören nicht nur die Nazis, sondern auch die, die sich für Recht, für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit einsetzten und deshalb ermordet wurden. Dass dieser Saal künftig Theodor-Haubach-Saal heißt, macht deutlich, welchem Geist sich die Bundesrepublik und ihre Informationspolitik verpflichtet wissen. Bei aller zeitlichen Distanz macht es Sinn, die Erinnerung an den Widerstand gegen Hitler zu bewahren. Dieser Widerstand gehört zu den positiven erinnerungswürdigen Traditionen deutscher Geschichte.


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