23. Januar 2004:

Gedenkgottesdienst für Nikolaus Groß im Dom zu Essen

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Am 23. Januar, dem Gedenktag des Seligen Nikolaus Groß, findet um 16 Uhr in der Domkirche ein Gottesdienst mit Bischof Dr. Felix Genn statt. "Sieben um einen Tisch", so das Thema des Gottesdienstes, zu dem besonders Familien mit ihren Kindern eingeladen sind. Die Nikolaus-Groß-Grundschule in Hattingen-Niederwenigern hat den Gottesdienst vorbereitet, für die Musik sorgt der Mädchenchor am Dom.

Abbildung: Titelbild des Buches "Sieben um einen Tisch"

23. Januar. Zum Gedenktag des seligen Nikolaus Groß ein Leitartikel aus seiner Feder

Fast auf den Tag genau vor 70 Jahren, am 20.Januar 1934, erschien dieser Leitartikel "Denken und Tun" von Nikolaus-Groß in der Westdeutschen Arbeiter-Zeitung. Darin seziert der WAZ-Chefredakteur die "Schlagwort"-Mentalität seiner Zeit und plädiert für den Geist der Unterscheidung. Die WAZ rüstet sich und ihre Leser, denn: 1933 legten die Nazis die Fundamente ihrer Diktatur und verhängten im Februar erstmals ein dreiwöchiges Erscheinungsverbot für die WAZ Vor diesem Hintergrund - und in Erwartung von noch Schlimmerem - schärft Groß den Blick

Von Goethe stammt der Satz: "Denken und Tun, Tun und Denken, das ist die Summe aller Weisheit, von jeher anerkannt, von jeher geübt, nicht eingesehen von einem jeden. Beides muss wie Ein- und Ausatmung sich im Leben ewig fort, hin und wider bewegen; wie Frage und Antwort sollte eins ohne das andere nicht stattfinden."

Denken und Tun gehören zusammen. Ein Tun ohne Denken ist wie eine taube Nuss ohne Kern. Wie eine Frucht muss das Denken in die Schale des Tuns eingebettet sein.

Dem Tun muss das Denken voraufgehen und muss es begleiten. Denken, das heißt geistig tätig sein. Mit seinen Sinnen - Auge, Ohr, Geschmack, Geruch und Gefühl - nimmt der Mensch die Dinge dieser Welt wahr. Er sieht die Häuser, die Bäume, die Mitmenschen, er hört Geräusche, schmeckt die Speisen, er riecht den Duft der Blumen und fühlt den Gegenstand, den er in seiner Hand trägt. Auch das Tier sieht, hört, schmeckt, riecht und fühlt, aber es denkt sich nichts dabei. Der denkende Mensch lässt es nämlich nicht dabei bewenden, dass sein Auge dieses sieht, sein Ohr jenes hört und auch sein Geruch, sein Geschmack und sein Gefühl viele Dinge wahrnehmen, sondern der denkende Mensch unterscheidet, er vergleicht, er wägt ab und urteilt. Er nimmt nicht nur einfach hin, was seine Sinne ihm übermitteln, sondern er versucht in den wesentlichen Gehalt und den inneren Zusammenhang der Dinge mit seinem Verstande einzudringen. Der denkende Mensch gebraucht also seinen Verstand, um einen Gegenstand, eine Frage von allen Seiten zu betrachten, zu vergleichen, abzuschätzen und zu bewerten. Wenn er in seiner Hand einen Mantelknopf und ein Zweimarkstück hält, beide gleich groß, dann sagt ihm sein Verstand, dass das Geldstück mehr wert ist als der Knopf. Dieses Zweimarkstück wird unter normalen Verhältnissen auch mehr wert sein als ein Schluck Wasser. Der dürstende Mensch in der Wüste hingegen wird gern ein noch größeres Geldstück hingeben für einen Becher klaren Quellwassers. Alles dieses sagt dem Menschen sein Verstand. Indem er seinen Verstand anwendet, die in ihrer äußeren Form, Gestalt und in ihrem Gewicht, die in ihrem inneren Wert und in ihrem Zusammenhang unterschiedlichen Dinge zu erfassen, zu vergleichen, abzuwägen und zu beurteilen, wird er zum denkenden Menschen. Der denkende Mensch will also erkennen, prüfen und wählen. Für ihn sind die sinnlich wahrnehmbaren Dinge nicht einfach da, er fragt nach ihrer Herkunft; die Dinge sind ihm auch nicht einfach gleich, sondern er erkennt grobe und kleine, feine und feinste Unterschiede. Diese erkannten Unterschiede - mögen sie nun im Äußeren der Dinge oder in ihrem inneren wesentlichen Gehalt liegen - sucht er zu berücksichtigen. Er ordnet alles dieses in das Gesamtbild ein, das er sich vom Leben und von der Welt macht.

So wie der denkende Mensch in die sinnliche Welt mit seinem Verstande tiefer einzudringen bemüht ist, so wird er auch die geistige Welt zu erforschen, zu erfassen und mit den materiellen Dingen in sein Weltbild einzuordnen versuchen. Denken heißt also: geistig tätig werden, seinen Verstand anstrengen, um die Dinge der materiellen und die Fragen der geistigen Welt zu erforschen, zu erfassen und einzuordnen.

Denken, richtiges, klares und wahrheitsgetreues Denken ist schwer. Es kostet Anstrengungen. Viele Menschen können nicht richtig denken, weil ihre Gedanken durch falsche Gefühle, durch unsachliche Wünsche, durch eigensüchtige Interessen und Vorurteile, durch ihre unbeherrschten Triebe und Leidenschaften getrübt und abgelenkt werden von der Klarheit und Wahrheit. Es gibt auch viele Menschen, denen das Denken zu anstrengend und zu unbequem ist. Sie denken nicht, sie träumen lieber. Statt durch Gedankenarbeit sich Klarheit und Wahrheit zu verschaffen, träumen und fantasieren sie sich in unwirkliche Wunschbilder hinein. Und wieder andere gibt es, die machen mit dem Denken zwar einen Anfang, aber dann werden sie der geistigen Anstrengung schnell überdrüssig. Alles, was sie reden, schreiben und tun, ist unausgedacht, halb überlegt; es trägt alle Kennzeichen des Halbwissens. Solche Menschen finden sich immer dort ein, wo das Schlagwort triumphiert. Das Schlagwort mit seinen Widersprüchen, Verzerrungen, Unzulänglichkeiten ist geradezu die Weltanschauung aller oberflächlichen und auf ihrer eingebildeten Wissensmacht thronenden Geister.

Denken ist nicht nur schwer und anstrengend; es erfordert auch Übung. Wer viel gelesen, gehört und geredet hat, ist deshalb noch lange kein Meister des Denkens. Zu dem fremden Gedankengut, das man sich anlesen und anstudieren kann, muss die eigene geistige Verarbeitung hinzukommen. Das kostet Anstrengung des Willens. Das will geübt sein. Der denkende Mensch wird seine Sinneseindrücke vergleichen mit früheren Beobachtungen und Erfahrungen, er wird in seinem Geiste alles geordnet verarbeiten, er wird die Resultate prüfen, ob sie auch folgerichtig, klar, wahr, vollendet und begründet sind. Das alles erfordert Übung, Übung und nochmals Übung. Übung erst macht den Meister. Denken und Tun gehören zusammen: richtiges Denken und aufrichtiges Tun. Es gibt Menschen, die streng und aufrichtig, viel und gründlich denken und doch zu einem Tun, zum Handeln sich nicht aufraffen können. Ihre Arbeit führt zu keiner Frucht, zu keiner Tat, die den Menschen und der Welt dient. Es gibt andere, die unüberlegt, heißspornig, mit großem Eifer und ganzer Kraft alle möglichen Dinge in Angriff nehmen, um sie plötzlich halb vollendet liegen zu lassen. Sie haben dann erkannt, dass sie an einem falschen Ende begonnen oder auf einen abseitigen und irrigen Weg geraten sind.

Vorbedacht ist halb gemacht. Sie haben begonnen ohne Überlegung, ohne vorher ihr Tun und Handeln zu durchdenken und zu planen. Das Denken muss dem Handeln vorausgehen und muss es immerfort begleiten. Aber das Handeln muss konsequent sein, es muss dem Vor-bedachten und Überlegten entsprechen. Es muss weiter zweckmäßig und praktisch sein. Der in Tätigkeit tretende Mensch muss sein Tun mit Eifer, Hingabe und Kraft und doch auch in Rücksicht auf seine Mitmenschen betreiben. Er muss seinen Mut bewahren und darf sich vom ersten Misserfolg nicht enttäuschen lassen. Manche Menschen glauben, wenn sie kaum begonnen haben, dann müsste sich auch schon der erste sichtbare Erfolg einstellen. Andere wiederum rechnen immer mit einem hundertprozentigen Erfolg. Wer als tätiger, handelnder und gestaltender Mensch auftritt, der muss mit sachlichen und persönlichen Widerständen, mit Schwierigkeiten und Hemmnissen rechnen. Die Welt ist oft hart und rauh, und was der Mensch gewinnen will, das muss er der Natur oder seinen Mitmenschen oft in schweren opferreichen Kämpfen unter Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit abtrotzen und abringen.

Wo Menschen handelnd und gestaltend auftreten, wo sie in ihrem Gestaltungswillen auf die Natur oder auf entgegenstrebende Menschen stoßen, da geht es oft heiß her. Und nicht immer ist dem Sieger auch ein ganzer Erfolg beschieden. Im Erfolg nicht übermütig, bei Miss- oder Teilerfolg nicht kleinmütig werden, das ist die höchste Lebensweisheit, die ein Mensch in seinem Tun besitzen kann.

Denken und Tun gehören zusammen. Es muss sich der Mensch zum Gesetz machen: das Tun am Denken, das Denken am Tun zu prüfen Dann kann er nicht irren, und irrt er doch einmal, dann wird er bald auf den rechten Weg zurückfinden Denken und Tun müssen für den Christenmenschen orientiert sein am ewigen Sittengebot.

Was nützt es, wenn der kalte Wirtschaftsrechner, der Politiker und Staatsmann, der Kaufmann, der Arbeiter und Professor, was nützt es, wenn sie alle gründlich, klar und zweckmäßig denken, folgerichtig, energisch und mit Eifer handeln, wenn sie aber "nicht mit dem Herzen denken" (Lersch) und nicht "in ihrem Tun und Lassen die Richtung auf das höchste und letzte Ziel allzeit innehalten" (Quadragesimo anno).

Denken und Tun, beides gehört immer und überall zusammen Für den katholischen Menschen, dem Übernatur und Natur, Geist und Körper etwas von Gott gewollt Zusammengehöriges ist, kann es nicht schwer sein, auch sein Denken und Tun zu einer Einheit zusammenfließen zu lassen. ng.

Ruhrwort, 17.01.2004


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