7. Oktober 2003:

Statement des Schulleiters Bernhard Nadorf im Dom zu Niederwenigern

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Als am 7. Oktober 2001, also heute vor zwei Jahren, das Portrait des Seligen Nikolaus Groß über dem Eingang des Petersdomes enthüllt wurde, fragte mich ein kanadischer Besucher: "Oh, he wears a tie and a suit, what about his wife?". Oh, er trägt eine Krawatte und einen Anzug, was ist mit seiner Ehefrau?"

Die Antwort auf diese Frage liegt hier in Niederwenigern, in seiner Heimatgemeinde St. Mauritius. Im Schatten dieses Domes sind Elisabeth Koch und Nikolaus Groß geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen, dort, an diesem Taufstein, wurden sie in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen und vor diesem Altar haben sie sich am 24. Mai 1923, also vor 80 Jahren die eheliche Treue versprochen, "in guten und in schlechten Tagen, bis dass der Tod euch scheidet".

Für ein Ehepaar, das seinen gemeinsamen Lebensweg im Jahre 1923 begann und für Eheleute, die bereit waren, auf der Grundlage ihres christlichen Glaubens persönliche Verantwortung in Kirche und Gesellschaft zu übernehmen, kamen schlechte Tage und schwierige Jahre, in denen sich die eheliche Solidarität und Treue bewähren musste: Die Ruhrbesetzung und die Megainflation im Jahr ihrer Eheschließung, der Kampf gegen den Nationalsozialismus in der Endphase der Weimarer Republik, die Verfolgung durch das Terrorregime und die Hinrichtung in Berlin-Plötzensee.

"Bis dass der Tod euch scheidet...": Hier, im Mauritiusdom fand auch am 12. Februar 1945 das Totengedenken für Nikolaus Groß statt.

Nikolaus und Elisabeth Groß hatten sieben Kinder. Sie waren ihr Schatz. Wer sieben Kinder hat, der kann wenig Geld zurücklegen und wer durch eine Zeit von Inflation, politischer Ächtung und beruflicher Ausgrenzung, durch Krieg und Gefängnishaft hindurchgeht, der hat alle materiellen Güter verloren. Die Familie Groß - das zeigen auch die Briefe aus dem Gefängnis - wurde von ständigen Geldsorgen geplagt.

Und doch hat dieser Nikolaus Groß seine Kinder und uns alle reich beschenkt - mit einem geistigen Erbe, das auch der Vorsitzende des Volksgerichtshofes, Roland Freisler und die Henker von Plötzensee nicht auslöschen konnten.

So sagte er zu dem Publizisten Pechel im Gefängnis:

"Was kann ein Vater seinen Kindern Größeres hinterlassen als das Bewußtsein, daß er sein Leben für die Freiheit und Würde seines Volkes gegeben hat?"

Die Hinterlassenschaft, das Erbe von Elisabeth und Nikolaus Groß ist kein bequemes Ruhekissen; es ist vielmehr "Geschenk" und "Auftrag" zugleich. Diese Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kommt beispielhaft auch im Artikel 1 unseres Grundgesetzes zum Ausdruck: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Gemeinsam mit seiner Ehefrau Elisabeth und vielen anderen Freunden hat sich Nikolaus Groß für die Würde des Menschen eingesetzt. So gehören sie zu den geistigen Eltern der Bundesrepublik Deutschland, der Kirche im Bistum Essen und - seit dem 7. Oktober 2001 - auch der Weltkirche.

Als Leiter des Nikolaus Groß Abendgymnasiums liegt mir die Weitergabe der Grundwerte, für die der Namengeber unserer Schule eingetreten ist, sehr am Herzen. Vor einigen Tagen habe ich meine Studierenden im Geschichtsunterricht gefragt, wie sie die Verpflichtungen, die sich aus diesem geistigen Erbe ergeben, interpretieren, konkretisieren und auf ihre Lebenswirklichkeit beziehen. Hier einige der Antworten: Ein Studierender aus Zaire: Der Einsatz für die Menschenrechte und gegen die Folter in meinem Land; eine Altenpflegerin aus Essen: Die Achtung der Würde des alten und geistig verwirrten Menschen und das Eintreten gegen jede Form der Euthanasie; ein Studierender aus Hongkong: Der Einsatz für das Grundrecht auf Religionsfreiheit; Eine Mutter aus Bottrop: Für eine Erziehung zur Glaubenstreue und Zivilcourage; ein Studierender aus den Vereinigten Staaten: Für Toleranz und Achtung von Menschen anderer Hautfarbe, gegen Diskriminierung und Rassismus. Ein Studierender aus Niederwenigern: Für politische Aufklärung im Kampf gegen den Neonazismus.

Überall, wo die Würde des Menschen angetastet wird, sind wir aufgerufen, als Erben von Nikolaus Groß zu handeln, und wie er zum Täter zu werden. Die Grundwerte sind wie eine Brücke, die Menschen aus unterschiedlichen Kontinenten solidarisch miteinander verbindet.

Mit der Seligsprechung von Nikolaus Groß am 7. Oktober 2001 hat Papst Johannes Paul II die Initialzündung für eine weltweite Verehrung von Nikolaus Groß gegeben und seiner Fürsprache anvertraut:

"...die Wohlfahrt der Familie, die Welt der Arbeit, diejenigen, die in den Medien arbeiten und alle, die sich dafür einsetzen, jede Form des Rassismus zu überwinden."

Dass Grundwerte wie Solidarität, Subsidiarität und Personalität, dass politische Aufklärung und Zivilcourage und dass der Kampf gegen jede Form des Rassismus - weit über Niederwenigern und das Ruhrgebiet hinausgehend - eine globale Dimension haben und weltweit Beachtung finden, zeigt sich auch daran, dass die Suchmaschinen im Internet bereits heute 3460 Einträge in 18 verschiedenen Sprachen über Nikolaus Groß verzeichnen.

Das Internet eröffnet als weltweites Medium der Kommunikation dauerhaft und vor allem auch an die jungen Erben, die Enkel- und Urenkelgeneration gerichtet, den Zugang zu einer globalen Verehrung und damit auch zu einer späteren Heiligsprechung von Nikolaus Groß. Es verbindet das Bistum Essen durch die kirchlichen Hilfswerke, durch die Partnerschaften mit den Bistümern Hongkong und Kattowitz und durch die Missionare aus dem Ruhrgebiet mit Menschen auf allen Kontinenten, die sich in ihrem Verantwortungsbereich für die Grundwerte und die menschliche Würde einsetzen.

So wird das geistige Erbe des deutschen Widerstandes und der christlichen Blutzeugen zu einem Samen für die Weltkirche im 21. Jahrhundert und weit darüber hinaus.

Lassen Sie mich schließen mit einem statement von Fernando Maria Bargallo, dem Jugendbischof von Lateinamerika - aus dem Gästebuch des Nikolaus Groß Hauses hier gegenüber dem Dom, auch nachzulesen auf der Nikolaus Groß homepage unserer Schule:

Bei diesem Besuch in Deutschland hatte ich die Ehre, einen Märtyrer unserer Zeit, Nikolaus Groß, kennen zu lernen. Ich gehe glücklich zurück nach Argentinien wegen seines Zeugnisses der Kraft, Treue und Liebe zur Gerechtigkeit. Gott gebe mir die Gnade, in meinem bischöflichen Amt so zu wirken wie er.

Bernhard Nadorf


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