Veröffentlichung innerhalb einer Serie im RUHRWORT
Die Serie zum Thema "Nikolaus Groß - Journalist" wurde in der Zeit vom Juli 2001 bis zum Oktober 2001 im RUHRWORT veröffentlicht. Sie wurde mit freundlicher Genehmigung von Herrn Martin Schirmers in das Archiv aufgenommen.

Bilanz Ende 1932

Der Nationalsozialismus flutet zurück

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31. Dezember 1932: In der letzten WAZ-Ausgabe des Jahres zieht Nikolaus Groß die Bilanz turbulenter Monate. Dabei lässt er nicht nur die zahlreichen Urnengänge Revue passieren - mit fünf Wahlen war 1932 eine Art Superwahljahr. Ausführlich und kritisch notiert er die Entlassung von Brünings Kabinett, auf den erst von Papen und schließlich von Schleicher folgten. Positiv bemerkt Groß dagegen erste Anzeichen einer Verbesserung der Weltwirtschaftslage. Doch mehr als die reinen Ereignisse interessiert ihn die Frage: "Was lehren diese Ereignisse?" Mit aller Vorsicht attestiert Groß dem deutschen Wähler doch eine gewisse "Reife", die ihn immun gegen "autoritäre" Regime mache. Und gleichzeitig ist er davon überzeugt, dass die NSDAP durch ihre Schlappe bei den Reichstagswahlen im November ihren Zenit überschritten habe. Doch es kam anders: Einen Monat später, am 30. Januar 1933, ist Adolf Hitler Reichskanzler. Diese Wende kam für Nikolaus Groß und auch die KAB völlig überraschend.

Martin Schirmers

Das Volk ist politisch viel interessierter und aktiver, als manche Menschen glauben und gern sehen. Das Volk ist an politischen Entscheidungen, wenn Wahlen bevorstehen oder wenn sein Staat, seine Verfassung, seine Rechte und Freiheiten bedroht sind, sehr lebhaft interessiert. Es beteiligt sich an den Wahlen, auch wenn sie sich häufen. Es spürt die Entscheidungen, nur ist es noch zu wenig geschult und erzogen, um immer richtige und überlegte Entscheidungen zu treffen. Es wählt, aber es wählt oft falsch und nach gefühlsmäßigen Einflüssen. Dieses Volk ist durch eine "autoritäre" Regierung nicht mehr klein zu kriegen. Für das freie demokratische Wechselspiel, so wie es der englische Parlamentarismus kennt, hat es noch nicht die notwendige Reife, aber für ein "autoritäres" Regime, so wie es Herr von Papen versuchte, ist es zu reif. In Deutschland kann auf längere Dauer keine Regierung ohne oder gegen das Volk regieren. Das Volk lässt sich seinen Staat, seine Verfassung und seine Einrichtungen nicht kurzerhand von jedem miesmachen. Das, was die anderen bringen wollen, ist auch nur so lange schön - wenn es das überhaupt ist -‚ wie es in den Verheißungen lebt.

Wenn von der Feststellung die Rede ist, dass heute in Deutschland keine Regierung mehr ohne oder gegen das Volk regieren kann, dann ist darin eingeschlossen, dass jede Regierung sozial regieren muss. Sozial im weitesten Sinne und nicht nur als Sozialpolitik verstanden. Brüning konnte sich behaupten, weil man wusste und spürte, dass er sozial dachte und handelte. Papen musste schon nach 6 Monaten gehen, weil man seiner sozialen Gesinnung misstraute und seine sozialen Maßnahmen, besonders seinen geplanten Angriff auf die Grundlagen des Sozial- und Arbeitsrechts, ablehnte.

Brüning wurde gestürzt, weil er es nicht verstanden haben soll, die "aufbauwilligen nationalen Kräfte" in die Staatsverantwortung einzuschalten. Nach Brüning kam Papen, und nach Papen ist Schleicher gekommen - die Nationalsozialisten stehen nach wie vor draußen. Was man Brüning zum Vorwurf machte, ist auch seinen Nachfolgern nicht gelungen.

In einer anderen Hinsicht bleibt das Jahr 1932 noch bemerkenswert: Der Nationalsozialismus hat seine äußersten Grenzen erreicht und flutet bereits wieder zurück. An ein neues Vordringen über seinen höchsten Stand hinaus glauben wir nicht. Der Rückgang von 13,7 Millionen Wähler auf 11,7 Millionen ist zwar nicht katastrophal, aber symptomatisch. Die unbedingte Siegeszuversicht hat einen entscheidenden Stoß erhalten. In diesem Zusammenhang ist eine andere Seite erwähnenswert. Der Nationalsozialismus hat es immer abgelehnt, lediglich als politische Partei angesprochen zu werden. Es wolle mehr sein, wolle als Lebensbewegung, als Weltanschauung gelten, d.h. er wolle nicht nur den Staat, sondern auch die Betriebe, die Erziehung, die Schule, das geistige Leben, ja selbst die Kirchen erobern. Das ist ihm in keiner Weise gelungen. Im Augenblick seiner größten Fortschritte bei politischen Wahlen ist er bei den Studentenwahlen an den Hochschulen, bei den evangelischen Kirchenvorstandswahlen, bei Elternbeirats- und Betriebsvertreter-Wahlen nicht nur nicht voran gekommen, er hat zumeist sogar sehr kläglich abgeschnitten. Die Weltanschauungsbewegung des Nationalsozialismus ist zu einer, wenn auch gegenwärtig noch großen Partei zusammengeschrumpft, hat sich also ideologisch verengert.

In einer letzten Hinsicht ist noch eine Bemerkung notwendig: Das Volk muss sich der Gefahr des drohenden Bolschewismus stärker bewusst werden. Die Umstände sind nicht so, dass man diese Gefahr auf die leichte Schulter nehmen könnte. Bolschewismus ist für ein hochentwickeltes Volk wie das deutsche in keiner Hinsicht Fortschritt, auch in sozialer Hinsicht nicht für den deutschen Arbeiter. Bolschewismus ist für ein kulturell hochstehendes Volk ein Rückfall in ein Stück Barbarei und Unfreiheit. Denn nicht umsonst ist der Bolschewismus asiatisch.

Nikolaus Groß
Ruhrwort, 01.09.2001

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