Veröffentlichung innerhalb einer Serie im RUHRWORT
Die Serie zum Thema "Nikolaus Groß - Journalist" wurde in der Zeit vom Juli 2001 bis zum Oktober 2001 im RUHRWORT veröffentlicht. Sie wurde mit freundlicher Genehmigung von Herrn Martin Schirmers in das Archiv aufgenommen.

RW-Serie "Nikolaus Groß - Journalist"

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Die Zahl der Empfänger von Arbeitslosenversicherung steigt Anfang 1930 auf ein Rekordhoch: Die durch den Börsenkrach in New York (1929) eingetretene Rezession schlägt auf Deutschland durch. In seinem WAZ-Artikel "Die Arbeitslosigkeit steigt" vom 1. Februar 1930 fordert Nikolaus Groß (ng) nicht nur vom Staat eine Wirtschaftspolitik, die zu "stärkerer Wiederbeschäftigung" führt. Er nimmt vor allem auch die Wirtschaft ins Gebet. Geradezu modern klingt seine Kritik an Unternehmern, die mit "falschen Rationalisierungsmaßnahmen" und "Fehlinvestitionen" zusätzlich das Heer der Arbeitslosen ansteigen lassen - und bei diesem Sozialabbau stets nach Ländern wie "Amerika" schielen. Und Groß erinnert - auf der Linie der katholischen Soziallehre - daran, dass es beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gerade nicht allein um die "wirtschaftlich beste Lösung" geht: Die Krise kann nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden.

Martin Schirmers

Dass der größte Teil der Aufgabe, für eine Verminderung der Arbeitslosigkeit durch Vermehrung der Arbeitsmöglichkeiten zu sorgen, bei der Wirtschaft selbst liegt, ist selbstverständlich. Die "Wirtschaft" - wenn man darunter die Unternehmer verstehen will - trägt ein nicht geringes Maß Schuld an der großen Arbeitslosigkeit. Man braucht nur an das Kapitel "Wirtschaftskonzentration" und "Rationalisierung" zu erinnern. Nicht als ob wir nicht bis zu einem gewissen Grade die Notwendigkeit von Konzentrationsmaßnahmen anerkennten und eine erforderliche Rationalisierung nicht gelten ließen. Aber beides hat man wohl - in schematischer Übernahme amerikanischer Maßnahmen - übertrieben. Was wir alles in den letzten Jahren rationalisiert haben, ist mehr als wie volkswirtschaftlich verantwortlich und privatwirtschaftlich rentabel...

Aber schließlich ist die Arbeitslosigkeit eine nicht nur deutsche Erscheinung. Unter Arbeitslosigkeit leiden auch die meisten anderen europäischen Industriestaaten, ja selbst das an Kapital und Bodenschätzen reiche Amerika. Es ist deshalb ein Unding, die Arbeitslosigkeit durch Verschlechterung der Arbeits- und Lohnverhältnisse bekämpfen zu wollen, wie es den Absichten der Unternehmer entspricht. Die Verschlechterung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in dem einen Lande hat zur Folge, dass andere Länder mehr oder weniger freiwillig bald nachfolgen. Mit der Begründung, dass dieses oder jenes Land die eine oder andere soziale Verschlechterung durchgeführt habe, wird dann auch anderwärts das Gleiche versucht. So bildet sich, weil das eine Land es dem anderen nachmacht, eine Kette fortgesetzter Verschlechterung, deren Kosten die Arbeiterschaft zu tragen hat. Es wäre - gerade weil es sich bei der Arbeitslosigkeit um eine in vielen Ländern zu beobachtende Erscheinung handelt - u. E. richtiger, wenn man einmal die Frage untersuchte, ob nicht durch Arbeitszeitverkürzung und andere soziale Maßnahmen, die international durchgeführt werden, die Arbeitslosigkeit wirksamer bekämpft werden könnte. Das ist das Problem, das sich uns angesichts der hohen - und in den nächsten Wochen voraussichtlich noch steigenden - Arbeitslosenziffern aufdrängt: Wie beseitigen wir das Grundübel der Zeit, die Arbeitslosigkeit? Alle, die berufen und verpflichtet sind, an dieser Aufgabe mitzuwirken, sollten bedenken: Es geht nicht nur um die wirtschaftlich beste Lösung. Das Arbeitslosenproblem ist in höchstem Maße auch ein seelisches Problem. Millionen Menschen sind mit einer noch größeren Zahl Familienangehöriger durch die Arbeitslosigkeit aus ihrer Bahn geworfen. Wirtschaftlich in ihrer Existenz aufs Höchste gefährdet, nur für die befristete Unterstützungsdauer noch halbwegs gesichert, leiden diese Menschen unter einer starken seelischen Depression. Die hohe Arbeitslosigkeit birgt einen starken Grad sozialer und seelischer Spannungen... Daher steht als Forderung über der jetzigen Stunde: Sorge für den Arbeitslosen während der Arbeitslosigkeit durch ausreichende Unterstützung; im Übrigen aber Beschaffung von vermehrter Arbeitsgelegenheit und Wiedereinreihung der Arbeitslosen in die Produktion.

Nikolaus Groß
Ruhrwort, 04.08.2001

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