3. Oktober 1998: Ruhrwort-Beitrag

Bischöfliches Nikolaus-Groß-Abendgymnasium:

Die Schule trägt einen großen Namen

Ein "Geburtstagsgeschenk" von besonderer Güte

Interview mit Bernhard Nadorf

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Mit einem Festakt gedachte das Bischöfliche Nikolaus-Groß Abendgymnasium in Essen am 30. September des 100. Geburtstages seines Namensgebers. Die Lehrenden und Studierenden der Schule haben sich nicht erst seit gestern mit Nikolaus Groß befaßt. Davon zeugt auch die "Arbeitshilfe zum politischen und sozialen Katholizismus im Ruhrgebiet", die sie Bischof Hubert Luthe bei ihrer Festversammlung überreichten. Über die Schule und ihr "Geburtstagsgeschenk" sprachen wir mit dem Leiter des Abendgymnasiums, Oberstudiendirektor i.K. Bernhard Nadorf.

Die Schule trägt einen großen Namen. Wie kam es dazu?

Bernhard Nadorf: Der Bischof von Essen hat seinem Abendgymnasium am 25. Januar 1995 in Erinnerung an den 50. Todestag von Nikolaus Groß den Namen "Bischöfliches Nikolaus-Groß-Abendgymnasium" verliehen. Die Schulgemeinde des Abendgymnasiums hat diesen Namen aus folgenden Gründen gewählt:
Nikolaus Groß und seine Familie stammen aus Niederwenigern, einem Ort zwischen Hattingen und Essen, und die Menschen im Ruhrgebiet können sich mit seiner persönlichen Lebensbiographie identifizieren.
Er besuchte eine Volksschule und bildete sich durch gewerkschaftliche Abendkurse fort. Auch dies ist ein Teil seiner Lebensbiographie, den die Studierenden unserer Schule aus eigener Erfahrung gut nachvollziehen können.
Nikolaus Groß hat in der Zeit des Nationalsozialismus auf der Grundlage seines christlichen Glaubens und unter Einsatz seines Lebens Widerstand geleistet. Dieses Verhalten kann auch in der heutigen Zeit für junge Erwachsene Vorbild sein und einen neuen Zugang zum Glauben und zur Kirche eröffnen.

Es gibt ein besonderes "Geburtstagsgeschenk", das bei der Festveranstaltung im Abendgymnasium überreicht wurde?

Bernhard Nadorf: Zum 100. Geburtstag von Nikolaus Groß überreicht das Abendgymnasium als Geburtstagsgeschenk eine Arbeitshilfe für den Geschichts- und Religionsunterricht. Die Studierenden und Lehrenden der Schule haben bereits im Jahre 1995 deutlich gemacht, daß sie die Namengebung der Schule als Auftrag und Verpflichtung betrachten. Sie haben daher gemeinsam mit dem Bistum Essen ein Buch erarbeitet, das die Geschichte des sozialen und politischen Katholizismus im Ruhrgebiet dokumentiert und mit dazu beitragen will, daß dieses wichtige Thema in unseren Schulen und Weiterbildungseinrichtungen behandelt wird. Unser Anliegen besteht auch darin, die Ergebnisse der regionalgeschichtlichen Forschung in die Lehrpläne und Lehrbücher der Schulen zu integrieren und damit vielen jungen Menschen zugänglich zu machen.

Was sind die Inhalte des Buches?

Bernhard Nadorf: Das Buch steht unter dem Leitwort: "Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie sollen wir dann vor Gott und unserem Volk einmal bestehen?" Es behandelt die Geschichte der katholischen Arbeiterbewegung im Ruhrgebiet in der Zeit von 1927 bis 1949. Es thematisiert an Hand von ausgewählten Quellen, die jeweils mit einer Aufgabenstellung verbunden und durch umfassende Anmerkungen ergänzt werden, die politischen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen am Ende der Weimarer Republik, die Phase der Machtergreifung und die Konflikte zwischen katholischen Christen und dem Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus. Der zeitliche Rahmen endet nicht mit der Hinrichtung von Nikolaus Groß am 23. Januar 1945, sondern mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949.
Der Artikel 1(1) des Grundgesetzes - "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - hat eine historische und zukunftsbezogene Dimension:
Er ist der geistigen Tradition des Widerstandes verpflichtet und stellt eine Antwort auf die Unrechtserfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus und auf die "Antastbarkeit" der menschlichen Würde dar. Gleichzeitig rufen die Väter und Mütter des Grundgesetzes die Bürger des neuen Staates auf, aus der Geschichte zu lernen und allen Versuchen, die Würde des Menschen anzutasten, aktiv und engagiert entgegenzutreten. Um diese Verpflichtung - aus der Geschichte lernen - zu konkretisieren und für den Schüler erfahrbar zu machen, enthält die Quellensammlung der Arbeitshilfe Anregungen und Impulse für einen handlungsorientierenden Geschichts- und Religionsunterricht. Sie konzentrieren sich auf folgende Themenbereiche: "Beispiele der Erinnerung - Christliche Weltverantwortung und Martyrium - Der Schutz des menschlichen Lebens - Menschenrechte - Die Auseinandersetzung mit dem Neonazismus - Erinnerung und Versöhnung als zukunftsbezogene Aufgaben". Im Anhang der Arbeitshilfe befindet sich eine ausführliche Dokumentation der Mahn- und Gedenkstätten im Bistum Essen sowie eine Chronologie, die sowohl national- wie regionalgeschichtliche Daten berücksichtigt.

Welches Ziel verfolgt das Buch, und für wen ist es gemacht?

Bernhard Nadorf: Das Buch wendet sich an Religions- und Geschichtslehrer und gibt konkrete Anregungen für einen interdisziplinären (Kirchen-) Geschichtsunterricht in den Sekundarstufen.
Es ist primär für den Einsatz in der Sekundarstufe II bestimmt, es ist jedoch auch möglich, einzelne Themen und Aufgabenbereiche (entsprechende Themenoptionen sind näher bezeichnet) in der Sekundarstufe 1 zu behandeln und damit die vorhandenen Unterrichtsmaterialien durch eine regional- und lokalgeschichtliche Perspektive zu ergänzen und zu bereichern. Darüber hinaus eignet sich die Arbeitshilfe auch für den Einsatz in den Weiterbildungseinrichtungen des Bistums Essen, insbesondere natürlich in denen der katholischen Arbeiterbewegung.
Insgesamt soll die Arbeitshilfe durch die Dokumentation des politischen und sozialen Katholizismus dazu beitragen, die Identifikation junger Menschen mit der Geschichte des Ruhrgebietes und mit der Geschichte des Ruhrbistums zu stärken und zu festigen. In diesem Jahr feiern wir ja nicht nur den Geburtstag von Nikolaus Groß, sondern auch den 40. Jahrestag der Gründung des Bistums Essen.
Beide historischen Daten sind aufeinander bezogen, denn Nikolaus Groß gehört zweifelsohne zu den Persönlichkeiten, die durch ihr Engagement für die katholische Arbeiterbewegung und durch ihr christliches Glaubenszeugnis die geistigen Fundamente des Bistums Essen gelegt haben. Daher überreichten wir dieses Geburtstagsgeschenk dem Bischof von Essen, der Familie Groß, der Katholischen Arbeiterbewegung und den Studierenden unserer Schule stellvertretend für alle Schülerinnen und Schüler; in der Hoffnung, daß die Impulse, die von dem Leitwort dieser Arbeitshilfe ausgehen, fruchtbar werden in Schule und Unterricht.

Wäre es nicht sinnvoll und wichtig, solche Impulse ebenfalls festzuhalten oder weiterzugeben?

Bernhard Nadorf: Die Arbeitshilfe wird zunächst in einer limitierten Auflage an Schulen und Bildungseinrichtungen versandt, um die Anregungen und Rückmeldungen von Lehrern und Schülern aufzugreifen und bei einer endgültigen Publikation zu berücksichtigen. Die Veröffentlichung des Buches ist sobald wie möglich, spätestens bis zum Beginn des Schuljahres 1999/2000 geplant.

Ruhrwort, 3.10. 1998


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