23. Januar 1998

Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln: Predigt zum Gottesdienst in St. Agnes, Köln

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Liebe Schwestern, liebe Brüder!

In diesem Jahr begehen wir den 100. Geburtstag des Glaubenszeugen Nikolaus Groß, der als Redakteur der westdeutschen Arbeiterzeitung am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Wir schauen in Ehrfurcht und Dankbarkeit auf sein Lebens- und Glaubenszeugnis. Der Bekennertod war für Nikolaus Groß besonders schmerzlich, weil er eine große Familie mit der geliebten Gattin zurücklassen mußte. Hier wird eine Dimension des Christlichen sichtbar, die wir heute oft vergessen.

Bei der Darstellung Jesu im Tempel - unmittelbar nach seiner Geburt - wird das prophetische Wort über ihn gesprochen... "Dieser ist dazu bestimmt, daß in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird" (Lk 2,34). Wir wissen, wie bald sich der Widerspruch gegen Christus regte, selbst im Kreis der Seinen als sie sagten. - "Er ist von Sinnen" (Mk 3,2 1). "Was er sagt ist unerträglich. Wer kann das anhören? " (Joh 6,60). Wir wissen, wie dieser Widerspruch schließlich sichtbare Gestalt annahm im Kreuz, dem Zeichen, dem widersprochen wird. Das ist uns allen bekannt. Aber dieser Widerspruch geht weiter, und wir sollten nicht erstaunt und schon gar nicht verwirrt werden, wenn sich im Leben der Kirche dieser Widerspruch erhebt, dem Nikolaus Groß standgehalten hat bis zu seinem Bekennertod hin.

Christus fordert sogar zum Widerspruch heraus, indem er unsere Entscheidung will.-" Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich " (Lk 11, 23). Vor Christus gibt es keine Neutralität. Sören Kierkegaard, der große Däne, sagt: - "Christsein kann man nur im Gegensatz zur Welt. Sobald der Gegensatz getilgt wird, ist Christ zu sein ein Unsinn." Und vor ihm hat selbst unser Landsmann Johann Wolfgang von Goethe formuliert: "Die Welt kann nur durch die gefördert werden, die sich ihr entgegensetzen. Wer sich anpaßt, ist für alles tüchtige Leisten verloren." Man honoriert von Seiten der Welt letztlich in keiner Weise die Anbiederung und Angleichung der Christen und der Kirche. Die Quittung der Welt dafür ist die Verachtung. Das spüren wir heute auf Schritt und Tritt. Nikolaus Groß gehört in die Reihe jener Widerstandskämpfer die ihre Liebe zur Wahrheit zu Feinden der Lüge werden läßt.

Man spricht heute nicht mehr von Öffnung der Kirche zur Welt, sondern von Schließung der Kirche. Wenn man auf verkaufte Kirchen und Klöster und geschlossene Seminare in manchen Ländern Europas blickt, so ist dieses sarkastische Wort zumindest für den äußeren Bereich der Kirche durchaus zutreffend. Die Weissagung Simeons geht auch auf die Anhänger Christi, sie geht auf die Kirche über.

Im Credo bekennen wir von der Kirche vier Eigenschaften: ihre Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität. Ob man nicht als fünfte Eigenschaft hinzufügen müßte: "Ich glaube an die Kirche, die immer und überall Widerspruch findet, weil Christus das Zeichen des Widerspruchs ist." Wehe, wenn der Kirche nicht mehr widersprochen wird! Sie müßte sich allen Ernstes fragen, ob sie noch in der Nachfolge Jesu steht. Hier ist die große Versuchung einer falschen Angleichung und Anbiederung an die Welt unter der naiven Begründung, man könne auf diese Weise besser apostolisch wirken. Kompromisse sind grundsätzlich zu begrüßen, aber dort, wo es um falsche Kompromisse geht, ist unsere Entscheidung dagegen fällig. Hier steht Nikolaus Groß als Mann der Entschiedenheit für die Wahrheit.

Nach den Worten Christi scheint es, als ob Verfolgung, Gefängnis und Tod so etwas wie Existenzformen des Christlichen sind. Wie sprach doch der Herr: "Bevor das alles geschieht, wird man euch festnehmen und euch verfolgen. Man wird euch um meines Namens willen den Gerichten der Synagogen übergeben, ins Gefängnis werfen und vor Könige und Statthalter bringen. Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können " (Lk 21,12ff). Es scheint so, als ob Gefangennahme und Kerker das Normale für den Christen ist und nicht das modern eingerichtete Pfarrbüro. Es scheint, als ob nicht die Kathedrale uns zusteht, sondern die Katakombe. Noch ein Wort gehört in diesen Zusammenhang. Die Apostelgeschichte spricht von Hananias in Damaskus. Der Herr spricht in einem Gesicht von der bevorstehender Bekehrung des Paulus. Und jetzt die Frage: Was würden wir erwarten? Doch sicher ein Wort über die Taufe. Aber was geschieht? Nicht über die Taufe und ihre Gnade wird etwas gesagt, sondern ein hartes Wort. - "Ich werde ihm auch zeigen, wie viel er für meinen Namen leiden muß " (Apg 9,16). Das ist das Taufgeschenk des Herrn. Dieser Paulus ist ein auserwähltes Werkzeug. Er wird den Namen Jesu vor Heiden und Könige tragen, aber die Auserwählung bezieht sich auch auf das Leiden für Jesu Namen. Die Geschichte zeigt, daß dies das Normale im Leben des Apostels ist und ihrer Nachfolger im weitesten Sinn, zu denen unser Landsmann und Zeitgenosse Nikolaus Groß gehört. Ich glaube, wir haben bei der Frage, was das Wesentliche im Christlichen ist noch einiges nachzuholen und aufzuholen. Indes ist das, was der Herr über Paulus sagt, wirklich so schockierend? Hat er nicht auch in seinem Erdenleben auf die Kreuzesnachfolge hingewiesen? Und hat sich das nicht bewahrheitet im Leben der Kirche bis hin in das Schicksal jenes Glaubenszeugen, dessen wir heute besonders gedenken, - Nikolaus Groß? Ist unser christliches Lebensgefühl nicht zu stark dem Angenehmen, dem Auskömmlichen, der Bedürfnisbefriedigung zugewandt? Ob nicht ein allzu lauter Humanismus uns über die dunklen Nachtseiten des Lebens überhaupt hinwegtäuscht? Es ist verräterisch, daß zum Beispiel die Konstitution des Konzils über 'die Kirche in der Welt von heute' schon beim Zitieren einseitig verwendet wird, indem wir von "Gaudium et spes", zu deutsch: "Freude und Hoffnung", sprechen, das andere Begriffspaar aber "luctus et angor" unterschlagen, nämlich "Trauer und Angst". Wir könnten zu einer Kirche ohne Kreuz werden. Das wird im Leben und Sterben von Nikolaus Groß besonders deutlich und sollte uns erneut vor Augen gestellt werden: - Das Kreuz ist nicht das Letzte. Wir wissen, glauben und hoffen, daß unsere Glaubenszeugen in der österlichen Vollendung des Herrn sind. Aber der Weg dazu führt über das Kreuz. De Welt ist weder das Land des Lächelns, noch das Tal der Tränen in Reinkultur. Es ist eine Mischung von beidem, wobei wahrscheinlich das Tal der Tränen das größere Gewicht hat.

Wir danken Gott, dass Köln als "Heiliges Köln" auch heute noch von gegenwärtigen Glaubenszeugen seine Ehrenbezeichnung ableiten kann. Amen.


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