30. April 1994:

Predigt von Bischof Dr. Hubert Luthe

auf der Halde Prosper Haniel, Bottrop
90jähriges Jubiläum der KAB Westdeutschlands

[Zurück]

Schmecken wir das noch, das Salz in der Suppe? Oder löffeln wir eine fade und geschmacklose Brühe? Sind wir das noch, Salz der Erde? Oder werden wir ein lahmer und müder Verein? - Sehen wir das noch, das Licht vor uns, das Licht über uns? Oder fahren wir in einen Tunnel, dessen Ausgang wir nicht sehen? Sind wir das noch, Licht der Welt? Oder können wir niemandem mehr ein Licht aufstecken?

So fragen darf man doch? Wir müssen so fragen, wenn wir Jesus ernstnehmen, der uns in einem Atem zusichert und droht: "Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr; es wird weggeworden und von den Leuten zertreten" (Mt 5,13). Ist das deutlich genug?

Warum gebrauche ich so oft das Wörtchen "noch": Sind wir noch das Salz der Erde? Weil es doch einmal anders war als heute. Und weil viele von uns das noch erlebt haben und bezeugen können. Neunzig Jahre alt ist die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Westdeutschlands. Und sie darf stolz sein auf ihre Geschichte. Nein, sie darf dankbar und hochgemut sein im Blick auf diese neun Jahrzehnte. Auf den Aufbruch nach dem ersten Weltkrieg, auf die Bekenner und Märtyrer der Nazizeit, auf den Neubeginn in den fünfziger Jahren, auf ihr kraftvolles Wirken in den Sechzigern.

Aber heute? Vergessen wir nicht, wie sehr sich in diesen 90 Jahren unsere Welt verändert hat. Sicher schneller und gründlicher als in 900 Jahren vorher. Muss ich das beweisen? Jedem springt es schon in die Augen, wenn er die Wohnung, den Arbeitsplatz, die Lebensumstände seiner Großeltern mit den eigenen vergleicht. Von wie vielem müssen wir im genauen Sinn des Wortes sagen: zum ersten Mal, seit es Menschen gibt auf unserer Erde? Haben wir das verkraftet? Ganz sicher nicht!

Und vergessen wir nicht, dass wir nicht mehr die Mehrheit bilden? Jeder vierte Deutsche bekennt sich heute als religionslos. Und die, die es nicht bekennen? - Haben wir Angst, Minderheit zu werden? Warum? Waren es so schlechte Zeiten für die Christen, in denen sie als Minderheit leben mussten? Und ist das Salz nicht immer der allerkleinste Teil der Speise? - Haben wir Angst, Mitglieder, Einfluss, Anerkennung zu verlieren? Warum? Sind wir darauf angewiesen? Das Schlimmste, was wir tun könnten, ist die Nabelschau. Wenn ich der Teufel wäre und die KAB kaputt machen wollte, würde ich ihr mit vielen klugen Gründen einreden, wie notwendig und hilfreich es sei, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Es gibt kein kräftigeres Gift!

Was meint Jesus denn mit den beiden Worten, die er uns zuruft: "Ihr seid das Salz der Erde ... Ihr seid das Licht der Welt" (Mt 5,13f)? Können wir sagen: Er sagt es, also sind wir es? Können wir sagen: Wir sind das Salz der Erde, wir sind das Licht der Welt? Und damit behaupten, die Welt sei von sich aus salzlos und lichtlos, fade und finster? Sie habe es nötig, gesalzen und erleuchtet zu werden, und wir, wir allein könnten das? Wer nähme uns das ab? Und völlig widersinnig wäre es, wenn wir auf das Wort Jesu hin in der Einzahl sagten: Ich bin das Salz der Erde, ich bin das Licht der Welt. Das letzte hat er gesagt, und nur er konnte es sagen: "Ich bin das Licht der Welt" (Joh 8,12). Daran wird klar, in welcher Richtung wir weiterfragen müssen.

Denn das Wort Jesu vom Salz und vom Licht stellt nicht etwas fest. Es ist ein schöpferisches Wort. So das Wort Gottes am Anfang "Es werde Licht" (Gen 1,3). Also: Wenn ich es euch sage und ihr euch das gefallen lasst, wen ihr das mit euch machen lasst, dann werdet ihr zum Salz der Erde und zum Licht der Welt. Wie am Anfang: aus dem Nichts und nur durch mich. Anders gesagt: reinigen, würzen, bewahren wir das Salz, könnt ihr nicht aus euch, sondern nur durch mich und in Verbindung mit mir. Leuchten, wärmen und anstecken wie das Licht, gelingt euch nicht aus eigener Kraft, sondern nur, wenn ihr von meinem Licht getroffen werdet, euch anstecken lasst, durchsichtig werdet, wiederstrahlt. Wenn ihr in meine Nähe geratet und darin aushaltet, auch wenn das beißt und brennt.

Deshalb ist das Wort Jesu zugleich gebietendes Wort: Ihr sollt das sein, was ich euch zumute: Salz der Erde und Licht der Welt. Das Salz ist nicht für sich selber da. Was geschieht, wenn es für sich bleibt, kann man an einer Salzwüste sehen. Und auch das Licht gibt es nicht um seiner selbst willen. Wir sollen also Christen sein nicht für uns, sondern Christen für andere. Auch und gerade, wenn wir uns nicht in einer wärmenden und bequemen Mehrheit befinden, in der wir nur das zu tun brauchen, was alle tun. Auch wenn wir den Menschen nicht Honig um den Mund schmieren, sondern ihnen bittere Wahrheiten sagen müssen. Auch wenn wir keine Zustimmung bekommen und in den Widerstand gedrängt werden. Auch wenn es uns nicht anders geht als ihm. "Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie an meinem Wort festgehalten haben, werden sie auch an eurem Wort festhalten" (Joh 15,20), sagt Jesus. Das erste und auch das zweite!

Und deshalb sagt er vom Licht: "So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen" (Mt 5,16). Die guten Werke, die wir tun können, weil er uns gut ist. Ob unser Licht glanzlos wird, weil wir nicht mehr wissen, woher es kommt? Weil wir nicht mehr begreifen, wie gut er uns ist? Aber auch die andere Frage: Was an Licht hätte den Menschen gefehlt, wenn es die 90 Jahre KAB Westdeutschlands nicht gäbe und all das Gute, das ihre Mitglieder in diesen 90 Jahren an anderen getan haben? Und wie viele deswegen wieder Gott, den Vater im Himmel, preisen konnten, das weiß niemand außer Gott allein.

Jesu Wort vom Salz und vom Licht ist ein schöpferisches und ein gebietendes Wort, habe ich gesagt. Ein veränderndes Wort muss ich hinzufügen. Aber das muss ich nicht erklären. Es ist viel spannender, wenn jeder in seinem Lebenskreis die Veränderungen ausmacht, die sich durch Salz und das Licht Jesu Christi ereignet haben. Das sollten Sie sagen, nicht ich.

Aber fragen, woher denn das Salz seine Kraft, woher das Licht seine Kraft nimmt, das wollen wir. Woher hatte Nikolaus Groß seine Kraft? Woher konnte er Salz sein für die Erde, für die Menschen seines Landes und seiner Zeit. Er hat das Zeit seines Lebens selten gesagt. Davon spricht man ja auch nicht so gern und vor anderen. Als er aber auf das Letzte eingeengt und zusammengepresst war, auf die vier kahlen Wände einer Gefängniszelle und auf die wenigen Wochen, die er noch zu leben hatte, da hat er es in den Briefen an seine Familie erkennen lassen.

Deshalb sind diese Briefe für uns so kostbar. Nikolaus Groß war ein tief mit Gott verbundener, ein glaubender, ein betender, ein frommer Mann. Hier allein liegt der Schlüssel, der sein Leben, seinen Widerstand, seine Zeugenschaft erklärt. "Wie gut ist doch Gott, und wie reich hat er mein Leben gemacht..."

"Ich trage das Kreuz Tag und Nacht auf meiner Brust, und auch der Rosenkranz ist mein ständiger Begleiter ..." "In der Liebe Christi, die uns erlöste und unsere ganze Hoffnung ist, segne ich euch." Das sind Sätze aus seinem letzten Brief, zwei Tage vor seiner Hinrichtung. Hätte er in den Reihen seiner KAB nicht mehr Erinnerung und Widerhall verdient? Er was Salz der Erde und ist nicht geschmacklos geworden. An ihm wird sichtbar, warum das so war.

Und fragen, wie das mit dem Licht ist, das auf den Leuchter gehört und nicht unter den Scheffel. Woher es seinen Glanz nimmt. Die KAB hat das in bedrängter Zeit, vor 60 Jahren, durch ihren Weg von der Schachtanlage Walsum über St. Lamberti in Münster zum Kettelergrab nach Mainz gezeigt. Sie hat es gestern und heute wieder gezeigt durch ihren Weg von Walsum nach St. Lamberti hierhin auf die Halde Prosper Haniel: Wie ein Licht entzündet, wie ein Licht bewahrt und getragen, wie ein Licht auf den Leuchter gestellt wird, dem zu Ehren, der allein das Licht der Welt ist und von dem allein unser Licht seinen Glanz erhält und weiterstrahlt.

"Genau das, was im Leib die Seele ist, das sind in der Welt die Christen" (Diognetbrief 6,1), hat einer gesagt. War der übergeschnappt? Nein! Das hat ein Christ um das Jahr 200 aus Alexandrien geschrieben, aus der Kulturmetropole und einer der reichsten Städte der damaligen Welt, in der 300.000 Freie wohnten - die Sklaven zählte niemand - und in der die Christen eine Armeleuteverein und eine winzige Minderheit waren. Selbstbewusstsein eines Christen, der sich auf niemanden anders stützen konnte, als auf Jesus, der allein das Leben und das Licht der Welt ist. "Genau das, was im Leib die Seele ist, das sind in der Welt die Christen." Das ist es! Wir wollen keine Weltkirche sein, keine Staatskirche, keine Volkskirche und keine Kulturkirche. Wir wollen Kirche sein für die Welt und für alle Menschen. Nicht weil wir so großartig wären, sondern weil Jesus sich uns anvertraut und uns ausgesendet hat, damit wir durch ihn Salz und Licht seine: "Damit sie eure Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen" (MT 5,16).


[Zurück]