Ruhrwortartikel vom 24. September 1988:

30. September 1898

Nikolaus Groß - einer von uns

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Gewiß, Nikolaus Groß, für den jetzt der Seligsprechungsprozeß eingeleitet worden ist, war, wie es der Ruhr-Bischof in seiner Prozeß-Ankündigung gesagt hat, "Bergmann, Gewerkschaftler, Redakteur und Blutzeuge", aber vor allem war er eben - und daran erinnert man sich gerade in diesen Tagen in Niederwenigern -"einer von uns". Hier wurde er geboren - am 30. September 1898 -‚ und hier ist er groß geworden.

Sein Vater war der Zechenschmied Nikolaus Groß, er stammte von der Mosel, und noch heute sind in Niederwenigern von ihm lustige Dönskes in Umlauf. Über seine Mutter hatte Groß westfälisches Blut in den Adern; denn Elisabeth Groß geb. Nasse kam aus der Soester Gegend.

Getauft wurde der kleine Nikolaus am 2. Oktober 1898 in der Pfarrkirche St. Mauritius, wie das Taufregister unter Numero 158 ausweist. Am 23. April 1911 ging er in der Pfarrkirche zur ersten heiligen Kommunion, und am 22. Mai 1914 empfing er durch den Paderborner Weihbischof Heinrich von Hähling das Sakrament der Firmung.

In den ganzen Jahren war Nikolaus Groß aus Niederwenigern nicht herausgekommen. In einem Lebenslauf beschreibt er diese Zeit wie folgt: "Meine Jugendjahre verlebte ich im Elternhause. Von Ostern 1905 bis Ostern 1912 besuchte ich die kath. Volksschule zu Niederwenigern. Aus der Volksschule entlassen, nahm ich Arbeit auf dem Blechwalzwerk v. d. Weppen in Altendorf-Ruhr an. Dortselbst war ich bis zum 31. Dezember 1914 beschäftigt. Am 1.Januar 1915 wurde ich als Schlepper auf der Zeche Dahlhauser Tiefbau angelegt. Am 31. März 1919 wechselte ich - mit dem Befähigungszeugnis als Kohlenhauer - meine Arbeitsstelle und wurde auf der Zeche 'AufGottgewagt und Ungewiß' neuangelegt."

In diesen Jahren lernte er am eigenen Leib die sozialen Nöte der Arbeiter kennen und die Probleme des modernen Industriezeitalters. Ihm wurde bewußt, daß die Arbeiterschaft nicht auf eine automatische Besserung ihrer Lage hoffen durfte, sondern gehalten war, dafür selbst etwas zu unternehmen. Es kam darauf an, so erkannte er, daß möglichst viele Arbeiter gemeinsam aktiv werden, daß sich möglichst viele Arbeiter organisieren. Und in dieser Überzeugung schloß er sich 1917 dem Gewerkverein christlicher Bergarbeiter an. Zwei Jahre später trat er dem St.Antonius Knappen- und Arbeiterverein von Niederwenigern bei.

Aber Nikolaus Groß ließ sich nicht bloß "organisieren", sondern setzte alles daran, um in Gewerkschaft und Arbeiterverein auch aktiv mitmachen zu können:

Er besuchte Abendkurse und Rednerschulen, er nahm an volkswirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Lehrgängen teil, er befaßte sich mit Arbeitsrecht und Sozialversicherung; kurzum: er machte sich sachkundig.

Drei Jahre nach seinem Gewerkschafts-Beitritt war er "Hauptamtlicher": Am 1. Juli 1920 erfolgte seine Anstellung als Jugendsekretär des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter für den Bezirk Oberhausen. Am 1. Juli 1921 wurde er an die Redaktion des "Bergknappen" nach Essen versetzt. Von 1922 bis 1924 war er in Ostdeutschland tätig. Am 1. Dezember 1924 wurde er nach Bottrop versetzt. Von dort aus machte er den Schritt zur Kölner Zentrale des Verbandes der Katholischen Arbeiter- und Knappenvereine, der "Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung" (KAB), wie wir heute sagen.

Doch zuvor traf er in Niederwenigern noch eine bedeutsame Entscheidung: Am 23. Mai 1923 heiratete er die 22jährige Elisabeth Koch aus Niederwenigern, beide kannten sich schon aus ihrer Schulzeit. Die Hochzeit feierten sie zusammen mit der Silberhochzeit ihrer Eltern.

Bis zu diesem Zeitpunkt weist der Lebenslauf von Nikolaus Groß keine auffällige Besonderheit auf. Was er eingeschlagen hatte, war eine durchaus typische Arbeiter-Karriere. Und seine alten Schulfreunde und Arbeitskollegen konnten von Nikolaus Groß mit Recht sagen: Das ist einer von uns. In Köln allerdings, wo Nikolaus Groß in politisch schwieriger Zeit als Chefredakteur des KAB-Verbandsorgans wirkte, stellte sich heraus, daß er nicht nur einer von uns war, sondern auch einer f ü r uns ist, ein "Zeuge des Glaubens" nämlich, wie Papst Johannes Paul II. 1987 bei seinem Besuch in unserem Bistum gesagt hat: Nikolaus Groß hat für seinen Glauben und für seine Kirche das Leben hingegeben, und er ermutigt somit "jeden von uns, selbst für Christus unerschrocken Zeugnis zu geben in der Familie, im Wohnviertel, im Beruf, in der Schule, in Arbeit und Freizeit...

Nach dem Todesspruch des Volksgerichtshofes wurde Nikolaus Groß am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Obwohl er seit seinem 22. Lebensjahr außerhalb Niederwenigerns tätig war, hat er doch nie den Kontakt zu seiner Geburtsstadt und den vielen Freunden und Verwandten preisgegeben. Und noch heute entsinnen sich die sieben Kinder von Nikolaus Groß an die glücklichen Tage, die sie, von Köln kommend, in Niederwenigern in dem Familien- und Freundeskreis ihres Vaters verlebt haben.

Und allen diesen Menschen galten auch die letzten Gedanken von Nikolaus Groß. In seiner Zelle im Berliner Polizeigefängnis schrieb er zwei Tage vor seiner Hinrichtung in seinem ergreifenden Brief an seine Familie: "In der Liebe Christi, die uns erlöste und unsere ganze Hoffnung ist. segne ich Euch: Dich, liebste, gute Mutter, Dich Klaus und Dich, Berny, Dich Marianne und Dich, Elisabeth, Dich, Alexander, Dich, Bernhard und Dich Leni. Ich grüße noch einmal alle teuren Verwandten, meinen Vater und Schwiegervater, meine Geschwister, Schwäger und Schwägerinnen mit ihren Kindern, alle Verwandten, Freunde und Wohltäter."

Nikolaus Groß, der am 30. September 90 Jahre alt geworden wäre und an den aus diesem Anlaß Pfarrgemeinde und Katholische Arbeitnehmer-Bewegung in Treue erinnern, war eben und bleibt `einer von uns`.

Ruhrwort, 24. 09. 1988


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