Gedenkgottesdienst am 25.09.2016

Ansprache von Marie-Luise Dött: Glaubenszeugnis

Dom zu Xanten zum Gedenk- und Dankgottesdienst 1

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aus den Schriften von und über Nikolaus Groß eine für den heutigen Gottesdienst auszuwählen, fiel mir nicht leicht. Nicht, weil sie uns heute nicht mehr betreffen. Nein, ganz im Gegenteil: Das Leben undWirken von Nikolaus Groß reicht bis in unsere Zeit. Er hat uns unveränderliche Wahrheiten und Werte hinterlassen. Auch wenn mittlerweile schon drei oder vier Generationen vergangen sind, haben seine Schriften Bedeutung für unser Leben. Darum fiel mir die Auswahl so schwer und darum habe ich für die zweite Lesung einen Text ausgesucht, der nicht von Nikolaus Groß selber stammt, sondern der über ihn berichtet.

Es kam sein langjähriger Freund Alexander Drenker zu Wort. Damit ist über das Wesen von Nikolaus Groß eigentlich alles gesagt. Der Kern aber, und ich würde diesen gerne wiederholen, findet sich bei Drenker in zwei Sätzen: "Nikolaus Groß ist sicherlich nicht unbemerkt durch das Leben gegangen, aber er stand nicht im Vordergrund. […] Er hatte die Tugenden, die heute am seltensten und zugleich am notwendigsten sind."2 Für mich ist das der Kern, weil uns Nikolaus Groß darin ewig Vorbild sein wird.

Was hat es nun mit seiner Wirkung bis in unsere Zeit auf sich? Die eben angesprochenen Tugenden waren von der Liebe getragen, und zwar von der Liebe Gottes und der Liebe zu Gott. Was bei Nikolaus Groß so schlicht klingt, trifft auch schon das zentrale Moment seiner Botschaft. In seiner Glaubenslehre sagt er sinngemäß, daß mit der Liebe, die Gott den Menschen gegeben hat, alles wunderbar wurde.3 Es sind also die Liebe Gottes und die Liebe zu Gott, die das Fundament seines Glaubens, seiner Lehre und seines Handelns bilden. Nikolaus Groß war aber nicht nur ein gläubiger Mann. Er war auch ein mutiger Mann. Wir dürfen nämlich nicht außer acht lassen, daß er in einer Zeit lebt, in der Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung und die Rückbesinnung auf Werte wie Freiheit, Demokratie und Toleranz nicht erwünscht sind. Ein geeignetes Sprachrohr für seine Botschaft findet Nikolaus Groß aber dennoch, und zwar als Chefredakteur der Westdeutschen Arbeiterzeitung. Seine Artikel sind den Lesern in einer Zeit politischer Unruhe und diktatorischer Gewaltherrschaft eine wichtige Orientierung. Für Nikolaus Groß sind sie ein Weg, um das Menschliche in der Gesellschaft zu erhalten. Stets kommt er zu dem Schluß, daß der christliche Glaube mit jeder Form von Unterdrückung und Freiheitseinschränkung unvereinbar ist. Mehr noch: Christen haben die Pflicht, sich für Freiheit und ein friedliches Zusammenleben einzusetzen. Dabei erhebt er nie den arroganten Zeigefinger. Nein, seine Sprache ist klar, aber nie belehrend. Nikolaus Groß hat seine Mitmenschen bei ihrem Glauben gepackt und Christen ermutigt, mutig zu sein. Sein eigener Mut und seine Beständigkeit, die Stimme gegen Unterdrückung und Verfolgung zu erheben, basieren dabei auf einem unerschütterlichenWertefundament.

Was aber können wir nun aus den Schriften von Nikolaus Groß auf unsere Zeit übertragen? Wenn wir uns die weltweite politische Lage sowie deren Entwicklung anschauen, kommen wir nicht umhin zu sagen: Viele Aussagen von Nikolaus Groß sind natürlich auch heute aktuell. Warum? Weil er für sein Handeln dasselbe Wertefundament hat wie wir. Sicherlich, die Umstände und das Lebensumfeld haben sich geändert. In unserem Land müssen Gläubige ihr Wertebewußtsein nicht gegen einen Schreckensstaat behaupten. Ich stelle aber immer wieder fest, daß das Bekenntnis zum christlichen Glauben an vielen Stellen erklärungsbedürftig ist.

Religiöse Überzeugung und das Einstehen für christliche Werte sind auch heute nicht überall gern gesehen. Christen müssen sich für ihre Haltungen und Überzeugungen oftmals rechtfertigen. Trotzdem oder gerade deshalb sollten wir uns einmischen. Wir sollten nicht davor zurückschrecken, die Gesellschaft, die politischen Prozesse und die Wirtschaft mitzugestalten. Wenn wir das nicht tun, wird es irgendwann nicht mehr unsere Gesellschaft sein. Es sind unsere Werte, die aus dem christlichen Glauben resultieren, und unsere Einstellungen dazu, die die Gesellschaft zu unserer Gesellschaft machen. Das wichtigste: Unsere Werte sind nicht exklusiv. Unsere Wertvorstellungen sind nicht losgelöst von unserer gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Verantwortung. Im Gegenteil: Sie sind ganz konkret und für alle anwendbar. Deshalb dürfen, sollen und müssen Religion und der eigene Glaube jederzeit und überall Einfluß nehmen können. Insofern ist unser Auftrag klar: Als praktizierende, gläubige Christen dürfen wir uns nicht hinter Mauern zurückziehen.Wir müssen uns unter die Leute mischen oder um es mit dem Evangelisten Matthäus zu sagen: Wir sollen Sauerteig, Salz und Licht der Welt sein.4

Als Gläubige dürfen wir uns keinesfalls auf eine reine Selbstbetrachtung beschränken, um als lebensfremd zurückzubleiben. Der Theologe Michael Gmelch bringt auf den Punkt, wozu es am Ende nicht kommen darf: „Die Welt brennt, und wir gießen in der Sakristei die Geranien.“5 Unsere Aufgabe als Christen ist es statt dessen seit jeher, uns mit den Fragen der Zeit und mit den Anliegen der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Im Sinne des 2. Vatikanums müssen wir „nach den Zeichen der Zeit […] forschen und sie im Licht des Evangeliums […] deuten."6 Das ist der Auftrag, dem wir Christen verpflichtet sind. Dem können wir aber nur gerecht werden, wenn wir auf die Menschen zugehen. Nicht mahnend! Wir müssen Lösungen anbieten, weil wir nur auf diese Weise unsere Gesellschaft (mit)gestalten.

Was ist dabei unser Leitfaden? Im wesentlichen sind es zwei Bausteine: das christliche Menschenbild und die Katholische Soziallehre. Bedenken Sie aber: Die Katholische Soziallehre ist kein Sozialprogramm. Das soll sie auch nicht sein. Sie ist vielmehr mit ihren Prinzipien Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohl eine Art Koordinatensystem unserer Werte. Ausgefüllt und gestaltet werden muß das Koordinatensystem von Menschen; von uns katholischen Christen. Unser Glaube und die Liebe zu Gott – und da sind wir wieder bei Nikolaus Groß – begründen und erfüllen die Werte, aus denen sich die Prinzipien der Katholischen Soziallehre speisen. Maßstab ist als „Urheber, Mittelpunkt und Ziel“7 stets der Mensch. Insofern ist die Katholische Soziallehre auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes ein gutesWerkzeug; ein gutesWerkzeug, um unser eigenes Handeln sowie das Handeln von Politik und Wirtschaft auf Ausgewogenheit und Angemessenheit zu überprüfen.

Klar ist: Wohlstand, Gerechtigkeit und ein Leben in Freiheit sind nicht selbstverständlich. Wir müssen uns jeden Tag aufs neue dafür entscheiden. Wir müssen jeden Tag aufs neue daran arbeiten. Nikolaus Groß wurde nicht müde, genau darauf immer und immer wieder hinzuweisen. Er hat stets angemahnt, daß ohne die Liebe Gottes und der Menschen nichts gelingen kann. Schließen möchte ich meine Gedanken deshalb mit einem Zitat vom seligen Nikolaus Groß: „Ohne die Liebe wäre die Welt längst in Traurigkeit und gegenseitiger Vernichtung untergegangen.“8

Für mich persönlich bedeutet das, daß ein gutes und fruchtbares Zusammenspiel von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nur gelingen kann, wenn wir Christen mutig sind und uns engagieren! Das war bei Nikolaus Groß so, und das ist heute so.

Marie-Luise Dött


1 Es gilt das gesprochene Wort.

2 Aus: Lesungstexte Nikolaus Groß: Andere Sprechen – Schreiben über ihn; Am 29 Oktober 1947 schreibt Alexander Drenker, Presseattache an der Deutschen Botschaft in Holland, über seinen Freund Nikolaus Groß; Ausgewählt von Diakon Jürgen Haberl im Rahmen des Dankgottesdienstes im Gedenken des seligen Nikolaus Groß im Dom zu Xanten am 25. September 2016; S. 12 f.

3 Siehe dazu: Lesungstexte Nikolaus Groß; Text aus der "Glaubenslehre" von Nikolaus Groß "Die Liebe"; Ausgewählt von Diakon Jürgen Haberl im Rahmen des Dankgottesdienstes im Gedenken des seligen Nikolaus Groß im Dom zu Xanten am 25. September 2016; S. 6.

4 Siehe dazu: Matthäus 5:13-16 sowie Matthäus 13:33.

5 Gmelch, Michael: Refugees Welcome; Eine Herausforderung für Christen; Würzburg; 2016; S. 9.

6 Rahner, Karl u. Vorgrimler, Herbert: Pastoralkonstitution Gaudium et Spes (GS); Kleines Konzilskompendium; Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils; 35. Auflage; Freiburg; 1966; GS Nr. 4.

7 Ebd.; GS Nr. 63.

8 Aus: Lesungstexte Nikolaus Groß; Text aus der "Glaubenslehre" von Nikolaus Groß "Die Liebe"; Ausgewählt von Diakon Jürgen Haberl im Rahmen des Dankgottesdienstes im Gedenken des seligen Nikolaus Groß im Dom zu Xanten am 25. September 2016; S. 6.

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