September / Oktober 2004:

"Das darf nicht spurlos an uns vorübergehen"

KAB-Lichterstafette erinnert an Märtyrer und an das Glaubensbekenntnis heute

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Links: Kritische Lieder über Arbeitslosigkeit und "Neue Armut" sang Donatus Weinert (rechts) am Essener Salzmarkt. Am Ort des früheren Essener Arbeitsamtes ging es im Dialog mit Dr. Baldur Hermans auch um Zwangsarbeit im Krieg. Fotos: Wilmes

Unten: Unterwegs in Mülheim: Hermann-Josef Schepers, Bezirksvorsitzender der KAB Duisburg-Oberhausen-Mülheim, trug ein eigens für die Glaubensdemonstration entworfenes und gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen geschweißtes Wanderkreuz. In Mülheim waren der Styrumer Arbeitslosentreff und die Pfarrei St. Barbara, Dümpten, Ziele der Wallfahrt von Xanten nach Niederwenigern. Foto: Brzeska

"Es ist nie zu spät aufzustehen, loszugehen, umzudrehen..." In der Essener City singt ein Liedermacher inmitten fünfstöckiger Häuserreihen. Donatus Weinert ist "nur" ein Hobby-Musiker. Doch sehr professionell trifft der Kölner KAB-Sekretär seit gut zehn Jahren mit seinen sozialkritischen Songs exakt den Ton. In seinen Texten denkt er über das nach, was bewegt.

Sein Auftritt in Essen gehört zu einer mehr als zehntägigen Glaubensdemonstration der KAB im Ruhrbistum und in der Diözese Münster. Gut 20 Teilnehmer aus einer von vielen Gruppen der Wallfahrt hören dem Mann mit der Gitarre zu. "Entwurzelte Menschen", klagt er Praktiken mancher Manager an, "werden zu ,Fixkosten' reduziert. Manch einer wird beliebig eingesetzt, rund um die Uhr gehetzt." Weinert fordert: Christen müssen handeln, wo die Würde anderer bedroht ist. Glauben verlangt Einsatz, wo Unrecht geschieht. Denn Arbeitslosigkeit und Neue Armut, weiß der Liedermacher, brechen heute vielen Menschen "das Genick". Kurz unterbricht er seinen Gesang und berichtet von hoch qualifizierten Jugendlichen, die keinen Job finden, und von Menschen, die jahrelang hart gearbeitet haben und sich nach dem Konkurs ihrer Firma unter die "Neuen Armen" einreihen...

Was das mit einer Glaubenswallfahrt rund um den Geburtstag von Nikolaus Groß am 30. September zu tun hat? Donatus Weinert singt über die Themen, die auch für Nikolaus Groß ganz wichtig waren: über Arbeit, Familie, Menschenwürde, Glauben. Seine Botschaft verkündet der Liedermacher mitten im Alltag der City: vor einer Bank, vor einem Finanzamt, unweit von einem Erotikshop. Seine Songs spiegeln den Alltag; in Liedern und Gesprächen beklagt er Defizite und Skandale. "Familien mit vielen Kindern werden schief angeschaut, nicht wenige kämpfen Monat für Monat finanziell ums Überleben."

Den Blick für solche Realitäten will die Glaubensdemonstration der KAB öffnen. Sie startete am Sonntag vor zwei Wochen beim Gottesdienst im Xantener Dom. Wechselnde Pilgergruppen brachten dabei in mehr als 30 Etappen ein eigens für die Stafette geschweißtes Stahlkreuz nach Niederwenigern, Heimat von Nikolaus Groß.

Seine Idee für diese Wallfahrt erklärt der Essener KAB-Bildungsreferent Wolfgang Heinberg, einer der Wanderer am Salzmarkt. "Wenn wir an Nikolaus Groß und an Märtyrer wie Gottfried Könzgen denken, dann reicht es nicht, ein Halleluja auf die Vergangenheit zu singen." Die Stafette sei ein Gegenwartslauf. "Gerade 2004 müssen wir Gerechtigkeit in den Blick nehmen - weltweit wie vor unserer Haustür."

Das geschieht zwischen Xanten und Duisburg, aber auch in Oberhausen, Essen, Bottrop, Gladbeck, Gelsenkirchen und Bochum. Nach rund zwei Dritteln der Strecke zieht Heinberg zufrieden ein erstes Fazit: "Wir werden unterwegs wohl weit über 3000 Menschen bewegt haben." In der Tat: Die Pilgerinnen und Pilger an der Strecke "ziehen" richtig mit. "Unterwegs werden wir alle zu lebendigen Glaubenszeugen", stellt einer der Wanderer fest.

Mit am Anfang der Stafette lag in Duisburg die Station "Bergwerk Walsum". Schon 1934 war diese Zeche Ausgangspunkt einer von der KAB-Leitung um Nikolaus Groß und Präses Otto Müller organisierten Lichtwallfahrt zum Grab des Bischofs Ketteler nach Mainz. "Wie damals bringen wir heute das Licht der Grubenlampe durch das Ruhrgebiet", erinnert der Weseler KAB-Bezirkspräses und Pfarrer Klaus Ulaga an die 10000 Glaubensdemonstranten des Jahres 1934. "Jesu Sorge war es, dass das Licht nicht ausgeht und das Salz nicht schal wird", benutzt Ulaga Bilder der Bibel, die beflügeln - und er ergänzt: "Wir sind keine Religion, die bloß Familienfeiern kennt und sich ansonsten in die Kirche zurückzieht."

Für alle folgenden Stationen der Glaubenswanderung ist dieses Bekenntnis Programm. In Walsum sind es die Gräber russischer Soldaten und ein Denkmal für 4500 Zwangsarbeiter. Die Beter und Demonstranten denken auch an Ausbeutung heute: an Kindersoldaten in Afrika, an Prostituierte auf den Philippinen, an Kinderpornografie - für Gaffer verfügbar via Internet.

Hartz IV ist Diskussionsthema in Mülheim. Vom "Styrumer Treff", Ort einer KAB-Initiative für aktive Arbeitssuchende, zieht ein Demons-trationszug durch den Stadtteil. Eine Messe zum Gedenken an die ermordete KAB-Verbandsführung um Bernhard Letterhaus, Nikolaus Groß und Otto Müller rundet in St. Barbara, Dümpten, den Tag ab. Dort staunen die Christen über ein kunstvolles historisches Gitter, das erneut an die große Ketteler-Wallfahrt von 1934 erinnert. Im Mainzer Dom diente es damals zur Befestigung des Leuchters, an dem das Licht von 10000 Wallfahrern am Grab von Bischof Ketteler brannte. Noch bis zum 10. Oktober ist das Gitter in St. Barbara zu sehen.

Erinnerung, Mahnung, politisches Glaubenszeugnis. Diese Stichworte prägen auch den Abschlusstag in Niederwenigern. Während der Messe in der Heimatkirche von Nikolaus Groß predigt Weihbischof Franz Vorrath über die Abschiedsworte des Seligen.

Lesen Sie zu diesem Gedenkgottesdienst auch den Beitrag:

Click here to get more information about this themeOnly in German Weihbischof Vorrath feiert Gedenkgottesdienst für Nikolaus Groß

Er erinnert an diesen Segensgruß von Nikolaus Groß an seine Familie und an den Segen Jesu. Der Weihbischof: "Jesu Segen ist Geschenk aus dem Glauben. Er ist zugleich Auftrag, selbst Segen für diese Welt zu sein." Unsere Gesellschaft, wird Vorrath politisch, stehe in der Gefahr, sich zu spalten: in Chancenlose und Privilegierte, Arbeit Besitzende und Arbeitslose, in Gewinner und Verlierer der Modernisierung. Seine Worte fassen die Botschaft der ganzen Wallfahrt zusammen: "Was mit dieser Welt und den Menschen geschieht, das darf uns nicht egal sein. Es darf nicht spurlos an uns vorübergehen."

Das Licht der Hoffnung über Bistumsgrenzen weitergeben. Eine Messe in St. Konrad, Duisburg-Fahrn, war erste Station der Stafette im Ruhrbistum.

Singen, Andacht halten, protestieren. Kindersoldaten und Kindersklaven waren in Duisburg Thema. Im Lager am Walsumer Sandbergweg lebten im Zweiten Weltkrieg über 4500 Zwangsarbeiter des Bergwerks Walsum.

Ruhrwort-Artikel von Wojciech Brzeska und Ulrich Wilmes, aus Ruhrwort Nr. 41 / 2004 vom 9. Oktober 2004


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