Gedenkgottesdienst in der Pfarrkirche St. Barbara, Mülheim am 26. Januar 2003:

Predigt zum Gedenken an den Seligen Nikolaus Groß

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Liebe Schwestern und Brüder!

Am vergangenen Donnerstag, dem Gedenktag des Seligen Nikolaus Groß, haben wir im Dom einen eindrucksvollen Gottesdienst gefeiert. Er stand unter der Überschrift "Nikolaus Groß - Zeuge des Lichts in dunkler Nacht." Malen wir uns die Dunkelheit der letzten Wochen und Tage von Nikolaus Groß in der Haft- und Todeszelle aus: Konfrontiert mit der Gewißheit des gewaltsamen Todes, fast immer allein, Erfahrungen der Folter, Angst. Nikolaus Groß hat seine letzten Tage in äußerster Not und Verlassenheit und in existentieller Bedrohung verbringen müssen.

Die Briefe, die Nikolaus Groß in dieser Zeit geschrieben hat, gehören zu den bewegendsten Zeugnissen aus seinem Leben. Es beeindruckt die Klarheit, mit der sich Nikolaus Groß der Wirklichkeit stellt; die Fassung, mit der er das Kommende in Worte kleidete und das Vertrauen, das in seinen Worten spürbar wird. Diese Briefe lassen uns teilnehmen an den Gedanken und Gefühlen eines Menschen, der vor dem letzten aller Schritte steht, bei dem sich niemand begleiten lassen, bei dem sich niemand vertreten lassen kann. Wir erblicken darin einen Menschen, der diesen Weg im Glauben gegangen ist.

Im Zentrum des Textes aus dem Römerbrief, den wir eben als Lesung hörten, finden wir einen dreifachen Aufruf zum Leben aus dem Geist, der mir wie eine geistliche Zusammenfassung für das Zeugnis erscheint, das Nikolaus Groß in seiner Haftzeit gegeben hat. "Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet" heißt es dort. Die Stelle bildet das Herzstück der ganzen Perikope, die weiter aus konkreten Handlungs- und Haltungsanweisungen besteht. Hoffnung, Geduld und Gebet aber sind jenseits der konkreten Situation die durchgängigen Geisteshaltungen gläubiger Existenz.

Fröhlich in der Hoffnung

Nikolaus Groß hat, so stellt es sich für uns dar, in den bedrängenden Erfahrungen seines Widerstandskampfes zu jeder Zeit auf Zukunft gehofft. Wir spüren seine Verbundenheit zum Leben, zu seiner Frau und seinen Kindern. Wenn er den Weg in den Tod so gefaßt beschreitet, dann nicht aus einer versteckten Todessehnsucht oder Lebensmüdigkeit, sondern im vollen Bewußtsein über die Schönheit und den Wert des Lebens. Wenn die Kirche einen Gläubigen als Märtyrer anerkennt, legt sie stets Wert darauf festzustellen, daß die betreffende Person nicht den Tod, sondern das Leben geliebt hat. Bei allem Ernst der Situation schaute Nikolaus Groß bis zuletzt auf die Chancen und Perspektiven in der frohen Gewißheit, daß Christen das Leben stets vor sich haben. Er war sicher besorgt und ernst, aber nicht resignativ. Er hat der Verzweiflung und Mutlosigkeit keine Macht eingeräumt. Herausfordernd für uns ist sein Hoffnungsmut und seine Bereitschaft, sich dem Leben und seinen Aufgaben in Zuversicht zu stellen. Gott ist auf unserer Seite - dieses Grundgefühl kann uns durch Situationen führen, die uns schwerfallen oder sogar aussichtslos erscheinen.

Ich möchte heute fragen, ob wir in unseren Gemeinden, Gruppen und Verbänden von dieser Hoffnung auch leben. Geben wir das Zeugnis der Hoffnung in einer Gesellschaft der Kritiker und Nörgler, der Pessimisten und Miesmacher? Stehen wir für eine Kirche, die in Zuversicht und Vertrauen in dieser Welt und für diese Welt lebt? Christen stehen nicht für Schönfärberei und für eine verantwortungslose Bagatellisierung der Herausforderungen unserer Zeit. Aber wir sind aufgerufen zum Zeugnis unserer Hoffnung, aus der heraus wir die Welt gestalten wollen. Die Würzburger Synode sah in der Hoffnung den Ausweis der Christen heute. Im Synodenbeschluß "Unsere Hoffnung" heißt es: "Alle unsere Initiativen messen sich letztlich am Maß der ‚einen Hoffnung, zu der wir berufen sind'. Diese Hoffnung kommt nicht aus dem Ungewissen und treibt nicht ins Ungefähre. Sie wurzelt in Christus, und sie klagt auch bei uns Christen des späten 20. Jahrhunderts die Erwartung seiner Wiederkunft ein. Sie macht uns immer neu zu Menschen, die inmitten ihrer geschichtlichen Erfahrungen und Kämpfe ihr Haupt erheben und dem messianischen 'Tag des Herrn' entgegenblicken." Auf das Zeugnis gelebter Hoffnung kommt es letztlich an. Denn - so die Synode: "Die Welt braucht keine Verdoppelung ihrer Hoffnungslosigkeit durch Religion; sie braucht und sucht (...) das Gegengewicht, die Sprengkraft gelebter Hoffnung. Und was wir ihr schulden, ist dies: das Defizit an anschaulich gelebter Hoffnung auszugleichen." Die Hoffnung von Nikolaus Groß war von solcher Sprengkraft.

Geduldig in der Bedrängnis

Die lange Zeit der Haft und sicherlich auch schon die großen Sorgen der Wochen und Monate des versteckten Widerstandes zuvor lassen freilich vermuten, welche Belastungen auf Nikolaus Groß und seiner Frau gelegen haben mögen. Mit Geduld und innerer Zustimmung stellt sich Nikolaus Groß dieser Zeit und vergewissert sich immer wieder seiner eigenen Position und der Berechtigung seines Handelns. Es wird kein Aufbegehren spürbar und kein Zorn gegen die leidvollen Erfahrungen. Nikolaus Groß nimmt die Bedrängnis an als Teil seines Lebens.

Ich kann mir gut vorstellen, daß es auch für ihn und für seine Frau Momente der Erbitterung und des inneren Protests gegeben hat. Aber wir spüren, daß beide immer wieder zur Annahme ihrer Situation zurückgefunden haben.

Geduldig in der Bedrängnis - ist das ein Merkmal christlicher Gemeinden heute? Ich denke an die Herausforderung zur Geduld im Umgang miteinander, zum Beispiel im kirchlichen Dialog über Veränderungen im strukturellen und personalen Bereich. Es gibt aber auch für die Kirche von heute Erfahrungen der existentiellen Bedrängnis. Vor wenigen Tagen war Bischof Jorge Enrique Jiménez, der Präsident des Lateinamerikanischen Bischofsrates, bei mir zu Gast. Am Abend bis tief in die Nacht hat er mir erzählt von den Erfahrungen seiner Entführung durch Guerilleros im November letzten Jahres. Acht Tage ist er in der Hand der Entführer gewesen, völlig im Ungewissen über sein Schicksal, den Tod vor Augen. Wie er diese Tage mit innerer Fassung ertragen konnte? Es sei der Glaube gewesen, der ihm Halt gegeben habe, so sagt er schlicht; der Glaube habe ihn befähigt, geduldig diese Situation der äußersten Bedrängnis anzunehmen und zu bestehen. Ich mußte bei diesen Worten sofort an Nikolaus Groß denken: geduldig in der Bedrängnis.

Beharrlich im Gebet

Die Quelle der Kraft ist in all der Zeit das Gebet. Unermüdlich, zum Schluß fast ständig, wendet er sich Gott zu und hält Zwiesprache mit ihm. Wir wissen nicht, ob auch Klagen enthalten waren. Was wir wissen ist, daß Nikolaus Groß im Gebet Gottes Nähe erfahren hat. Das Gebet hat ihm Halt gegeben. Es hat ihn getragen, indem er unbeirrbar sein Schicksal und sich selbst immer wieder vor Gott getragen hat in dem Vertrauen, daß Gott treu ist. Nikolaus Groß ist ein Zeuge des Gebets, ein Zeuge des Glaubens.

Keiner seiner Briefe aus dem Gefängnis, in denen nicht das Gebet erwähnt wäre. "Ich habe zu keiner Stunde Langeweile, im Gegenteil, mein Tag ist mit Aufräumen und Säubern der Zelle, mit Gebet und Lesen so ausgefüllt, daß ich geradezu ein Programm einhalten muß. Nein, wer sich so viel mit Gott beschäftigt, hat keine Langeweile, und der Gespräche mit ihm werde ich nicht überdrüssig", so heißt es einmal. Die Quelle des Gebets ist für viele Christen weitgehend in Vergessenheit geraten. Sind wir uns bewußt, daß Aktionen und Initiativen allein christliche Existenz nicht ausfüllen können? Vor einigen Tagen sprach ich mit einem Priester des Bistums Essen, der nach vielen Jahren des Dienstes in Lateinamerika nun bald wieder nach Deutschland zurückkehren wird. In einer schweren Krankheit, so sagte er mir, sei ihm aufgegangen, daß sein Priestersein über Jahrzehnte ganz überwiegend aus Aktivität bestanden habe. Jetzt aber, in den Wochen der Krankheit, sei ihm aufgegangen, daß sein priesterlichpastorales Wirken im geduldigen Ertragen der Leiden und ihm Gebet liegt. Wir können nicht alles machen - wir können aber alles erbitten, erbeten und auch erleiden.

Hoffnung, Geduld, Gebet - diesem Dreisatz aus dem Römerbrief hat Nikolaus Groß Leben eingehaucht. Nicht die Abhandlungen und Einsichten aus seinen Schriften und Artikeln sind es, die uns beeindrucken und bewegen, sondern die unbeirrte Praxis eines gläubigen Lebens. Wir erkennen am Beispiel Nikolaus Groß' die ganz reelle Kraft, die aus dem Glauben fließen kann. Das Lebenshaus des Nikolaus Groß war nicht auf Sand gebaut. Es konnte den Stürmen Stand halten, es hatte einen festen Untergrund. Er hat auf das Wort Gottes und das Evangelium Jesu Christi gebaut. Er hat sich in eindrucksvoller Weise dem Willen Gottes ergeben und von Gott in allen Stürmen das Beste erwartet. So konnte er an seinem letzten Weihnachtsfest voller Vertrauen an seine Familie schreiben: "Ja, was auch geschehen mag, was wir erleiden oder worüber wir uns freuen - es sei alles zur Ehre Gottes. Und unser guter Wille, der uns den Frieden bringt, den Frieden des Herzens, den Frieden Gottes, soll darin bestehen, daß wir Gottes Willen tun. Denn Gottes Wille ist allemal der gute Wille, der beste Wille."

Amen!


Auch verfügbar:

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