Ansprache von Bischof Dr. Hubert Luthe am 25. Januar 1995:

Zur Namensgebung des Nikolaus-Groß-Abendgymnasiums

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Verehrte Familie Groß, Liebe Studierenden, Liebe Lehrenden dieses Abendgymnasiums, Brüder und Schwestern.

Die ersten und eigentlich authentischen Ausleger der Heiligen Schrift sind weder die Bischöfe noch die Theologen, sondern die Heiligen, die Menschen, die dem Wort der Heiligen Schrift durch ihr Leben Farbe, Kontur, Blut geben.

Der Psalm 1, den wir gerade gebetet haben, ist uns ausgelegt durch das Leben von Nikolaus Groß, und wenn man diesen Psalm betet, im Blick auf sein Bild, dann weiß man, was heute mit diesem Psalm gemeint ist und was er uns heute sagt und zu beten in den Mund gibt.

Ich bin in dieser Stunde sehr bewegt. Erlauben Sie mir dieses persönliche Eingeständnis. Eben der Gang durch die Synagoge und die Ausstellung umfaßten auch ein Stück meines eigenen Lebens. In der Begegnung mit Wort und Bild, mit lebendigen Menschen, ist vieles wieder wach geworden, was zu meinem Leben gehört.

Wie können wir vor Gott und unserem Volke bestehen? Und ich halte es auch heute für ein bewegendes Zeichen, daß die Ausstellung Nikolaus Groß aus Anlaß seines 50. Todestages in unserer alten Essener Synagoge ausgerichtet werden kann, in einem der Gottes und Gebetshäuser, die in der Nacht vom 9. zum 10. Nov. 1938 zerstört wurden.

Und darf ich hier noch eine persönliche Erinnerung einflechten:

Am Morgen dieses 10. Nov. 1938 - ich erinnere mich ganz genau - hat mein Vater meinen Bruder Karl Josef und mich - wir waren damals 10 und 11 Jahre alt - an die Hand genommen, ist mit uns mit der Linie 15 an der Agneskirche vorbei über den sogenannten Adolf Hitler Platz zur Weidengasse und zur Wetterstraße gefahren, in denen viele Judengeschäfte lagen, ist schweigend mit uns diese beiden Straßen, die parallel laufen, entlang gegangen, hat uns das sehen lassen und als wir den Hansaring wieder erreicht hatten ich höre noch seine Stimme - hat er gesagt: "Kinder, ich zeige Euch das, damit Ihr seht, welche Bande uns regiert". Ich bin ihm dankbar, daß wir solche Eltern und Lehrer hatten, die uns davor bewahrt haben, in dem Strome mitzuschwimmen.

Wie können wir vor Gott und unserem Volke bestehen? Wir ehren auch an dieser Stelle Nikolaus Groß, einen bedeutenden Repräsentanten des Deutschen Widerstandes, eine der führenden Persönlichkeiten der christlichen Arbeiterschaft und einen Zeugen unseres Glaubens. Am 23. Jan. 1945 wurde er zusammen mit 9 anderen deutschen Widerstandskämpfern in Berlin-Plötzensee ermordet. Ich habe am Samstag vor 8 Tagen noch dort sein dürfen.

Wir ehren Nikolaus Groß, indem wir diesem unserem Bischöflichen Abendgymnasium seinen Namen geben dürfen, und wir tun das in der Hoffnung, daß sein Name in unserer Stadt, nein mehr noch, daß sein Geist in den Herzen unserer Menschen weiterlebt.

Einen tapferen Zeugen unseres Glaubens habe ich Nikolaus Groß genannt. Damit stelle ich ihn bewußt in die Reihe der unzähligen Märtyrer Jesu Christi, von Stephanus bis in unsere Tage.

Gelegentlich höre ich den Einwand, da sei ein großer Unterschied zu beachten, die einen seien für ihren Glauben, die anderen für ihre politische Überzeugung gestorben. Aber kann man das so einfach trennen, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, was Joseph Göbbels programmatisch gesagt hat? Er hat gesagt, "der Nationalsozialismus ist eine neue totale Auffassung des menschlichen Lebens und weil er total ist, deshalb bezieht er alle Bezirke des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns in seinen Wirkungskreis mit ein". Nur 10 Jahre hat es danach gedauert bis zum totalen Krieg, bis zur totalen Vernichtung von Millionen Menschen, bis zur totalen Zerstörung auch unseres Landes.

Einfache im Glauben verwurzelte und im Leben treue Menschen haben damals schneller und klarer erkannt, was bevorstand und worauf es ankam, schneller und klarer als viele sogenannte Intellektuelle. Schon vor den Reichtagswahlen vom 14. Sept. 1930 hat Nikolaus Groß in seiner Westdeutschen Arbeiterzeitung, deren Schriftleiter er war, geschrieben: "Wir lehnen als katholische Arbeiter den Nationalsozialismus nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, sondern entscheidend auch aus unserer religiösen und kulturellen Haltung entschieden und eindeutig ab".

Und Bischof Clemens August von Galen hat im Jahre 1937 darauf hingewiesen, daß die Kirche und insbesondere die letzten Päpste -wörtlich "Verkündiger und Verteidiger nicht nur der geoffenbarten Wahrheit, sondern auch der von Gott gewollten natürlichen Rechte und Freiheiten der Menschen gewesen seien und daß die Bischöfe deshalb ebenso nicht nur für die Wahrheit, sondern auch für Gerechtigkeit und Freiheit einstehen müßten".

Diese Verteidigung der von Gott gewollten sittlichen Grundordnung und der Rechte der Menschen mußte darum für die, die es begriffen hatten, notwendigerweise in den politischen Widerstand münden.

+ Hubert Luthe
Bischof von Essen


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